Hilfe, ich habe Stress! Warum Freunde helfen können

Noch zwei Tage bis zur Prüfung. Der Druck steigt. Habe ich genug gelernt? „Du schaffst das!“ sagt ein Freund. Worte, die den Prüfungsstress lindern können. Warum das so ist und was das Hormon Oxytocin damit zu tun hat, weiß der Freiburger Neurowissenschaftler und Psychotherapeut Professor Heinrichs.

Herr Professor Heinrichs, Sie beschäftigen sich mit dem Thema „Stress“ und wie dieser bewältigt werden kann. Was ist Stress überhaupt?

Die meisten Formen von “Stress” können wir zunächst als eine Herausforderung ansehen, bei welcher der “Stressor” nicht zwingend krank machen muss.

Nehmen wir das Beispiel einer Examensprüfung: Zwei Prüflinge, die gleich viel gelernt haben, bestreiten dieselbe Prüfung mit dem gleichen Prüfer. Für den einen Prüfling ist es eine riesengroße Chance sein Wissen endlich zeigen zu können. Diese Herausforderung bereitet ihm vielleicht sogar Freude.

Für den anderen Prüfling ist die Zeit davor der absolute Horror. Ihn plagen Versagensängste, die eine existenzielle Bedrohung darstellen können. Dies birgt auch die Gefahr krank zu werden, eine Depression oder Angststörung zu bekommen.

Dieses Beispiel verdeutlicht, dass Stress individuell unterschiedlich bewertet wird und das ist einer der Schlüssel zum modernen Verständnis von Stress. Stress an sich ist noch nichts Schlimmes, sondern es kommt darauf an wie er bewertet und wie damit umgegangen wird.

Als Beispiel für eine Stresssituation erwähnen sie die Examensprüfung. Derartigem Stress sind Studierende im Laufe seines Studiums häufig ausgesetzt. Gibt es Möglichkeiten damit besser umzugehen?

Wichtig ist eine adäquate Gegenregulation, die diese Belastung ausgleicht, damit sie keinen Krankheitswert erlangt. Dazu gehört der Ausgleich durch Sport, Entspannung und vor allem durch soziale Kontakte.

Ein Fehler, den Studierende häufig machen, ist zwei Wochen vor der Prüfung auf die Schnelle eine Entspannungstechnik lernen zu wollen. Mit solch einem Druck ist das dann oft zu spät.

Mein Tipp: Wer schon aus seiner Schulzeit weiß, dass ihn Prüfungssituationen sehr belasten, soll sich damit frühzeitig offen auseinandersetzen. Dabei sind Entspannungstechniken und alle anderen Formen des Ausgleichs durchaus wirksam.

Bei schwerwiegenden Fällen bis hin zu Angststörungen gibt es Beratungsangebote an der Universität oder die Möglichkeit eine Psychotherapie zu machen.

Sie fanden heraus, dass soziale Unterstützung durch Freunde Stress lindern kann. Wie konnten Sie das zeigen?

Wir baten Personen zu einem Stresstest zu kommen. Davon sollten die zufällig ausgewählten Probanden der einen Gruppe eine Person ihres Vertrauens, zum Beispiel ihren Partner mitbringen. Die zufällig der anderen Gruppe zugelosten Personen kamen alleine.

Für die Stresssituation nutzen wir ein standardisiertes Verfahren, den „Trier Social Stress Test“, der aus zwei Aufgaben besteht: Der Selbstpräsentation und einer mathematischen Aufgabe. Bei der ersten Hälfte dieses Tests müssen die Probanden vor einem Gremium und einer Kamera frei reden. Der zweite Teil besteht aus einer fünfminütigen Kopfrechenaufgabe, die vorher nicht angekündigt wird.

In der einen Gruppe geben wir der mitgebrachten Vertrauensperson die Instruktion: „Sie dürfen alles sagen, was ihrem Freund oder Partner später in der Stresssituation hilft.“ Während des Tests messen wir permanent Stressparameter, wie die Herzfrequenz und den Cortisolspiegel, also das wichtigste Stresshormon und vergleichen die Kurven.

Bei 85 Prozent der Menschen weltweit, die diesen Test machen, kommt es dabei zu einer Verzwei- bis Verdreifachung der Werte, also zu einer deutlichen Stressreaktion. Schon wenn der Studienleiter ankündigt, was auf die Probanden zukommt, steigt der Cortisolspiegel an, ähnlich wie vor dem Prüfungsraum, wo der Studierende warten muss und einen Prüfling den Raum betreten sieht.

Im Test sahen wir, dass soziale Unterstützung von nur wenigen Minuten diese Stressreaktion massiv verringert.

Allerdings haben wir Unterschiede zwischen den Geschlechtern festgestellt. So profitieren Männer sehr stark von der sozialen Unterstützung ihrer Partnerin, während es bei Frauen, die von ihrem Partner verbal unterstützt werden, sogar zu einem Anstieg der Stressreaktion kommt. Wenn sie jedoch ihre Partnerin schweigend mit einer Schulter-Nacken-Massage unterstützen, dann hilft das wiederum enorm.

Männer sprechen also auf soziale Unterstützung anders an als Frauen. Sicherlich reagieren auch nicht alle Männer und Frauen gleich?

Erst vor kurzem konnten wir zeigen, dass es tatsächlich Unterschiede in der Bevölkerung gibt. Es gibt Menschen die anders auf das Hormon Oxytocin, welches wichtig für soziales Verhalten, Nähe und für das Emotionsverständnis bei anderen Menschen ist, ansprechen. 8 bis 12 Prozent der Bevölkerung – Menschen ohne psychische Erkrankung – weisen eine genetische Variante im Oxytocinrezeptor-Gen auf, die tatsächlich dazu führt, dass sie von sozialer Unterstützung kaum profitieren.

Wir haben es hier wahrscheinlich mit Menschen zu tun, die wunderbar durch das Leben kommen, aber nicht gerade Stärken im sozialen Verhalten besitzen. Sie gehen mit Stressreaktionen anders um, können Emotionen schlechter erkennen und sind schreckhafter.

Allerdings wissen wir auch, dass diese genetische Variante bei Menschen mit sozialen Defiziten, wie Autismus, häufig vorkommt.

Trotzdem ist mir als Psychologe daran gelegen nicht zu behaupten, dass ein Mensch sein Verhalten nicht mehr verändern kann. Unser Fokus liegt darauf die Therapie mit unseren neuen Erkenntnissen zu verbessern, damit Betroffene ihr Verhalten effektiver verändern können.

Oxytocin ist also das Hormon, das stressreduzierend wirkt, falls wir soziale Unterstützung erhalten. Was passiert dabei in unserem Körper?

Oxytocin kontrolliert wesentliche Stress-und Alarmsysteme in unserem Gehirn und reduziert ihre Aktivität. Belohnungsareale hingegen werden eher stimuliert. Oxytocin scheint es uns zu erleichtern soziale Nähe zuzulassen. Das ist auch die Voraussetzung für die Mutter- beziehungsweise-Vater-Kind-Bindung. Außerdem scheint Oxytocin unser Vermeidungs- und Aggressionsverhalten zu reduzieren, indem es die körperlichen Systeme, die das Kampf- und Fluchtverhalten aktivieren, kontrolliert.

Ein halbes Jahrhundert lang war Oxytocin nur als Frauenhormon bekannt und auch noch heute lernen Medizinstudierende, dass Oxytocin die Geburt einleitet und beim Stillen die Milch fließen lässt.

In meiner Doktorarbeit konnte ich zeigen, dass Oxytocin nicht nur ein wichtiger Geburtshelfer ist, sondern durch seine Wirkung im Gehirn auch unser Sozialverhalten beeinflusst und das nicht nur bei Frauen, sondern auch bei Männern.

Wäre ich denn stressfrei, wenn ich mir vor einer Prüfung eine Portion Oxytocin verabreichen könnte?

Das ist eine Traumvorstellung. Wer dreimal am Tag Oxytocin durch ein Nasenspray inhaliert, wird überhaupt nichts merken. Oxytocin ist kein neues Medikament, sondern ein evolutionsbiologisch betrachtet altes Hormon und das Hormon alleine hilft nicht.

Aber bei Erkrankungen, wie Autismus, der Borderline-Persönlichkeitsstörung oder der sozialen Phobie könnte Oxytocin durch das „Anticken“ des richtigen biologischen Systems in Kombination mit einer Psychotherapie das Verhalten und das Erleben bei diesen Patienten effektiver verändern. Vor allem bei Autismus haben wir bis heute keine Therapie, die wirkt. Auch wenn dieser neue Ansatz nur bei drei Prozent der Betroffenen wirken würde, wäre dies ein Meilenstein.

Auf Fragen wie: “Ist man auf Partys cooler wenn man vorher Oxytocin nimmt?” würde ich antworten, dass man da mit einem Glas Wein oder Bier weiter kommt.

Professor Dr. Markus Heinrichs …

ist Neurowissenschaftler und Psychotherapeut und hat den Lehrstuhl für die Biologische und Differentielle Psychologie am Institut für Psychologie der Universität Freiburg.

Hilfe bei Prüfungsangst

Psychotherapeutische Beratung beim Studentenwerk Freiburg

Veröffentlicht am 15. Februar 2012

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