Fragen für die Zahlen

Fragen für die Zahlen

Seit Mai 2011 wurde in Deutschland fleißig gesammelt. Bei der großen Volkszählung, dem Zensus 2011, standen auch Wohnheime und Wohngemeinschaften im Fokus der Befragung.  Auch in Freiburg erhielten viele Studierende Besuch von „Erhebungsbeauftragten“. Wir fragten uns: Was passiert mit den erhobenen Daten, warum wurde die Volkszählung schon im Vorfeld kritisiert und was hat sich von dem befürchteten Widerstand in der Bevölkerung bewahrheitet?

In Freiburg haben in den vergangenen Monaten viele Studierende Besuch von Menschen erhalten, die einiges über sie wissen wollten: In Deutschland fand gerade die große Volkszählung, der Zensus 2011, statt. Jeder zehnte Bürger musste Auskunft erteilen, zusätzlich wurden alle befragt, die in einem sogenannten Sonderwohnbereich leben: Dazu zählen auch Studentenwohnheime. Allein das Studentenwerk Freiburg bietet 3.800 Wohnheimsplätze, dazu kommen noch Studierende in zahlreichen privaten Wohnheimen.

Unter zensus2011.de ist im Internet alles Wichtige über die Volkszählung aufgeführt: So auch, dass wer privat wohne, per Los dazu bestimmt werden konnte, an der Haushaltebefragung teilzunehmen.

Fragen an Studierende

Eine der Befragten ist Sylvia. Die Studentin der Kunstgeschichte und Kognitionswissenschaften lebt in einer Zweier-WG und hat Hausbesuch von einer Interviewerin erhalten. Diese stellte fest, wer und wie viele Personen in der WG leben und holte persönliche Angaben zu Sylvias Herkunft und Ausbildung ein. Doch wozu werden ihre Antworten verwendet?

Laut Duden ist eine Volkszählung die Gewinnung statistischer Daten über die Bevölkerung durch amtliche Erhebung. Auf seiner Webseite zum Zensus erklärt das Statistische Bundesamt, dass die Daten im Melderegister dem Staat zu ungenau seien: Im Laufe der Jahre würden sich Fehler einschleichen, so dass die Zahlen von der tatsächlichen Bevölkerungszahl abweichen würden.

In den Sonderwohnbereichen, zu denen eben auch Studentenwohnheime zählen, seien die Abweichungen besonders groß. Grund dafür seien die häufigen Mieterwechsel, bei denen eine Ummeldung oft nicht stattfinde. Daneben werden aber auch persönliche Daten erhoben, die der Staat noch nicht kennt, wie Wohnsituation und Herkunft.

Der Fragebogen für die Wohnheime beinhaltet 11 Fragen, WG´s erhalten eine längere Version mit 46 Fragen, die sich auch auf Ausbildungsstand und Erwerbstätigkeit beziehen.

Registergestützter Zensus

Das Statistische Bundesamt erhofft sich verlässliche Zahlen zum Leben, Arbeiten und Wohnen in der Bevölkerung. Aufgrund dieser Strukturdaten will der Staat herausfinden, wo in Zukunft Kindergärten, Schulen und Wohnraum gebraucht werden. Wichtigstes Ziel sei aber die Ermittlung der amtlichen Einwohnerzahl, die neben der Einteilung der Wahlkreise, der Besoldung von Landräten und Bürgermeistern und anderen Aufgaben als Basis für den Länder-Finanzausgleich diene, so das Bundesamt.

Weil bei der Datengewinnung auch die schon vorhandenen Verzeichnisse hinzugezogen werden, ist von einem registergestützten Zensus die Rede.

Historisches Volkszählungsurteil

Schon 1983 sollte in den alten Bundesländern eine Volkszählung durchgeführt werden. Der Widerstand in der Bevölkerung brachte den Fall bis vor das Bundesverfassungsgericht: Das setzte die Erhebung aus und etablierte in seinem historischen Volkszählungsurteil vom 15. Dezember 1983 erstmalig das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung als neues Grundrecht. Damit gewährleistet das Bundesverfassungsgericht dem Einzelnen, dass er grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten bestimmen kann. Das Urteil besagt: Will der Staat zugunsten des Allgemeininteresses trotzdem eine Volksbefragung durchführen, so muss er bei der Datenverarbeitung Grenzen einhalten.

Diese 1983 eingeführten Grenzen muss der Staat auch heute noch beachten. Das bedeutet: Besondere für den Zensus erlassene Gesetze bestimmen, dass personenbezogene Daten wie Name und Adresse nicht in die Statistik einfließen, sondern nur Hilfsmerkmale zur Durchführung der Befragung sein dürfen. Die Daten müssen also so früh wie möglich anonymisiert werden. Außerdem muss die Datenerhebung räumlich, personell und organisatorisch getrennt werden von anderen Verwaltungsbehörden, wie dem Einwohnermeldeamt oder Arbeitsamt.

Ganz wichtig ist das sogenannte Rückspielverbot: Daten, die für die Statistik gewonnen werden, dürfen nur dort einfließen, aber nicht an die Behörden zurückgeleitet werden. Die falschen Register bleiben damit falsch, die richtigen Daten dürfen allein in die Statistik fließen.

Kritiker zweifeln

Kritiker zweifeln an den Vorkehrungen des Staates. Unter zensus11.de warnt die Initiative des AK Vorratsdatenspeicherung davor, dass die Datenerhebung nicht anonym genug sei und dass die gesammelten Informationen an unbefugte Dritte oder an andere Behörden gelangen könnten. Sie wehren sich auch gegen persönliche Fragen wie der nach dem Migrationshintergrund. Außerdem, so die Kritiker weiter, würden den Bürgern die Befragungen aufgezwungen: Wer die geforderten Daten verweigere, der komme seiner gesetzlich verordneten Auskunftspflicht nicht nach und begehe demnach eine Ordnungswidrigkeit. In diesen Fällen sieht das Gesetz ein Bußgeld in Höhe von bis zu 5.000 Euro vor.

Der „Arbeitskreis Zensus“, ein Bündnis gegen die Volkszählung, gibt den Gegnern auf seiner Webseite Tipps, wie sie sich gegen die Befragungen wehren können. Aber die Internetseite ruft auch dazu auf, sich eine eigene Meinung zum Thema Volksbefragung zu bilden. Die Kritiker bemängeln vor allem die in ihren Augen schlechte Informations- und Aufklärungspolitik der Behörden.

Das statistische Bundesamt bemüht sich auf der Webseite, die Fragen der Bürger zu beantworten und ihre Zweifel zu zerstreuen. Auf dem sogenannten Dialogportal des Bundesamtes wird mit vielen Videos und ausführlichen Erklärungen Offenheit und Auskunftsbereitschaft signalisiert. Aber wie viel kommt davon bei den Bürgern an? Und was war von dem angekündigten Widerstand aus der Bevölkerung bei den Interviewern zu spüren?

Das Feedback zu den Befragungen ist durchweg positiv

„Ich habe eher das Gefühl, dass die Bevölkerung die Befragung über sich ergehen lässt“, sagt Andreas Kern. Er ist Leiter der Zensus-Erhebungsstelle in Freiburg, die insgesamt 180 Interviewerinnen und Interviewer ausgewählt und für die Befragung geschult hat. Kern und sein Team sind auch Anlaufstelle für alle Fragen und Beschwerden der Bürgerinnen und Bürger, die bei der Befragung anfallen. „Es gab bis jetzt etwa 20 Leute, die angerufen und sich beschwert haben“, sagt Kern.

Andreas Kern berichtet, dass das Interesse und die Ankündigung von Widerstand nachgelassen hätten, je näher der Stichtag am 9. Mai gerückt war. „Da war uns dann schon klar, dass wir wenige Probleme haben würden.“ Und weiter: „1987, bei der letzten Erhebung gab es ja Massenkundgebungen, da standen die Leute am Bertoldsbrunnen und haben demonstriert. So was gibt es heute nicht.“

Das Feedback der Erhebungsbeauftragten – so heißen die Interviewer offiziell – sei durchweg positiv, keiner habe schlechte Erfahrungen gemacht, erzählt Andreas Kern. Er hat auch eine Erklärung, woran das liegen könnte:

„Heutzutage haben wir eine wahnsinnige Informationsflut, so dass die meisten die Erhebung wohl einfach über sich ergehen lassen. Wenn wir heutzutage im Internet etwas kaufen, dann müssen wir schon so viele Daten angeben, dass die meisten Leute sich an die Datenabgabe gewöhnt haben.“

Auch er hat den Eindruck, dass die Informationskampagnen längst nicht alle Bürger erreichten: „Ich glaube, dass das Interesse mäßig ist, und die, die dann für die Befragung ausgewählt wurden sich erst nach der Benachrichtigung näher informierten.“

Wiederholungsbefragungen in den nächsten Wochen

Bis Ende Juli sollten alle Daten erhoben sein. Bei den Haushaltsbefragungen werden nun zusätzlich fünf Prozent aller teilnehmenden Personen ein zweites Mal befragt. Diese Wiederholungsbefragungen dienen der  Kontrolle der erhobenen Daten. Die Ergebnisse der Auswertung will das Statistische Bundesamt im Mai 2013 veröffentlichen.

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Weitere Informationen:

Die offizielle Seite des statistischen Bundesamtes: www.zensus2011.de

Die Kritik der Gegner ist auf www.zensus11.de zu lesen, mit weiteren Links und Nachweisen.

Die Adresse und Infohotline der örtlichen Zensus-Erhebungsstelle ist unter www.freiburg.de zu finden.

Foto:
Bloggerin: © Statistisches Bundesamt, www.zensus2011.de
Logo Hand: Arbeitskreis Zensus, www.zensus11.de
Briefkasten: © Statistisches Bundesamt, www.zensus2011.de
Veröffentlicht am 10. August 2011

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