Die Augen öffnen und informieren

Die Augen öffnen und informieren

Der diesjährige „Tag der Vielfalt“ fand am 15. November statt und stand unter dem Motto „Mehr, als du sehen kannst – Nicht sichtbare Behinderungen: Chronische und psychische Erkrankungen“. uniCross hat bei der Organisatorin Aniela Knoblich nachgefragt, was sich durch den Tag der Vielfalt ändert und was eigentlich “Nicht sichtbare Behinderungen” sind.

Letztes Jahr fand der Tag der Vielfalt zum Thema „Körperliche Behinderungenstattwelche Folgen hatte er, was hat sich an der Uni verbessert?

Es hat sich viel getan. Der Tag hat letztes Jahr dazu geführt, dass das Thema „sichtbare Behinderungen“ sehr stark ins Bewusstsein vieler verschiedener Personen und auch Einrichtungen geraten ist. Zum Beispiel ist beim Neubau oder bei der Sanierung von Gebäuden auf Barrierefreiheit in verschiedener Hinsicht geachtet worden.

Beim Neubau der Unibibliothek hat man darauf geachtet, dass beim Feueralarm nicht nur ein akustisches, sondern auch ein optisches Warnsignal eingebaut wird. Verschiedene andere Gebäude wurden mit einfachen Maßnahmen leichter zugänglich gemacht, es wurden Rampen gebaut, es wurden neue Geländer angebracht sowie Sichtstreifen an Glastüren.

Parallel dazu wurde im letzten Jahr eine umfassende Erhebung zur Barrierefreiheit in sämtlichen Unigebäuden durchgeführt. Da wurden Daten erhoben von der Anzahl der Treppenstufen bis hin zur Höhe eines Tastenfelds im Fahrstuhl. Diese detaillierten Einzelheiten sind jetzt eingespeist in den Online-Lageplänen der Universität, sodass man sich dort umfassend informieren kann, wie man von einem Gebäude ins andere kommt, wie man sich innerhalb eines Gebäudes bewegt und worauf man achten muss, wenn man sich im Rollstuhl oder als sehbehinderter Mensch dort bewegen will.

Dieses Jahr ging es im November um nicht sichtbare Behinderungenwas versteht man darunter?

Das ist eine schwierige und sehr umfassende Frage, wir haben lange über diesen Begriff nachgedacht. Der Begriff ist das Ergebnis sehr langer Überlegungen und der Versuch, etwas unter einem Oberbegriff zusammenzufassen, wofür es eigentlich keinen Oberbegriff gibt. Wir nennen das Thema des Tags der Vielfalt jetzt etwas umständlich „Nicht sichtbare Behinderungen, chronische und psychische Erkrankungen“, wobei natürlich nicht jede Einschränkung eine Behinderung ist und nicht jede Behinderung eine Krankheit.

Man muss da terminologisch unterscheiden, und damit wird es natürlich sprachlich weniger griffig. Zu solchen nicht sichtbaren Einschränkungen zählen zum Beispiel das Asperger-Syndrom, chronische Magen-Darm-Erkrankungen, Schmerzerkrankungen, Rheuma, aber auch Legasthenie und Dyskalkulie – und psychische Erkrankungen natürlich. Beispielsweise Depressionen, Angststörungen, Persönlichkeitsstörungen, und vieles andere, was man nicht sieht, was aber die Betroffenen stark beeinträchtigt. All das haben wir versucht, zusammenzufassen und an diesem Tag zu thematisieren.

Wie kann man diese ‘unsichtbaren’ Handicaps, Menschen, die davon nicht betroffen sind, vermitteln?

Das ist genau die Herausforderung. Wir wissen nicht, wie man das vermitteln kann. Das, was wir heute machen, ist der Versuch, es zu vermitteln. Die Überlegung war: Wir sprechen über nicht sichtbare Einschränkungen, wir wollen sie sichtbar machen – und zwar nicht die Einschränkungen an sich, sondern das Thema wollen wir sichtbar machen, indem wir die Zahlen visualisieren, also statistische Zahlen, wie viele Menschen von welchem Handicap betroffen sind. Das haben wir mit einem kleinen Film getan, den wir an der ganzen Uni in den verschiedenen Gebäuden, an verschiedenen Standorten gezeigt haben. Der Film lief überall prominent, sodass möglichst alle ihn sehen und sich auf diese Weise mit dem Thema auseinandersetzen konnten.

Außerdem gab es eine Überraschungsaktion: In einer Strafrechts-Vorlesung im Audimax gab es einen kleinen Flashmob, bei dem Studierende von der Mondo Musical Group des Studentenwerks ein Lied zu dem Thema gesungen haben – direkt aus der Vorlesung heraus. Das hat natürlich viel Aufmerksamkeit erregt. Wir boten außerdem eine Infobörse an, bei der verschiedene Anlaufstellen der Universität und von außerhalb der Uni sich vorstellen. Wir sind dabei überhaupt nicht vollständig in dem Sinne, dass jedes nicht sichtbare Handicap abgedeckt worden wäre – das kann man auch nicht sein – aber wir wollten zeigen, wie vielfältig und komplex das Thema ist.

Mit welchen Problemen haben Studierende, die an einer nicht sichtbaren Behinderung leiden, an der Uni zu kämpfen? Wie könnte man deren Situation verbessern?

Das ist sehr unterschiedlich, je nachdem, welche Krankheit oder Behinderung jemand hat, muss auch die Abhilfe ganz unterschiedlich aussehen. Da kann man keine pauschalen Antworten geben. Generell gilt aber: Die Grundvoraussetzung ist eine Offenheit dafür, dass es so etwas gibt, dass Menschen so etwas haben und mit manchmal sehr kleinen, manchmal größeren Unterstützungsmaßnahmen ihr Studium bewältigen können.

Jemand mit einer Depression kann manchmal einfach nicht in die Vorlesung kommen. Wenn die Möglichkeit besteht, das dem Dozenten mitzuteilen, kann man den Eindruck vermeiden, jemand sei faul oder unzuverlässig. Dann ist klar, was der Grund dafür ist, und man kann nach Lösungen suchen, den Stoff nachzuarbeiten.

Ein anderes Beispiel ist Legasthenie: Hier kann es hilfreich sein, eine Klausur am Rechner mit Rechtschreibprogramm schreiben zu können. Jemand mit einer Angststörung kann vielleicht nicht in der Mitte eines engen Hörsaals sitzen, an einem Einzeltisch aber gut eine Klausur mitschreiben.

Wir wollen nicht, dass alle Betroffenen sich outen und sagen, ich habe dies oder jenes. Aber wir wollen eine Umgebung schaffen, die für so ein ‘Outing’ offen ist, sodass die betroffenen Studierenden keine Nachteile befürchten müssen.

Gerade bei den psychischen Erkrankungen gilt ganz generell, dass wir eine Offenheit brauchen, dass man nicht sagt: „Die sind alle gestört und damit befassen wir uns gar nicht“, sondern dem einfach offen begegnet und nachfragt, was man braucht und was helfen könnte. Bei chronischen Magen-Darm-Erkrankungen kann es eine große Rolle spielen, wie weit vom Hörsaal entfernt die nächste Toilette ist. Auch darüber muss man reden können. Es sind manchmal solche ganz einfachen Fragen.

Was war das Ziel des Aktionstages?

Das Ziel war nicht, konkrete Handlungsanweisungen zu geben, was man tun soll, wenn man auf jemanden trifft, der ein bestimmtes Handicap hat, sondern einfach ganz grundsätzlich dafür zu sensibilisieren, dass es das gibt, dass das nicht verschwiegen werden muss und auch nicht peinlich ist, sondern ganz normal ist und zum Menschsein und auch zum Leben an der Universität dazu gehört, bei Studierenden ebenso wie bei Mitarbeitenden und Lehrenden.

Mehr Info

Am 15. November präsentierten sich verschiedene Anlaufstellen, bei denen Betroffene Hilfe suchen können. Eine Liste dieser Organisationen gibt es im Flyer (pdf).

Den Film zum Tag der Vielfalt gibt es als podcast hier zu sehen

und hier ist ein Video des Flashmobs.

Der „Tag der Vielfalt“ soll zu einer festen Einrichtung an der Universität werden und nächstes Jahr das Thema verschiedener sexueller Orientierungen behandeln.

Foto: Julia Müller
Autoren:
Veröffentlicht am 6. Dezember 2013

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