Yalla Yalla nach Ramallah

Yalla Yalla nach Ramallah

Simone ist seit Kurzem in Ramallah. Sie wird dort die nächsten drei Monate verbringen und an der Birzeit-Universität Arabisch und Politik studieren. Für uniCross schreibt sie über ihre ersten Eindrücke und ihre Gründe, warum sie sich für ein Auslandssemester in einem arabischsprachigen Land entschieden hat.

„Warum willst du nicht nach Australien, wie alle anderen auch?“ Das war die Frage, die mir mein Vater stellte, als ich nach dem Abi entschied ein Jahr in Israel zu leben. Ich habe dort in einem Internat für Jugendliche aus eingewanderten Familien gearbeitet. Die Jugendlichen, die hauptsächlich aus der ehemaligen Sowjetunion und Äthiopien stammen, brachten mir ihre schwierigen Realitäten näher. Das Potenzial zu erkennen, das sie in sich tragen, das aber wohl nie ausgeschöpft werden kann, machte mich oft traurig.

Die Einrichtung, eine eingezäunte Ansammlung von Gebäuden, liegt abgeschieden im Süden Israels innerhalb der Reichweite für Raketen aus Gaza. So hatte ich während meiner Zeit dort mit zwei weiteren Belastungen zu kämpfen: Die Raketenalarme, die einen aus dem Bett reißen und in den Bunker zwingen – und Einsamkeit.

Diesmal aber soll alles anders sein. Ich werde nicht in Israel leben, sondern in den Palästinensischen Autonomiegebieten. Ich werde nicht abgeschieden wohnen, sondern im Zentrum einer pulsierenden Stadt. Und ich komme mit einem klaren Ziel: Arabisch lernen.

Arabisch erleben

An der Universität Freiburg studiere ich seit vier Semestern Politik- und Islamwissenschaft. Anderthalb Jahre lang hatte ich Arabisch-Unterricht. Anderthalb Jahre kämpfte ich vor allem mit der Grammatik. Ich lerne eine Sprache hauptsächlich durch hören, durch selbst sprechen und durch eine ständige Konfrontation mit den Gründen, warum ich diesen Aufwand überhaupt auf mich nehmen soll. Ein Auslandsaufenthalt reizte mich also schon, seit ich das erste Mal mein nicht bebildertes und mit unzähligen Grammatikausnahmen gefülltes Arabischbuch aufgeschlagen habe. Die Vokabeln, die man gerade gelernt hat, unmittelbar anwenden zu können und nicht nur schwarz auf weiß in einem Buch vor sich zu haben – das motiviert mich hier am meisten.

Etwa, wenn man sich nach dem Unterricht mit einer Traube Studierender in ein Sammeltaxi drängt, das dann in Windeseile ins Zentrum von Ramallah rast. Hier beginnt man nun erste Gesprächsfetzen aufzufangen und freut sich dabei über jede gelernte Vokabel. Oder auf dem überfüllten Markt, wo alte und junge Händler ihr farbenfrohes Gemüse, das sie auf verschlissenen Verkaufswägen zu hohen Kunstwerken auftürmen, mit durchdringendem Gebrüll anpreisen. Bestellt man das erste Mal seinen ganzen Einkauf auf Arabisch und hält dabei noch einen kleinen, aber feinen Smalltalk, dann fühlt man sich direkt für alles Büffeln belohnt.

Die gelben Sammeltaxis, sogenannte Services, warten vor der Uni auf Fahrgäste.

Die gelben Sammeltaxis, sogenannte Services, warten vor der Uni auf Fahrgäste.

Ein Auslandssemester in einem arabischsprachigen Land ist aber nicht ganz einfach zu organisieren. Eine Kooperation der Uni Freiburg mit Damaskus wurde eingestellt. Der Austausch des Orientalischen Seminars mit der Al-Azhar Universität in Kairo kam in den vergangenen Semesterferien nicht zustande, da die Sicherheitslage dies nicht zuließ.

Wer ins arabischsprachige Ausland möchte, dem bleibt nur die Möglichkeit, sich selbst zu informieren und auf eigene Faust Bewerbungen an Universitäten zu schicken. Zusätzlich muss man sich um Versicherungen, Unterkunft und Finanzierung kümmern. Ich werde von der Universität Freiburg und dem DAAD mit einem Promos-Stipendium finanziell unterstützt. Bei längeren Aufenthalten fördert der DAAD Studierende direkt und nicht über die Universität. In meinem Fall war es wichtig, eine Reisekrankenversicherung abzuschließen, die auch die Behandlung von Verletzungen durch Krieg, kriegsähnliche Ereignisse oder innere Unruhen übernimmt. Bei den meisten Versicherungen sind diese nämlich nicht automatisch mitversichert.

Der Campus umfasst 24 Hauptgebäude. Zu viele um alle auf ein Bild zu bannen.

Der Campus umfasst 24 Hauptgebäude. Zu viele um alle auf ein Bild zu bannen.

Meine Unterkunft habe ich über Freunde und Bekannte gefunden. Jedoch bietet auch die Universität Birzeit Hilfe bei der Vermittlung von Unterkünften an. Generell sollte man als „Free Mover“, der seinen Auslandsaufenthalt selbst organisieren muss, früh genug anfangen sich zu informieren, um Probleme rechtzeitig erkennen und lösen zu können. Erste Anlaufstellen sind dabei das International Office, der DAAD und später auch die Wunschuni im Ausland.

Akademische Ansichten

Nachdem ich alle Hürden genommen hatte, konnte ich mich in den noch fremden Unialltag stürzen. Der Campus von Birzeit liegt circa zehn Kilometer von Ramallah entfernt auf einer Anhöhe. Das Gelände ist übersät von großen Gebäuden aus cremefarbenem Stein, die einen blenden, wenn die Sonne heiß vom Himmel strahlt. Der Ausblick auf die umliegenden Hügel und Dörfer ist malerisch. Es wehen bunte Fahnen im Wind. Auch die der Hamas leuchten grün in der Sonne. Studierende entspannen sich in der Sonne von Vorlesungen, essen belegte Sesamkringel und trinken arabischen Kaffee.

Olivenbäume, die auch Nationalsymbol und Haupteinnahmequelle Palästinas sind, säumen die Hügel um Birzeit.

Olivenbäume, die auch Nationalsymbol und Haupteinnahmequelle Palästinas sind, säumen die Hügel um Birzeit.

Es gibt genauso viele Frauen wie Männer. An der Uni kann man auch selbstverständlich ärmellose Tops tragen – hohe Hacken und viel Schminke sowieso. Es gibt mehrere Cafeterien, einen Buchladen, ein Museum, eine Krankenstation, Sportplätze, Bankautomaten und und und. Der Campus ist wie eine kleine Stadt.

Eine Mensa gibt es nicht, sondern mehrere Cafeterien mit unterschiedlichen Angeboten – hier die kleinste.

Eine Mensa gibt es nicht, sondern mehrere Cafeterien mit unterschiedlichen Angeboten – hier die kleinste.

In einem der cremefarbenen Gebäude, im ersten Stock ist das Büro des PAS-Programms. Das „Palestine and Arabic Studies Program“ bietet für internationale Studierende Kurse in Hocharabisch, aber auch auf Konversation ausgerichtete Kurse für den lokalen Jerusalemer Dialekt an. Die Mitarbeiterinnen des Programms sind immer freundlich und wahnsinnig gut organisiert. Jede E-Mail wird beantwortet und für die internationalen Studierenden ist das PAS-Büro die erste Anlaufstelle bei Fragen. Zusätzlich kann man sozialwissenschaftliche Seminare besuchen. Diese haben zumeist die lokale politische Situation zum Gegenstand. Dieses Semester werden nur zwei Kurse angeboten: „Palestine Question“ und „Modern & Arab Contemporary Thought“. Eigentlich sollte es noch weitere Kurse geben, aber es fehlen die Teilnehmer. Es gibt dieses Semester circa 40 PAS-Studierende und damit nur etwa halb so viel wie im vergangenen.

Zu vermuten ist, dass der noch nicht lange zurückliegende Gaza-Krieg viele internationale Studierende abgeschreckt hat, an der im Westjordanland liegenden Birzeit-Universität zu studieren.

In Ramallah jedoch regiert der Alltag und von einer außergewöhnlich aufgeheizten Stimmung ist auf den Straßen nichts zu spüren. Im Durcheinander von Autos, Sammeltaxis und kleinen Verkaufswägen schlängeln sich die Bewohner der Stadt zu ihrem Ziel. Männer mit bodenlangen Gewändern und Gesichtern, die hinter uferlosen Bärten halb verdeckt sind, gehören zum Stadtbild von Ramallah genauso wie Frauen in engen Jeans und kurzen Blusen, deren Locken beim Gehen auf und ab wippen.

Ramallah gilt als die „westlichste“ Stadt des Westjordanlandes und die Bevölkerung als weltoffen. Sie ist eine Blase, die sich von anderen Städten unterscheidet. Mancher Palästinenser formuliert, vielleicht etwas überspitzt und auch nur halb ernst gemeint, sogar den Vergleich zu westlichen Metropolen wie New York. Welche Abenteuer die sogenannte „Big Olive“ Palästinas noch für mich bereithält, werde ich in der kommenden Zeit entdecken dürfen und ich freue mich schon darauf.

Übrigens: Das arabische „Yalla“ ist ein im Alltag sehr oft verwendeter Ausdruck mit unterschiedlichen Bedeutungen. Die Übersetzung „Auf geht’s!“ passt wohl am besten.

Infos zum Austausch

www.studium.uni-freiburg.de/studienbewerbung/austausch/promos

www.daad.de/ausland/studieren/de/

sites.birzeit.edu/pas/

Fotos: Simone Rehm
Autoren:
Veröffentlicht am 16. Oktober 2014

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