Einmischen erwünscht

Einmischen erwünscht

Immer wieder kommen Kinder durch Vernachlässigung und körperliche Misshandlung zu Schaden. Was folgt, ist ein Aufschrei aus der Bevölkerung und das Suchen nach dem Schuldigen. Dass jedoch jeder Einzelne etwas dazu beitragen kann, solche Fälle in ihren Anfängen zu verhindern und betroffenen Kindern zu helfen, weiß Oberarzt Karsten Häffner von der Uniklinik Freiburg.
Ende Januar 2015 starb der kleine Alessio aus Lenzkirch. Sein Stiefvater steht im Verdacht, den Jungen durch schwere körperliche Misshandlungen getötet zu haben. Seitdem stellt sich die Region Freiburg die Frage, wie diese Tragödie passieren konnte. Besonders das zuständige Jugendamt steht im Mittelpunkt der Vorwürfe. Wie können solche schrecklichen Schicksale in Zukunft vermieden werden?

Dr. Karsten Häffner ist Oberarzt in der Nephrologischen Abteilung der Kinderklinik Freiburg. Gleichzeitig hat er die ärztliche Leitung des Kinderschutzzentrums Freiburg inne. Körperliche Gewalt bei Kindern ist Teil seiner täglichen Arbeit. Er weiß, dass das Umfeld eine wichtige Rolle dabei spielt, Misshandlungen an Kindern aufzudecken. Deswegen rät er jedem, genauer hinzusehen und sich öfters einzumischen.

Die Grenze ist schwer zu ziehen

Körperliche Gewalt, das ist gesetzlich geregelt, gehört nicht in die Erziehung. Sie ist ein Zeichen dafür, dass die Eltern mit den erzieherischen Maßnahmen nicht zurechtkommen. Aber nicht jedes harte Anfassen sei ein Fall fürs Jugendamt, stellt Häffner klar. Wo aber kann man eine Grenze ziehen zwischen einer Ohrfeige und Misshandlung?

„Wenn eine körperliche Ausschreitung nicht mehr zur Ausnahme sondern zur erzieherischen Maßnahme oder sogar zur Strafmaßnahme wird, die regelmäßig vorkommt, ist das absolut inadäquat. Das zeigt, dass die Eltern mit ihrer Aufgabe überfordert sind und Hilfe brauchen“, sagt Häffner. Dann sei auch das Wort Misshandlung nicht mehr fehl am Platz.

Einmischen ist immer gut

Die große Frage, wenn es um Misshandlung an Kindern geht, lautet immer: Wer bekommt überhaupt etwas mit? Oft geschieht die Gewalt hinter geschlossenen Türen und bleibt lange Zeit unbemerkt. Deswegen ist es umso wichtiger, sich einzumischen, wenn man etwas mitbekommt, findet Häffner. Dies sei etwa bei einer öffentlichen Ohrfeige der Fall. Wegschauen oder hingehen und etwas sagen? Für Häffner ist klar: „Auf jeden Fall hingehen. Einmischen ist immer gut. Das betrifft nicht nur den Kinderschutz.“

Bei einem Verdacht, dass Kinder Gewalt erleben, etwa wenn ein Kind in der Wohnung nebenan regelmäßig laut schreit und auch die Schreie der Eltern zu hören sind, oder ein Kind regelmäßig mit blauen Flecken in die Nachhilfe kommt, empfiehlt der Kinderarzt zwei Vorgehensweisen:

Auch wenn die Hemmschwelle groß sei, sollte man zunächst den Kontakt zu den Eltern suchen und fragen, ob alles in Ordnung ist. So bekommt man bestenfalls einen kleinen Einblick in die Familie und kann die Situation besser einschätzen. Außerdem ist es ein Signal an die Eltern, dass es jemanden im Umfeld gibt, der aufmerksam ist.

„Besteht ein begründeter Verdacht, dass dem Kind geschadet wird, kann man sich direkt beim Jugendamt melden.“ Und das, ohne Angst haben zu müssen, jemandem Unrecht zu tun, wie Häffner betont. Schließlich entscheidet das Jugendamt über das weitere Vorgehen.

Aber Kinderschutz fängt schon viel früher an, erklärt Häffner. Mittlerweile gibt es eine Vielzahl von Hilfsangeboten, die Familien in Überforderungssituationen unterstützen sollen und damit verhindern helfen, dass es zu Misshandlungen kommt.

Zum einen gibt es das Kompetenzzentrum „Frühe Hilfen“ der Stadt Freiburg. Es bietet allen belasteten Familien Hilfe an, damit sie mit der Erziehung ihrer Kinder besser zurechtkommen. Bis zum dritten Lebensjahr des Kindes sollen die Maßnahmen in den Familien wirken.

Diese Maßnahmen reichen von regelmäßigen Gesprächen bis hin zur Hilfe beim Lösen von finanziellen Problemen. Die freiwilligen Angebote sollen den Kindern ermöglichen, gut in der Familie aufzuwachsen und sie gleichzeitig vor eventuellen Misshandlungen schützen.

Fruchten die freiwilligen Angebote der „Frühen Hilfen“ oder anderer Einrichtungen nicht, werden die Hilfen verpflichtend installiert. Diese reichen von sozialpädagogischen Familienhelfern bis hin zum letzten Ausweg, der Inobhutnahme.

Rein rechtlich liegt die Verantwortung des Vorgehens komplett beim Jugendamt beziehungsweise beim Familiengericht. „Das Jugendamt muss die Entscheidungen treffen. Dafür sind die Mitarbeiter ausgebildet und haben die rechtlichen Bedingungen“, sagt Häffner.

Kommunikation ist wichtig

Häffner betont, dass es in Freiburg ein großes Angebot an örtlichen Hilfen gäbe, die zudem gut untereinander vernetzt seien. Dazu gehört beispielsweise auch das Kinderschutzzentrum, das zur Uniklinik gehört und von der Stadt finanziert wird. Dort sollen belastete Familien frühzeitig erkannt und umfassend unterstützt werden.

Häffner ist sich sicher, dass Freiburg den Kinderschutz betreffend gut aufgestellt ist. Das läge auch daran, dass die Kooperationen zwischen Jugendhilfe und Gesundheitshilfe bereits sehr früh geknüpft wurden.

Wie ist es bei diesem umfangreichen Präventionssystem möglich, dass ein Kind wie der kleine Alessio durch körperliche Misshandlung in der Familie zu Tode kommt? Diese Frage beschäftigte in den letzten Wochen die Freiburger Region.

Fragt man Häffner nach dem Schluss, den er aus dem Fall Alessio zieht, wird der Oberarzt sehr nachdenklich. Er betont, dass es gerade im Kinderschutz schwierige Entscheidungen gibt und es in manchen Fällen sinnvoll wäre, zusätzlich eine Einschätzung von außen zu bekommen.

Dazu ist es notwendig, dass sich die beteiligten Institutionen – etwas Jugendhilfe und Gesundheitshilfe – gut kennen und vertrauensvoll zusammenarbeiten. „Hier ist in den letzten Jahren schon viel erreicht worden, aber es kann immer noch besser werden“, sagt Dr. Häffner.

Info

Das Kinderschutzzentrum in Freiburg bietet neben der Beratung bei familiären Problemen auch die Vermittlung von wohnungsnahen Hilfen an. Die Mitarbeiter können bei Krisen psychotherapeutisch intervenieren und bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdung eine medizinische Diagnose stellen. Darüber hinaus können sich Fachkräfte fort- und weiterbilden und beraten lassen.

Webseite des Kinderschutzzentrums: uniklinik-freiburg.de

Foto / Illu: uniCross
Autoren:
Veröffentlicht am 19. März 2015

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