Minderjährige Studierende starten durch

Seit des verkürzten Abiturs gibt es immer mehr von ihnen: 17-Jährige Studienanfänger erobern die Freiburger Uni. Auf die rechtlichen Besonderheiten stellte sich das Land Baden-Württemberg ein – immatrikulieren können sich die Minderjährigen jetzt auch ohne Mama und Papa.

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Immer mehr minderjährige Studierende drängen seit der Einführung des achtjährigen Gymnasiums an die Universitäten. Sie kommen aus fünf Bundesländern, in denen G8 bereits eingeführt wurde – darunter auch Baden-Württemberg. Laut Schätzungen des Deutschen Studentenwerks sind dieses Jahr bundesweit 3000 bis 4000 Abiturienten noch unter 18 Jahren. Für das Wintersemester 2012 wurde also mit einem wahren Ansturm der Campus-Küken gerechnet.

Doch zumindest in Freiburg fiel der geringer aus, als gedacht. Zwar hat sich die Anzahl der minderjährigen Studienanfänger im Vergleich zum letzten Wintersemester mehr als verdoppelt, doch ist sie mit knapp über 100 immer noch überschaubar. Und fast die Hälfte davon ist mittlerweile volljährig.

Der ursprünglich angekündigte Tsunami sei höchstens eine kleine Welle geworden, sagt Rudolf-Werner Dreier, Pressesprecher der Universität Freiburg. Und diese komme auch nicht sofort bei den Unis an: „Die Studienbewerber haben anscheinend die Katastrophenmeldungen in den Medien zur Kenntnis genommen und teilweise das Australien- oder Neuseeland-Jahr vorgezogen.“

Neue Gesetzgebung erleichtert das Uni-Leben

Die Aussichten für das Uni-Leben waren für minderjährige Studierende bisher auch nicht gerade rosig: Egal ob zur Immatrikulation, zur Beantragung des Bibliotheksausweises oder bei der Prüfungsanmeldung – ein Elternteil musste mit. Das nervte auch Katharina Schmuck, Studentin in Freiburg: „Man muss praktisch ständig in Kontakt bleiben, weil immer wieder irgendwas unterschrieben werden muss. Es würde einfach viel schneller gehen wenn ich solche Dinge alleine regeln könnte.“

Diesem verständlichen Wunsch vieler jugendlicher Studienanfänger kam das Land Baden-Württemberg jetzt nach. Durch das neue Landeshochschulgesetz sind Minderjährige, die eine Hochschulzugangsberechtigung besitzen, seit Mitte Juli für „Verfahrenshandlungen zur Aufnahme, Durchführung und Beendigung eines Studiums handlungsfähig“ (§63).

Für diese Vereinfachung sind aber nicht nur die Studierenden dankbar. Auch seitens der Universität Freiburg ist die Erleichterung groß: „Hier hat der Gesetzgeber vorbildlich gehandelt“, meint Rudolf-Werner Dreier. Man könne die jungen Studierenden auch nicht bei allem „pampern“. „Situationen mit Eltern, die sich beim Beratungsgespräch wie selbstverständlich hinsetzen, während der Student oder die Studentin dahinter steht, und unserer Berater erst mal sagen muss: ‘Können Sie bitte die Plätze tauschen’, müssen nicht sein.“

Diesen Helikopter-Eltern, die als Dauer-Coaches über den Sprösslingen schweben, müsse man das Loslassen beibringen. Der von der Freiburger Uni eingeführte Erstsemester-Familiennachmittag stellt dabei für Rudolf-Werner Dreier eine gute Möglichkeit dar, klare Verhältnisse zu schaffen: „Es ist eine Art Initiationsritus. Der Punkt, an dem man sagt: Wir verabschieden uns jetzt.“

Einerseits sei es zwar gut, dass Eltern in Studienentscheidungen eingebunden werden, auf der anderen Seite müsse damit irgendwann Schluss sein. „Denn die Studierenden sollen ja selbst flügge werden und die Chance erhalten ihre Persönlichkeit auszubilden. Das können sie nur, indem sie Erfahrungen machen und sich selbst in der Uni zurechtfinden.“ Und dank der neuen Gesetzgebung können sie das jetzt auch.

Doch ob man sich schon mit 17 in den „Uni-Dschungel“ wagen sollte, hänge vom Typ ab. „Einige brauchen erst noch eine Orientierungsphase oder wollen Lebenserfahrung sammeln. Andere wollen einfach möglichst schnell das Studium beenden und dann gleich in die Berufswelt gehen.“

 

Früher, weiter, schneller

Angesichts des immer weiter wachsenden Leistungsdrucks scheint diese Entscheidung allerdings nicht wirklich frei: Jünger und besser sollen die Absolventen heutzutage sein. Mit 17 den Bachelor anfangen und mit 20 ins Berufsleben starten – ein Konzept, das möglichst schnell neue Arbeitskräfte und Steuerzahler hervorbringen soll. Wer da trödelt, muss sich später vielleicht beim Arbeitgeber rechtfertigen.

Auch der Erwartungsdruck der Eltern trägt dazu bei, dass sich viele Jugendliche in das System fügen. Praktikumsplätze sind für frisch gebackene Abiturienten oft schwer zu ergattern, für Work&Travel sind die 17-Jährigen noch zu jung und ein Jahr „nichts tun“ kommt für die Eltern nicht in Frage. Auch deshalb wird bereits diskutiert ein Propädeutikum, also eine Art Vorstudium, einzuführen.

Für Lehramtsstudiengänge forderte das Dekanat der Philologischen Fakultät Freiburg jetzt ein bis zwei Jahre außerschulische Erfahrung, die vor dem Studienbeginn nachgewiesen werden sollen, um eine gewisse Reife und Lebenserfahrung unter späteren Lehrkräften gewährleisten zu können.

Alles in allem scheinen die Auswirkungen der Schulreform nicht jeden zu begeistern – es darf also noch gefeilt werden.

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Gemeinschaftsproduktion von Markus Matt, Cynthia Milos, Lukas Dueck, Maximilian Haberer im Seminar Journalismus crossmedial für Studierende der Medienkulturwissenschaft.

Seminarleitung: Silvia Cavallucci, Manuel Devant, Horst Hildbrand.

Veröffentlicht am 28. Februar 2013

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