“Die Fliegen“ von Sartre

“Die Fliegen“ von Sartre

Eine Stadt wird von Toten heimgesucht, eine Stadt wird von einem Mörder regiert. Die studentische Theatergruppe Schall&Rauch hat sich ein Semester lang auf Sartres Stück „Die Fliegen“ vorbereitet. Die Aufführung ist bis 1.2.2015 zu sehen. Hanno hat eine Probe besucht und auch ein paar Fotos mitgebracht.

15 Studierende stehen im Kreis, klatschen, schreien und zischen sich gegenseitig an, rufen „Zip“ und „Zap“ und wer nicht schnell genug agiert, wirft die Arme verärgert in die Luft und muss das Rund verlassen. Eine Handvoll bleibt. Das sind die reaktionsschnellsten. Sie würden bis nach Mitternacht fauchen wie Hyänen, aber die Regie greift ein  – Christopher Seiberlich, Jan Santner und Daniel Zonsius beenden das Aufwärmen.

Dass es drei Regisseure gibt, ist keine Selbstverständlichkeit. „Am Anfang war alles total chaotisch. Wir hatten keine Regie. Es haben alle gespielt“, erinnert sich Daniel an die ersten Jahre von Schall&Rauch. Der Lehramts-Student in Anglistik und Germanistik ist seit der Gründung im Wintersemester 2011/12 Mitglied der Gruppe.

Wenn sich auch Manches über die Jahre änderte, Eines blieb gleich: Schall&Rauch versteht sich als basisdemokratische Gruppe. Jedes Semester wird ein Drama inszeniert, jedes Semester reichen die Gruppenmitglieder Vorschläge ein. Grundsätzlich soll ein Stück mit mehreren Darstellern aufgeführt werden, damit möglichst viele Theaterkünstler daran mitwirken können. Die Regie sortiert dann aus, was nicht realisierbar ist. Drei bis vier Stücke schaffen es in die Endrunde und es kommt zur Abstimmung. Das Ergebnis im Wintersemerster 2014/15: „Die Fliegen“ von Sartre.

IMG_9753

Die Regisseure (von links): Daniel Zonsius, Christopher Seiberlich und Jan Santner.

„Die Fliegen“, 1943 in Paris uraufgeführt, basiert auf dem antiken Tragödienstoff von Tantaliden. Orest ist der Sohn Agamemnons, der wiederum der König von Argos ist. Orest ist noch keine sechs Jahre alt, da ermordet der Usurpator Ägist seinen Vater. Ägist reißt den Thron an sich und befiehlt als erstes auch Orest ums Leben zu bringen. Orest kann jedoch fliehen mit der Hilfe einer List seiner Amme. Nach 15 Jahren kehrt er dann nach Argos zurück, er ist nun ein junger Erwachsener.

Argos‘ Bürger leben im Elend, denn einmal im Jahr steigen die Geister der Toten aus ihren Gräbern und suchen sie heim. Orest wird eine Entscheidung treffen müssen: Soll er Ägist ermorden, um die Stadt von der Marter der Toten zu befreien? Oder soll er die Stadt verlassen und so ein Leben schonen? Der Stoff an sich behandelt bereits Themen wie die Entscheidungsfreiheit und das Schicksal. Vor dem Hintergrund des zweiten Weltkrieges verleiht Sartre diesem Stoff aber auch zeitgenössische Relevanz.

„Die Fliegen“ ist ein Résistance-Drama

22. Juni 1940. Frankreich unterliegt Nazi-Deutschland. Es bildet sich eine neue Regierung: Der Norden und Westen Frankreichs wird vom deutschen Militär verwaltet, der Süden vom sogenannten Vichy-Regime beherrscht. Das Vichy-Regime wird zwar von den Franzosen gestellt, kollaboriert jedoch stark mit den faschistischen Besatzungsmächten. Unter anderem unterstützt  es die Gestapo und verabschiedet Gesetze, die die Internierung von Juden erleichtern.

Um dem entgegenzuwirken gründet sich die französische Widerstandsbewegung Résistance.Die Résistance rebelliert ohne Scheu vor Gewalt, die Taten der Rebellen scheinen moralisch nicht immer einwandfrei zu sein. „Orest, das ist die kleine Gruppe von Franzosen, die Attentate auf die Deutschen begangen haben und seitdem die Angst vor der Reue in sich tragen, die Versuchung spüren, sich selbst zu stellen,“ erklärt Sartre nachdem sein Stück 1948 in Berlin aufgeführt wird.

Er will die Widerstandkämpfer motivieren frei zu sein. Daniel fügt jedoch hinzu: „Freiheit bedeutet nicht, ich kann tun und lassen, was ich will, sondern, ich kann tun und lassen, was ich will, wenn ich die Verantwortung dafür übernehme.“

IMG_9714

Die Proben finden zweimal wöchentlich statt und dauern häufig bis in die Nacht.

Schall&Rauch möchte auch dieses allgemeingültige, überzeitliche des Dramas herausarbeiten. Sie verzichten deshalb darauf, die Darsteller in antike Gewänder zu kleiden. Der Zuschauer soll die Figuren im 20. Jahrhundert einordnen können. Somit wird das Geschehen relevant, „weil es jeden betreffen kann“.

Dieser Effekt wird durch das selbstgestaltete Bühnenbild unterstrichen: Der Zuschauer sitzt inmitten einer Steinstadt, über deren Gemäuer Fliegenschwärme surren wie aufsteigender Ruß.Fast zwei Wochen lang haben alle mitgemalt, geschraubt und gedrahtet. Bis zur Premiere müssen noch kleinere Details bearbeitet werden.

Infos

Was: „Die Fliegen“ von Jean-Paul Sartre

Wann: 23./24./25./30. und 31. Januar sowie 01. Februar (23./24. und 25. Januar bereits ausverkauft, Karten nur noch an der Abendkasse.)

Wo: Theatersaal der alten Universität, Bertoldstraße 17 ab 20 Uhr

Karten: Buchhandlung Schwanhäuser, Bertholdstraße 23 sowie je etwa 50 Karten an der Abendkasse. 5 Euro regulär, 3 Euro ermäßigt

Mehr: Schall&Rauch bei Facebook

Selber schauen

IMG_9948IMG_0080IMG_9857IMG_0239IMG_0034IMG_9957IMG_9930IMG_0096IMG_0252

Fotos: Hanno Müller
Autoren:
Veröffentlicht am 22. Januar 2015

Empfohlene Artikel