Stress macht Männer sozialer

Freunde sind wichtig für das Wohlbefinden des Menschen. Von Frauen wussten Wissenschaftler seit den 1990er Jahren bereits, dass sie in Ausnahmesituationen die Nähe anderer suchen. In einer Studie zeigt der Freiburger Psychologie-Professor Markus Heinrichs nun, dass auch Männer in Stresssituationen viel sozialer reagieren als bisher angenommen.

In der Stressforschung galt bisher die “flight or fight”- Theorie als maßgeblich: Mensch und Tier reagieren also in Gefahrensituationen mit Kampf- oder Fluchtverhalten. Und das hatte seinen Grund, sicherte dies doch die Überlebenschance in den Zeiten, in denen „nicht ein wütender Chef, sondern ein Bär die Bildfläche betrat”, erklärt Professor Markus Heinrichs, Inhaber des Lehrstuhls für Biologische und Differentielle Psychologie.

Bisher war auf diesem Feld nicht viel geforscht worden, vielmehr wurde die prototypische männliche Stress-Reaktion die Kampf-oder-Flucht-Reaktion vorausgesetzt. Dieses alte Dogma widerlegte nun das Forschungsteam um Professor Heinrichs und Dr. Bernadette von Dawans in ihrer Studie „The Social Dimension of Stress Reactivity: Acute Stress Increases Prosocial Behavior in Humans”  zum Sozialverhalten von Männern, welche in der renommierten Fachzeitschrift „Psychological Science“ erschienen ist.

Männer in Stresssituationen gebracht

Für die Studie  wurden  36 männliche Probanden, alle zwischen 20 und 30 Jahre alt, in eine für sie unangenehm stressige Situation versetzt, indem sie in kurzer Zeit schwierige Rechenaufgaben lösen und sich vor einem kritischen Gremium präsentieren mussten.

36 weitere Teilnehmer wurden der Kontrollbedingung des Stresstests ausgesetzt, welche keine sozial stressigen Elemente enthielt. Mithilfe eines anschließenden Interaktionsspiels war es den Wissenschaftlern möglich, positives Sozialverhalten, wie zum Beispiel Teilen und Vertrauen, zwischen den Teilnehmern zu messen, und auch negatives, wie Bestrafen, festzustellen.

Dazu mussten die Probanden mehrfach entscheiden, ob sie beispielsweise ihrem unbekannten Spielpartner trauen wollten und somit die erspielte Belohnungssumme zwischen sich und dem Partner aufteilen würden oder ob sie bei unfairem Verhalten den Mitspieler bestrafen würden, selbst wenn das auch für sie für den Verlust der Belohnung bedeutete.

Negatives Verhalten nicht beeinflusst

Das Ergebnis überraschte die Wissenschaftler: Sie stellten fest, dass die Männer der Stressbedingung trotz der hohen Spiegel des Stresshormons Cortisol sowie einer hohen Herzfrequenz, häufiger mit positivem Sozialverhalten, anstatt mit dem „Kampf-oder-Flucht”-Prinzip reagierten, als ihre nicht gestressten Kollegen.

Die Studie belegt erstmals: Männer reagieren in Ausnahme- und Stresssituationen ähnlich wie es bereits zuvor für Frauen gezeigt wurde, nämlich nicht mit Kampf oder Flucht, sondern mit beschützendem („tend“) und Freundschaft anbietendem („befriend“) Verhalten. Negatives Sozialverhalten, zum Beispiel die Neigung zum Bestrafen, wurde durch Stress nicht beeinflusst.

Und was bedeutet das für unseren Unialltag? Können Studierende gerade in stressigen Prüfungsphasen von den Ergebnissen der Studie profitieren? Zunächst einmal sei es erfreulich, dass die jüngeren Generationen zu einem breiteren Spektrum an Reaktionen als vielleicht in früheren Generationen fähig seien, sagt Professor Heinrichs. „Für die weiblichen Studierenden bedeutet das, dass sie gewissermaßen soziales Verhalten auch in stressigen Situationen von ihren männlichen Mitmenschen einfordern können.”

„Bleib´ mir vom Leib, ich bin gestresst“ muss also nicht die typische männliche Reaktion auf Stress sein. Andererseits dürfe die Gesellschaft das Verhalten nicht als Verweichlichung der Männerwelt beurteilen. Ein bisschen Feingefühl und soziales Annähern ist also von beiden Seiten gefragt.

Kontakt

Lehrstuhl Prof. Heinrichs: www.psychologie.uni-freiburg.de

Veröffentlicht am 16. August 2012

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