Plötzlich Neuland

Plötzlich Neuland

Stell dir vor, du machst ein Auslandssemester an einer Uni in China. Du sprichst nur wenige Sätze Chinesisch und die kulturellen Fettnäpfchen sind vorprogrammiert. Den chinesischen Studierenden in Freiburg geht es nicht anders – ist das der Grund, warum sie eher unter sich bleiben und wenig Kontakt zu den Deutschen aufbauen? Mit Video.

Im gemütlichen Hofcafé des majestätisch ruhenden Herderbaus haben sich nach und nach vereinzelte Grüppchen eingefunden. Verhaltenes Tuscheln ist zu hören, das Meiste bleibt aber unverständlich, da der Großteil der Gäste chinesisch spricht.

Die monatliche Veranstaltung „Chinesische Studierende laden ein“ des Internationalen Clubs macht es chinesischen Studierenden möglich, Interessenten die eigene Kultur näher zu bringen und selbst Kontakt zu anderen Studierenden aufzubauen. Das Motto des Abends: „Mein Lieblingsfilm – Filmabend“. Man kann bei einem Filmquiz oder beim Soundtrack-Raten aktiv sein oder in Absprache mit den Organisatoren seine Favoriten vorstellen.

Auch Wen ist gekommen. Sie macht ihren Master „Deutsch als Fremdsprache“ an der PH Freiburg und will sich als erklärter Filmfan den Abend nicht entgehen lassen. Außerdem trifft sie hier ihre chinesischen Freundinnen.

„Gute deutsche Freunde habe ich nicht so viele“, sagt sie. Denn während des Studiums Kontakt mit Deutschen aufzubauen, findet sie schwierig. Da sowohl ihre Mitbewohnerin, als auch ihre Kommilitonen Chinesen sind, ist Wens Alltag stark vom Umgang mit den eigenen Landsleuten geprägt.

Kulturelle Differenzen überbrücken

Gerade aufgrund der großen kulturellen Differenzen zwischen China und Deutschland scheint es vielen chinesischen Studierenden ähnlich zu ergehen. Mit mehr als 1.200 Immatrikulierten stellen sie die größte Gruppe ausländischer Studierenden an der Uni Freiburg.

Andreas Vögele, Leiter des Internationalen Clubs, weiß, dass diese Gruppe besonders auf kommunikative Angebote angewiesen ist. „Es gibt durch die große kulturelle Unterschiedlichkeit der sozialen Prägung aus dem Heimatland sehr viel Potenzial für Irritationen und Schwierigkeiten“, sagt Vögele.

Chinesische Studierende verlassen nach der Hochschulzugangsberechtigung das Elternhaus und ziehen auf die Campusuniversität um. Diese biete eine durch alle studentischen Lebensbereiche – vom Einkaufen bis zum Freizeitangebot – geschlossene Infrastruktur mit geregelten Abläufen. Aspekte der hiesigen Studierendenkultur wie selbstständige Studienorganisation, Praktikasuche oder Jobsuche zielen stärker auf eigenverantwortliches Handeln ab.

Diese Strukturen seien speziell für chinesische Studierende ungewohnt und führten dazu, dass manche sich aus dem universitären Umfeld zurückziehen und sich ein Leben in einem ausschließlich chinesischen Netzwerk einrichten. „Wir wollen mit unserem Angebot Anknüpfungspunkte schaffen, um chinesischen Studierenden den Zugang zu unserer Kultur zu vereinfachen“, erkärt Vögele.

Der introvertierte chinesische Student als überholtes Klischee

Katharina war nach dem Abitur ein Jahr in Yunnan, arbeitet beim Internationalen Club und studiert im dritten Semester Sinologie. Sie organisiert die Veranstaltungsreihe mit und nennt noch ein weiteres Ziel für die Veranstaltungsreihe: „Dass man zusammen kommen kann! Man hat dort die Möglichkeit neue Leute kennen zu lernen und Einblicke in neue Themenbereiche zu gewinnen“. Wirft man als Deutscher einen Blick in die Runde an diesem Abend, scheint das Ziel zumindest teilweise erreicht: Die Gruppe ist bunt gemischt.

Die anfängliche Zurückhaltung beim Filmabend ist spätestens beim Filmmusik-Quiz von gelöstem Gekicher verdrängt, wenn trotz international bekannter Blockbuster keiner die Filmmusik so recht zuordnen kann. Die Teilnehmer versuchen sich gegenseitig zu helfen und kommen dadurch ins Gespräch.

Auf die Frage, was überhaupt an dem Klischee vom zurückhaltenden und introvertierten Chinesen dran sei, sagt Katharina: „Ich persönlich kenne viele Chinesen, die sich integrieren und bei den Veranstaltungen auf andere zugehen“. Wer im Ausland auf sich selbst gestellt war, weiß, dass es einfach eine gehörige Portion Mut braucht, um auf die Einheimischen zuzugehen.

Muttersprache ist Trost – und führt zur Rudelbildung?

„Alle Gruppen internationaler Studierender haben die Tendenz, sich auf ihre eigene Nationalitätengruppe zu konzentrieren“, bestätigt auch Vögele, „das ist kein nationenbedingtes Phänomen und auch nichts Schädliches, das wir bekämpfen müssten. Die Communities können den eigenen Landsleuten eine wichtige Hilfestellung bieten“.

Die Arbeit des Internationalen Clubs orientiere sich viel eher an einer Zusammenarbeit mit den internationalen Gruppierungen, um den Kulturaustausch zu fördern. Auch als Studierende kann man dazu beitragen: „Ich kann nur dazu aufrufen, mit offenen Augen durch die Universität und das Wohnheim zu gehen“, sagt Vögele und lädt dazu ein, die angebotenen Programme und Veranstaltungen auch von deutscher Seite aus wahrzunehmen und dem internationalen Studierenden möglichst ohne Vorbehalte entgegen zu treten.

„Sich immer dessen bewusst zu sein, dass das, was komisch ist, an den internationalen Studenten, vielleicht einfach nur ungewohnt ist und wir selbst im Ausland als eigenartig wahrgenommen werden können.“

Video

Im Video erfahrt ihr, wie chinesische Studierende in Freiburg das Neujahrsfest feiern.

Info

Kontakt Internationaler Club Freiburg: Auf der Webseite des SWFR gibt es alle Infos unter www.swfr.de/internationales/der-internationale-club/
Facebook: www.facebook.com/internationalclub.freiburg

Die Veranstaltungsreihe „Chinesische Studierende laden ein“ wird auch im Sommersemester 2015 wieder stattfinden. Weitere Informationen dazu findet ihr unter studierendenwerkfreiburg.wordpress.com/2014/10/14/chinesische-studierende-laden-ein/ 

Gemeinschaftsproduktion von Alike Schwarz (Fotos), Rebecca Haußmann, Kai Zwettler und Luisa Friedel im Seminar „Einführung in den crossmedialen Journalismus“  für Studierende der Medienkulturwissenschaft.

Seminarleitung, Redaktion: Silvia Cavallucci, Ragna Plaehn, Horst Hildbrand

Veröffentlicht am 2. April 2015

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