Leben auf dem Campus – Studieren in China

Leben auf dem Campus – Studieren in China

22 Uhr: Treffen zum „Vorglühen“, ab 24 Uhr: Rein ins Nachtleben. Für Deutsche ein normaler Partyablauf – für Chinesen unvorstellbar. Andreas Vögele vom Studentenwerk Freiburg war mit einem Interkulturellem Training an chinesischen Unis unterwegs und hat viel Interessantes mitgebracht.

Herr Vögele, was ist der größte Unterschied zwischen dem deutschen und dem chinesischen Studentenleben?

Das europäische Nachtleben! Während sich in Deutschland Studierende zum Vorglühen treffen, gegen 23 Uhr erst langsam „warm“ werden und für die anstehende Party in Gang kommen, liegen chinesische Studierende um diese Zeit schon im Bett.

Für die meisten jungen Chinesen ist es nur schwer vorstellbar, wie man bis zum Morgengrauen durchfeiern kann – und sich das auch noch freiwillig antut! Eisgekühlte Getränke, ohrenbetäubende Musik, Alkohol, Drogen, Feiern bis in die Puppen: Chinesische Studierende wollen das nicht. Das europäische Nachtleben, die europäischen Partys sind in ihren Augen negativ – schlecht für Haut, Gehör, Magen und die Gesundheit allgemein.

Feiern denn die chinesischen Studierenden gar nicht? Wie verbringen sie ihre Abende?

Der chinesische „Partyablauf“ sieht folgendermaßen aus: Die Studierenden treffen sich um 18 Uhr zum gemeinsamen Essen, sehr häufig zum sogenannten „Hot Pot“, dem chinesischen Fondue-Essen. Um 20 Uhr geht es dann in eine Karaoke-Bar, hier singen sie chinesischen Rock-Pop und auch internationale Musik. Karaoke ist eine der beliebtesten Freizeitbeschäftigungen der Chinesen. Sie feiern ohne Alkohol und Drogen, nur die Allerwenigsten rauchen.

Ganz im Mittelpunkt steht die Unterhaltung, das Gespräch miteinander, das in China einen sehr großen Stellenwert hat. Um spätestens 24 Uhr sind die chinesischen Studierenden zur Nachtruhe zurück auf ihren Zimmern.

Natürlich ist das Land in jeder Hinsicht inmitten einer Umbruchphase und insbesondere in den Großstädten an der Ostküste wie Beijing oder Shanghai etabliert sich auch ein Nachtleben geprägt von Bars, Clubs und Diskotheken, zwar vorwiegend für junge berufstätige Milieus, aber auch Studierende halten dort nach und nach Einzug.

Sie waren als „Interkultureller Trainer“ an chinesischen Unis. Warum?

Durch das Interkulturelle Training können sich chinesische Studierende, die in Freiburg studieren wollen, besser auf diesen Aufenthalt vorbereiten. Die „deutschen“ Verhaltensweisen, Werte und Normen sind für chinesische Studierende sehr fremd.

Die Trainings öffnen für das zu erwartende Unbekannte im anderen Land und dienen auch dazu, Ängste davor abzubauen und den Auslandsaufenthalt als Herausforderung anzugehen.

Kulturelle Unterschiede gibt es in vielen Bereichen.

Wie kann man sich das Campus-Leben in China vorstellen?

Das chinesische Studentenleben spielt sich ausnahmslos auf dem Campus ab: Hier wohnen, studieren und leben die Studierenden. Nicht nur Wohnheime, sondern auch Supermärkte und studentische Restaurant befinden sich auf den Campen.

Die Tagesabläufe an den Universitäten sind von morgens bis abends für die Studierenden sehr strukturiert: Das Frühstück, Mittagessen und Abendessen findet beispielsweise in den Mensen statt, Lehrveranstaltungen,  die Pausenzeiten  sowie der tägliche Mittagsschlaf folgen einem regelmäßigen Rhythmus, an dem alle teilhaben.

Das umfasst auch die Freizeitbeschäftigungen, wie zum Beispiel Sport, das Mitsingen im Campus-Chor, oder die Aktivität in Theatergruppen. Sehr populär ist beispielsweise  Basketball. Jeder Campus hat riesige Basketballfelder. In der Freizeit spielen auf dem Campus zahlreiche Studierende auf den unzähligen Basketballfeldern in kleinen Mannschaften.

Wann sie lernen, wann sie essen, wann sie spielen, wann sie schlafen – alles folgt einem regelmäßigen und einheitlichen Rhythmus, an dem auch die Lehrkräfte teilnehmen, die ebenfalls größtenteils auf dem Campus wohnen.

Und wie sind die Dozierenden und Professoren? Ähnlich wie hier in Freiburg, oder eher streng und autoritär?

Die Dozenten haben eine erzieherische und fürsorgliche Funktion in China. Jede Klasse hat einen Klassenlehrer, der neben dem Lehrauftrag auch verantwortlich ist für persönliche Belange der Studierende. Das reicht von Schwierigkeiten mit möglichen Lernstörungen über Heimweh bis hin zum Liebeskummer. Seinem Dozenten solch persönliche Dinge anzuvertrauen ist für deutsche Studierende eine befremdliche Vorstellung, für Chinesen jedoch ganz normal.

Die Dozenten übernehmen in den Campusuniversitäten elterliche Rechte und Pflichten. Darum erfüllen Sie auch erzieherische Aufgaben und begleiten ihre Studierende durch Entscheidungsprozesse wie beispielsweise auch zu Fragen, ob man im Ausland studieren solle. Das liegt daran, dass Chinesen erst nach Abschluss eines Studiums beziehungsweise einer sonstigen Ausbildung als vollmündige Bürger in die Gesellschaft eintreten.

Während wir uns also schon mit 18 Jahren unabhängig von gewählten Ausbildungswegen „erwachsen“ nennen dürfen, haben die Chinesen noch ihr ganzes Studium vor sich, bis sie die Vollmündigkeit erlangen.

Wie sieht die chinesische Lehre aus?

Interaktive Seminare, wie sie an deutschen Unis gehalten werden, gibt es in China nicht, stattdessen übt man Methoden des Frontalunterrichts. Der Unterricht an den chinesischen Universitäten beruht auf der konfuzianischen Vorstellung einer idealen Lehre.

Das Prinzip der „Reinheit der Lehre“ beruht darauf, zunächst das ganze bereits vorhandene Wissen zu einem Thema zu erlangen und erst darauf aufbauend eigene Gedanken zu entwickeln. Darum herrscht im Lehrbetrieb auch eine sehr konzentrierte Haltung auf beiden Seiten, weshalb essen im Hörsaal oder laute Gespräche zwischen Kommilitonen, verspätet zu kommen oder verfrüht zu gehen undenkbar an chinesischen Unis ist.

Wie und wo leben die chinesischen Studierenden?

Sie leben alle in Studentenwohnheimen, die sich auf dem Campus der jeweiligen Uni befinden. In chinesischen Studentenheimen wohnen 6  bis 16 Personen auf einem Zimmer und es gibt eine strenge Geschlechtertrennung.

In alten Wohnheimen bestehen die Zimmer nur aus Etagenbetten, ohne Schreibtische mit nur kleinen Wandschränken für Kleidung. Die Studierenden lernen nicht auf ihren Zimmern sondern in der Bibliothek.

In neuen Wohnheimen sind die unteren Etagenbetten mittlerweile durch Schreibtische ersetzt, mit Internetzugang, PC und einer kleinen Standardbibliothek für jeden Bewohner. Darüber ist der Schlafplatz. Mit ihren Zimmerbewohnern pflegen chinesischen Studierende sehr intensive und lebenslange Beziehungen.

Wenn chinesische Studierende hier in Freiburg in ein Wohnheim kommen, zum Beispiel in die Stusie, dann schätzen sie es natürlich, mehr Platz zu haben. Aber plötzlich haben sie ein eigenes Zimmer und alle Mitbewohner machen gerne hinter sich die Türen zu, wenn sie alleine sein wollen: Das ist für Chinesen fremd und es kann sie sehr schnell einsam machen.

Was war Ihr Ziel als Interkultureller Trainer?

Die chinesischen Studierenden auf genau solche kulturellen Unterschiede vorzubereiten, wie zum Beispiel das Wohnen in einer offenen deutschen Universitätsstadt. In den Modulen „Interkulturelle Sensibilisierung“, „Interkulturelle Kommunikation“ und  „Ost trifft West“  habe ich versucht, die chinesischen Studierenden auf all das vorzubereiten, was das deutsche vom chinesischen Studentenleben unterscheidet, aber auch mit dem Augenmerk darauf, was uns verbindet.

Das Training soll aber auch keine Angst machen vor einem anderen Land, sondern diese durch die frühzeitige Orientierung auf die andere Kultur nehmen und ermutigen, offen auf das fremde Land zuzugehen. Die wichtigste Voraussetzung für einen gelungenen Aufenthalt in einem fremden Land ist die innere Beweglichkeit zwischen den Kulturen unter Bewahrung der eigenen Identität.

Dabei sind keine Fragen zu stellen nach dem „Besseren“ oder „Schlechteren“ sondern vielmehr nach dem „Anderen“ sowie dem „Eigenen“. Um eine andere Kultur zu verstehen, muss ich auch den eigenen soziokulturellen Rucksack kennen lernen. Das ist meiner Überzeugung nach die eigentliche Interkulturelle Kompetenz.

Andreas Vögele in Aktion an einer chinesischen Uni.

Wie haben Sie China insgesamt erlebt?

Ich habe China als ein impulsives Land kennengelernt, in dem eine große Aufbruchsstimmung herrscht. Außerdem habe ich Offenheit und Neugierde auf Neues erlebt. Die Chinesen verfügen über eine sehr gute Allgemeinbildung und sie sehen Deutschland als ein sehr beliebtes Land an.

Das chinesische Volk ist eine warmherzige und hilfsbereite Gesellschaft. In den Klassen an den Universitäten herrscht eine familiäre Stimmung, die dem Prinzip gegenseitiger Unterstützung folgt.

Info

Andreas Vögele ist beim Studentenwerk Freiburg für den Internationalen Club zuständig. Um Hürden für einen Studienaufenthalt abzubauen, war er von Mitte März bis Ostern 2012 an fünf chinesischen Universitäten unterwegs und hat dort Workshops für interkulturelle Kompetenzen geleitet.

Seit sechs Jahren arbeitet Andreas Vögele als Interkultureller Trainer nach entsprechenden Fortbildungen. Das Studentenwerk Freiburg beteiligt sich seit drei Jahren am „China-Trainee-Programm“ (CTP) der Robert Bosch Stiftung Stuttgart und dem Deutschen Studentenwerk in Berlin.

Finanziert wurde der Aufenthalt und das Training vom Studentenwerk Freiburg, der Robert Bosch Stiftung und den fünf chinesischen Universitäten.

Im Rahmen dieses Programms kommen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von chinesischen Hochschulen jeweils sechs Monate nach Deutschland und arbeiten an regionalen Studentenwerken. Was sie hier  erfahren, geben sie dann in China an die Studierenden weiter, die sich für unser Land interessieren. Von September 2011 bis Februar 2012 war zuletzt Frau Kana Liao von der Southwest University Chongqing in Freiburg als Trainee zu Gast.

Kana Liao  und Andreas Vögele  haben zusammen das “Training Interkulturelle Kompetenz Deutschland: China” entwickelt. Übrigens: Die chinesischen Studierenden bilden in Freiburg mit etwa 450 Personen die größte Gruppe unter den ausländischen Studierenden.

Interkulturelles Training als Video-Spiel

Um die chinesischen Studierenden außerdem auf einen Freiburg-Aufenthalt vorzubereiten, hat das Studentenwerk Freiburg das Online-Spiel  „UniCosmos Freiburg“ entwickelt.  Mit seiner Hilfe können chinesische Studienanfänger auf verschiedenen Levels und in virtueller Form alles Nötige erfahren, um zu erkennen wie Freiburg „tickt“ – im Alltagsleben, im Wohnheim und an der Hochschule. Auch für deutsche Studierende interessant!

Zum Spiel: www.studentenwerk-freiburg.de/unicosmos-freiburg

Foto: Andreas Vögele
Comics: Online-Spiel "UniCosmos Freiburg" SWFR
Veröffentlicht am 31. Mai 2012

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