Entspannt und fokussiert durch den Tag

Entspannt und fokussiert durch den Tag

Im ersten Moment haftet dem Wort ‚Achtsamkeit‘ etwas Esoterisches an. Dabei zeigen aktuelle Forschungsergebnisse die Wirksamkeit dieser Meditationspraxis. Mit einfachen Techniken kann Stressleiden reduziert, Depressionen entgegengewirkt und sogar Schmerz gelindert werden. Der Psychologe und Achtsamkeitsforscher Professor Stefan Schmidt von der Uniklinik Freiburg erklärt im Interview was dahintersteckt.

Manchmal scheint alles gleich wichtig zu sein: Hausarbeiten stehen an, Geld muss verdient oder auch Kinder versorgt werden. Und gerade dann will es uns partout nicht gelingen, uns auf eine Sache zu konzentrieren. Wenn man wenigstens abschalten könnte und nicht auch die arbeitsfreie Zeit mit Freizeitstress verbringen würde! Wie also kann man wieder ausgeglichener werden und sich in den richtigen Momenten konzentrieren?

Professor Dr. Schmidt ist Psychologe und Achtsamkeitsforscher an der Uniklinik Freiburg und hat Antworten darauf.

Prof. Stefan Klein ist Achtsamkeitsforscher.

Prof. Stefan Schmidt

Herr Professor Schmidt, wie wichtig ist es, abschalten zu können?

Aus der Forschung weiß man, wenn man den Menschen keine Pausen gibt, dann schalten sie innerlich ab.

Es ist für die Selbstregulation also enorm wichtig, wenn man sich tagsüber kleine Auszeiten von seinen Beschäftigungen nimmt. Das machen wir in der Regel ganz automatisch. Dabei fällt es manchen leichter mit Stress umzugehen als anderen. Dazu können inadäquate von adäquaten Strategien unterschieden werden.

Inadäquat wäre zum Beispiel bei Stress abends ein Bier mehr zu trinken um runterzukommen, adäquater wäre dagegen sich mit Freunden zu treffen oder ins Kino zu gehen. Wie wichtig die sozialen Kontakte sind, wissen wir aus der Burnout-Forschung. Hier geht der Rückzug aus sozialen Beziehungen einher mit der zunehmenden Zentrierung auf die Arbeit.

Manch einer schwört ja auf Joggen zum Abschalten. Wie weiss ich, was das Richtige ist?

Joggen und Meditation liegen gar nicht so weit auseinander. Ein Kollege von der Sportmedizin hat gezeigt, dass regelmäßiges körperliches Training achtsamer macht. Ob Joggen ein Ersatz für Meditation sein kann, hängt davon ab, ob ich dabei eine achtsame Haltung einnehme.

Das Ziel der Achtsamkeit ist nicht, lauter schöne Dinge zu erleben, sondern dass Ihnen klar wird was Sie gerade tun und dass Sie das dann bewusst tun. Es ist also eher die Frage, welche Art der Achtsamkeits-Übung Ihnen am meisten liegt. Ob bei der Sitzmeditation, dem Körperwahrnehmen, der Gehmediation oder auch beim Joggen, es geht darum eine Haltung einzunehmen, die sich regenerierend auf den Geist auswirkt.

Die Dinge bewusst tun, ist das nicht das gleiche wie konzentriert sein?

Konzentration und Achtsamkeit sind nicht das gleiche. Konzentration ist immer eine sehr kraftvolle mentale Anstrengung, die Sie nicht lange durchhalten. Das hat immer was Zupackendes. Fluglotsen zum Beispiel müssen wachsam sein, aber wenn Sie das die ganze Zeit konzentriert machen würden, wären Sie schon schnell müde. Was Fluglotsen brauchen, ist ein entspannter und fokussierter Geist.

Der Effekt der Achtsamkeit ist dem der Konzentration zwar ähnlich – sowohl mit Konzentration als auch mit Achtsamkeit bleiben Sie bei einem bestimmten Punkt. In der Achtsamkeit lernen Sie allerdings fokussiert zu sein und ohne sich dabei anzuspannen.

Wie unterscheiden sich die Achtsamkeits-Techniken von anderen Techniken wie Yoga oder Autogenem Training?

Achtsamkeit kann zweierlei sein. Man kann sie als Technik sehen oder aber als Grundhaltung: Letzteres meint den Versuch, den ganzen Tag achtsam zu sein. Zum Yoga ist der Unterschied gar nicht so groß. Das Hineinspüren in den Körper zum Beispiel beim Hatha-Yoga ist auch eine Achtsamkeitspraxis.

Im Unterschied zu Verfahren wie zum Beispiel der Progressiven Muskelentspannung nach Jacobson, geht es beim Achtsamkeit-Training darum, eine geistige Grundhaltung einzuüben, die sie dann auf alles, jeden und natürlich sich selbst den ganzen Tag über anwenden können.

Natürlich spielt bei der Frage nach Achtsamkeit als Technik oder als Grundhaltung auch die eigene Motivation eine Rolle, ob man es zum Beispiel aus Wellness oder spirituellen Gründen praktiziert. Das hohe Ideal des buddhistischen Mönchtums ist es alles bewusst zu erleben, also beispielsweise zu wissen, mit welchem Atemzug man morgens aufwacht und mit welchem man abends einschläft.

Wie übt man sich in Achtsamkeit?

Also zuerst einmal ist die Idee nicht, dass man sich hinsetzt und sich einfach am Nichtstun freut. Die Idee ist, dass ich mir einen ruhigen Raum suche, in dem ich üben kann, achtsam zu sein. Ein großes Problem ist, dass es zwar viele Techniken zur Stressbewältigung gibt, ich sie aber im Ernstfall nicht parat habe. Die in der Ruhe eingeübte Haltung der Achtsamkeit soll mir helfen, dass ich mich in stressigen Situationen daran erinnere. So gesehen ist das Meditieren die Trockenübung für die wirklich schwierigen Situationen.

Der Amerikaner Jon Kabat-Zinn hat dazu einen acht-Wochen-Kurs entwickelt, bei dem man sich jede Woche zweieinhalb Stunden trifft und zusätzliche Hausaufgaben bekommt. Dazu gibt es noch den Tag der Achtsamkeit, in dem man Alltagstätigkeiten bewusst verrichtet. Also zum Beispiel beim Treppensteigen wirklich mit der Aufmerksamkeit beim gegenwärtigen körperlichen Erleben zu bleiben und nicht etwa im inneren Zwiegespräch mit der Mutter zu sein oder den Einkaufszettel im Kopf durchzugehen.

Schön üben kann man das zum Beispiel beim Zubereiten des Essens und beim Essen selbst. Da stellt man öfters fest, dass es viel intensiver schmeckt, wenn man richtig ‚hinschmeckt‘.

Fällt es nicht unglaublich schwer sich überhaupt die Zeit für Achtsamkeit zu nehmen, wenn soviel Unruhe um einen ist?

Wenn Sie sich regelmäßig zu einem festen Zeitpunkt zum Meditieren hinsetzen, dann merken Sie, ob ihr Geist eher ruhig ist oder ob die ‚die Post abgeht‘. Mit dem Achtsamsein wird eben das was ist ins Bewusstsein geholt. Man kann auch sagen, man bekommt einen externen Beobachter, der immer mitläuft und einem zeigt, was man gerade tut und ob man noch beim Eigentlichen ist.

In Stresssituationen verliert man schnell die Kontrolle und die Übersicht. Mal ein Beispiel was viele kennen: Ich habe eine Arbeit abzugeben und nicht mehr viel Zeit, verliere mich aber in unnötigen kleinteiligen Aufgaben. Der Blick aufs große Ganze geht unter Stress vollkommen verloren. Durch die Achtsamkeit lernen Sie aus diesem Tunnel herauszutreten und wieder andere Prioritäten zu sehen.

Lernt es sich besser in der Gruppe oder allein mit einem Buch?

Auf der einen Seite sind die Übungen sehr einfach. In der Umsetzung erweist es sich jedoch als sehr schwierig, zum Beispiel mit der Aufmerksamkeit beim Atem zu bleiben. Von einem Buch rate ich generell ab, denn der Austausch mit Anderen über das Geübte ist am wichtigsten.

Die Forschung zeigt, dass diese achtwöchigen Kurse viel bringen. Aber um längerfristig dabeizubleiben, darüber entschiedet häufig, ob ich eine Gruppe habe, mit der ich mich regelmäßig über die Erfahrungen mit Achtsamkeit austauschen kann.

Was sagt die Forschung wie sich Achtsamkeit auf Geist und Körper auswirkt?

Positiv, aber nicht in dem Maße wie es der Hype um Achtsamkeit in Magazinen wie Stern oder Spiegel uns glauben machen. Obwohl die Kurse generisch, also nicht auf spezifische Zielgruppen zugeschnitten sind, wirken sie ähnlich gut wie vergleichbare psychotherapeutische Verfahren. Gute Effekte sehen wir bei der Emotionsregulation, bei Depression, Ängstlichkeit, Wut und Trauer. Und natürlich bei der Reduktion von Stress. Außerdem ist die Lebenszufriedenheit bei Achtsamkeit-Praktizierenden höher, was sich wiederum auf das körperliche Wohlbefinden auswirkt.

So zeigen auch Studien mit chronisch kranken Menschen, dass sich zwar an den Symptomen nicht viel ändert, die Leute aber mit der Achtsamkeit einen besseren Weg finden mit der Krankheit umzugehen. Sie leiden weniger. Bei Migräne konnte beispielsweise gezeigt werden, dass die Migräneattacken nur um 20 Prozent zurückgehen, die Menschen aber viel besser damit umgehen, was sich daran zeigt, dass sie weniger Medikamente nehmen.

Dafür ist auch ein weiterer zentraler Aspekt der Achtsamkeit von Bedeutung: Die bedingungslose Akzeptanz von Dingen, die ich als stressig und schwierig bewerte, an denen ich aber selbst nichts ändern kann. Ein simples Beispiel ist, wenn ich beim Autofahren geblitzt wurde. Da kann ich mich noch so sehr und lange drüber aufregen, an der Tatsache selbst ändert das aber nichts.

Ist die Achtsamkeit auch eine Art Selbstoptimierung?

Mit Hilfe der Achtsamkeits-Mediation können Sie sich in der Hinsicht optimieren, dass Ihnen bewusst wird, wofür Sie wie viel Zeit aufwenden. Man hält sich oft zu lange und kräftezehrend bei Unwichtigem auf. Anstatt sich zum Beispiel lange über die Themenstellung einer Arbeit zu ärgern, könnte man sich besser fragen, wie ich es mit meinen Voraussetzungen anpacken kann. Dazu kommt natürlich auch die gesellschaftliche Komponente. Gerade wenn es darum geht sich für die Uni-Karriere zu optimieren, lässt einen die Achtsamkeit innehalten: Was ist das für ein System und wie stehe ich dazu? Lebe ich was ich will? Bin ich bereit für diesen Wettkampf?

Was uns zur soziologischen Relevanz des Ganzen führt. Unsere Gesellschaft beschleunigt sozial immer mehr und wenn wir den daraus folgenden Stress dann über Achtsamkeit kompensieren, wird es dazu führen, dass die Forderungen immer größer werden. Wenn wir Achtsamkeit also nur als eine Technik im System anwenden, geht ihr eigentlich revolutionäres Potential verloren: Nämlich das bewusste Erkennen dieser Schwächen im System, innerhalb dessen ich nur bedingt etwas an mir selbst ändern kann.

 Infos

Die Psychotherapeutische Beratungsstelle (PBS) des Studierendenwerks und das Studium Generale der Universität Freiburg bieten regelmäßig Workshops in Achtsamkeits-Mediation oder 8-wöchige Kurse in MBSR an. Das steht für „Mindfulness Based Stress Reduktion“, auf deutsch „Achtsamkeitsbasierte Stress-Minderung“.

Angebote gibt es daneben von örtlichen Yoga-Zentren oder Therapeuten. Außerdem lohnt es sich bei der eigenen Krankenkasse nachzufragen. Oftmals übernehmen sie im Rahmen der Förderung von Gesundheitsprävention einen Teil der Kurs-Kosten.

Kurse beim Studierendenwerk: www.swfr.de/beratung-soziales/beratungsstellen/psychotherapeutische-beratung/

Kurse beim Studium generale: www.studiumgenerale.uni-freiburg.de/Kurse/koerper-seele

Fotos: 
Bank: Marianne Heinze
Stefan Schmidt: Philipp von Recklinghausen
Veröffentlicht am 29. Januar 2014

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