Mein Kommilitone der Flüchtling

Mein Kommilitone der Flüchtling

Die Konflikte im Nahen Osten sind kein Abstraktum. Sie sind real. Viele Menschen fliehen vor katastrophalen Umständen, Gewalt, Krieg und Angst. Es sind Familien, Handwerker, Lehrer und Studierende wie die Syrerin Salam. Und sie landen schließlich hier. In Freiburg. Im Zimmer neben an.

Die mediale Berichterstattung vermittelt von Zeit zu Zeit den Eindruck einer schier endlosen Kette an Katastrophen. So löst ein Grubeneinsturz in der Türkei vielleicht einen ägyptischen Militärputsch ab, eine Offensive schiitischer Islamisten im Irak die ost-ukrainischen Aufstände. Und eine erfolgreiche deutsche Nationalmannschaft lässt dann für einen kurzen Moment alle Sorgen vergessen.

Irgendwo in dieser Reihe findet sich auch jener syrische Krieg, der in den vergangenen vier Jahren über 100.000 Menschen das Leben kostete und mehrere Millionen Frauen, Männer und Kinder zu Flüchtlingen machte.

Wie in einer Parallelwelt

 

2010 kam Salam aus Syrien über ein Stipendium an die Universität Freiburg, um hier in Finanzwesen den Master zu machen. Ein Jahr später begann in ihrer Heimat, was die junge Syrerin im Anfang noch als „Revolution“ bezeichnet. Das Regime unter Präsident Assad begegnete den Demonstrierenden mit einer Gewalt, „die über das hinausgeht, was wir uns vorstellen konnten“. Damals sei sie sehr emotional gewesen, ungläubig verfolgend, was sich in der arabischen Welt abspielte. „Ich lebte von einem Tag zum nächsten. Es fühlte sich so seltsam an, die Menschen in Freiburg zu sehen, wie sie einfach die Straße hinunter laufen, ohne in irgendeiner Form davon beeindruckt zu sein.” Eine Zeit lang habe sie sich kaum konzentrieren können und sei sehr besorgt um ihre Familie gewesen.

Zur Familie gehört auch ihr Bruder Ghaith, der vor einigen Monaten nach Deutschland gekommen ist und nun gemeinsam mit der Mutter in einem Freiburger Asylbewerberheim wohnt. Sein Studium an der Universität von Aleppo musste er abbrechen, nachdem man ihn zuvor zweimal wegen der Teilnahme an Demonstrationen festgenommen hatte. Ohne die nötigen Papiere führte ihn sein Weg über die Türkei und Ägypten nach Libyen. Wie so viele gelangte er schließlich später über das Mittelmeer nach Italien und von dort aus nach Deutschland, in das Heim nach Freiburg. „Das Heim ist grundsätzlich in Ordnung. Das Einzige, was mir nicht gefiel, ist, dass ich zunächst keinen Sprachkurs machen konnte“. Ohne Aufenthaltsgenehmigung sei das nur möglich, wenn man selbst dafür bezahle.

Ohne Perspektive

Junge Syrer wie Ghaith und Salam stehen in der Gefahr, Teil einer „verlorenen Generation“ zu werden, wie sie manche Experten bezeichnen. Als Flüchtlinge, traumatisiert oder körperlich verwundet, bedingt durch Gewalt gegen Studierende und Dozierende, sind viele von ihnen nicht in der Lage, ihr Studium abzuschließen oder müssten in Ländern wie Deutschland wieder von vorne beginnen und entscheiden sich dafür, stattdessen zu arbeiten, um Geld verdienen zu können. Folgt man aber der Ansicht von Verantwortlichen des Instituts für Internationale Bildung (IIE), so sind es gerade jene Hochschulabsolventen, die „dringend benötigt werden, um später das Land wieder aufzubauen“.

Um sie bei ihrer akademischen Ausbildung zu unterstützen, gründete das IIE 2012 zusammen mit anderen Institutionen das Syrien Konsortium, dessen Ziel es ist, Stipendien bereitzustellen und Studierenden wie Lehrenden aus Syrien eine sichere Umgebung zu bieten. Des Weiteren soll die vom ehemaligen portugiesischen Präsidenten Jorge Sampaio eingeführte „Global Platform 4 Syrian Students“ in Zusammenarbeit mit Universitäten Europas und des Nahen Ostens 2014 ungefähr 300 Stipendien ermöglichen.

Die Universität Freiburg sehe sich finanziell nicht in der Lage, Stipendien für syrische Studierende bereit zu stellen, wie die Pressestelle mitteilte. Das liege unter anderem daran, dass die Mittel, die für die Förderung der Internationalisierung zur Verfügung stünden, begrenzt seien, und nur für bestimmte Zwecke verausgabt werden dürften. Allgemein bestünde aber für internationale Studierende, Doktorandinnen und Doktoranden in Not die Möglichkeit, sich um eine kurzfristige Studien- beziehungsweise Studienabschlussbeihilfe beim International Office zu bewerben.

Der lange Weg zum Frieden

Die genannten Bemühungen allein werden die Probleme der syrischen Bevölkerung allerdings nicht lösen können. „Ich glaube, dass die Menschen am Ende ihre Freiheit bekommen werden, aber der Preis, der dafür schon bezahlt wurde, ist einfach zu hoch“, meint Salam. „Das Land ist tief gespalten, nicht nur in Alawiten und Sunniten. Auf der einen Seite sind die, die im Land geblieben sind, auf der anderen diejenigen, die es verlassen haben. Und jene, die vor Ort geblieben sind, haben jetzt eine gewisse Bitterkeit gegen die anderen“.

Zum Weltflüchtlingstag am 20. Juni 2014 betonte Bundesinnenminister Thomas de Maizière Deutschlands Bereitschaft zu humanitärer Hilfe auf internationaler Ebene, und führte die Aufnahme von 20.000 Syrern an. Gemessen an den Zahlen, die die UN Flüchtlingshilfe (UNHCR) vor wenigen Wochen veröffentlichte, macht das nicht einmal ein Prozent an der Gesamtzahl aller aus Syrien Geflohenen aus, ganz zu schweigen von den über sechs Millionen, die Flüchtlinge im eigenen Land sind. Salam und Ghaith leben hier in Freiburg. Direkt vor unserer Haustür. Und sie erinnern daran, dass der Krieg in Syrien weitergeht, selbst dann, wenn es hier niemand merkt.

Infos zum Krieg in Syrien

Was 2011 im Zuge des so genannten Arabischen Frühlings mit friedlichen Demonstrationen gegen das Regime von Präsident Baschar al-Assad begann, entwickelte sich schon bald zu einem blutigen Bürgerkrieg, dessen Ende weit entfernt scheint. Die Lage ist unübersichtlich und die Berichterstattung aus Syrien gestaltet sich aufgrund der andauernden Gewalt schwierig. Unterschiedliche Gruppen, darunter radikal-islamische, Regierungstruppen und die Freie Syrische Armee, kämpfen um territoriale Kontrolle und die Durchsetzung ihrer Ziele. Millionen Menschen sind auf der Flucht.

 Zum Weiterlesen

Informationen zum Krieg in Syrien bei der Bundeszentrale für politische Bildung

Institute Of International Education (IEE)

IIE Syria Consortium

Weltflüchtlingsreport 2013

Erklärung des Bundesinnenministers anlässlich des Weltflüchtlingstags am 20. Juni 2014

Text & Foto

Gemeinschaftsproduktion von Michael Etoh, Moses Mielke, Marwa Niazi im ZfS-Seminar Journalismus crossmedial. Foto: Moses Mielke.

Seminarleitung: Silvia Cavallucci, Horst Hildbrand.


Veröffentlicht am 1. Oktober 2014

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