Viel Lärm um ein X

Viel Lärm um ein X

Mit dem Wunsch, geschlechtsneutral als Profx angesprochen zu werden, hat Lann Hornscheidt 2014 eine öffentliche Debatte ausgelöst, die vor allem im Internet zu Anfeindungen und Gewaltaufrufen geführt hat. Anfang Juli diskutierte Lann in Freiburg über geschlechtergerechte Sprache. Simone traf Lann zuvor zum Interview.

Lann Hornscheidt, Professiks für Gender Studies und skandinavistische Linguistik der Humboldt-Universität, setzt sich gegen strukturelle Diskriminierungen ein. Im Fokus steht dabei Sprache und wie sie anti-diskriminierend und respektvoll eingesetzt werden kann. Ein Beispiel hierfür ist der Vorschlag, Lann mit den geschlechtsneutralen Titeln Profiks oder Profx anzusprechen. Die Anrede widerspricht der herkömmlichen Vorstellung von Zweigeschlechtlichkeit.

Hallo Lann Hornscheidt, ich habe mich natürlich auf das Interview vorbereitet. Dennoch bleibt ein bisschen Nervosität. Hoffentlich spreche ich Sie nicht „falsch“ an.

Ich gehe zuerst davon aus, dass Menschen nicht intentional diskriminieren. Eine neue Form, die es noch nicht lange gibt, ist für alle Menschen – inklusive mir – eine große Gewöhnung. Es geht nicht darum, keine Fehler zu machen. Ich glaube nicht an richtig oder falsch, sondern daran respektvoll und wohlwollend miteinander zu kommunizieren. Was ich schwierig finde ist, wenn Leute intentional falsche Formen benutzen.

Was wäre denn nun eine mögliche Form, Sie anzusprechen?

Was unglaublich schwer fällt ist eine Anrede, abgesehen von meinem Vor- und Nachnamen zu finden. Ich fahre nicht auf diese Titelsachen ab. Wenn Sie mich die ganze Zeit mit Professiks anreden, finde ich das nicht so lustig. Aber natürlich gibt es viele Fälle, da wäre es nicht angemessen ‘Lann Hornscheidt’ zu sagen, sondern Frau oder Herr Hornscheidt. Und da fehlt eine dritte Form. So etwas wie Person Hornscheidt. Aber das klingt zu sehr nach Akte.

In Berlin gibt es nun die Form Pers – Persch ausgesprochen – für Person: Guten Tag Pers Hornscheidt. Die finde ich ganz schön. Aber ich tue mich unglaublich schwer, das überhaupt zu äußern. Und das zeigt, wie starr die Normen sind. Obwohl ich mich so lange damit beschäftige, so im Kreuzfeuer stehe und mir ja alles egal sein könnte. Das zeigt, wie unglaublich zweigeschlechtlich unsere Gesellschaft ist.

Wie kam denn diese öffentliche Debatte um Ihre Person ins Rollen?

Ich habe auf meiner Uni-Hompage geschrieben, dass Sie Anreden, die zweigendernd sind, zum Beispiel Herr und Frau, vermeiden sollen, wenn Sie mit mir Kontakt aufnehmen. Sie können zum Beispiel „Guten Tag Lann Hornscheidt“ oder „Profx Lann Hornscheidt“ verwenden. Und das ist jetzt seit über einem Jahr der Aufreger der Nation.

Wie viel Energie Menschen darauf verwenden, die meinen, mir die Welt erklären zu müssen – mir erklären zu müssen, was Sprache ist, die Bibel, Gesetze erklären zu müssen, alles bis hin dazu, wie ihre Kinder und Enkelkinder aufwachsen und was sie sehen, wenn sie in den Spiegel gucken und warum sie deshalb wissen was zweigeschlechtlich ist.

Und ich denke daran, wie schön es wäre, wenn diese Leute diese Energie dafür aufwenden würden, irgendeiner anderen Person etwas Nettes zu schreiben. Dann wäre die Gesellschaft echt besser und anders. Für mich wäre das die viel revolutionärere Sprachveränderung. Wenn die Leute kurz nachdenken würden: Ich schreibe ja immer etwas Negatives. Wem würde ich denn gerne etwas Positives schreiben wollen? Da muss sich die Gesellschaft verändern. Eine x-Form wäre nichts dagegen, wenn Menschen anfangen würden, so zu handeln.

Konnten Sie absehen welche Reaktionen Sie auslösen?

Nein! Wirklich nicht! Irgendwann wurde mir klar, dass es kein Zurück mehr gibt. Die Presseabteilung hatte mir damals gesagt: Wenn Sie darauf reagieren dauert es drei Tage und wenn Sie nicht darauf reagieren dauert es einen Tag. Und jetzt dauert es anderthalb Jahre. Das ist wirklich unglaublich und es gibt immer wieder eine neue Welle. Da halten sich Leute an einer x-Form auf. Ich benutze jetzt schon lange eine iks-Form, also Professiks, und nicht mehr die x-Form. Aber weil ich nicht schon wieder die nächste Welle auslösen will, habe ich das nicht auf meiner Homepage geschrieben.

Wie gehen Sie damit um, dass Menschen, die nur ein Detail über Sie wissen, Sie derart verurteilen?

Das trifft mich tatsächlich nicht persönlich. Ich biete mich offenbar gerade als Projektionsfläche an. Das hat nichts mit mir zu tun, es hat was mit gesellschaftlichen Veränderungen zu tun, auf die Menschen dann auch so krass reagieren. Es bin ja nicht nur ich, sondern das ist auch Conchita Wurst oder auch die Tatsache, dass das Transsexuellen-Gesetz verändert worden ist, dass Zwangssterilisation weggefallen ist, dass es eine Intergesetzgebung gibt, dass Menschen, die mit medizinisch nicht eindeutig feststellbarem Geschlecht geboren werden, sich nicht zuordnen müssen bis zum 18. Lebensjahr. Es gibt Transmänner, die den Personenstand männlich haben aber schwanger werden. Und in Deutschland ist es immer noch so, dass die Mutter eingetragen werden muss – das sind alles große gesellschaftliche Veränderungen.

Die Gesetzeslage stimmt nicht mehr mit der sozialen Realität überein. Wenn sich soziale Realitäten verändern, muss irgendwann auch die Gesetzeslage hinterherkommen und dann gibt es nochmal eine größere gesellschaftliche Veränderung, weil dann natürlich nochmal ganz andere Normen kippen. Dann verändert sich nochmal etwas Größeres. Ich verstehe die Aufregung um mich als einen Teil davon. Es schädigt mich nicht, aber es bedarf Haltung und Rückgrat. Es gibt ganz starke negative Kräfte, die versuchen, mich zu Fall zu bringen, weil sie die gerade ins Rollen kommenden sozialen Veränderungen nicht aushalten. Das ist also ein Zeichen der sozialen Verunsicherung dieser Menschen. Aber das wird die soziale, gesellschaftliche Bewegung nicht aufhalten.

Dass Ihr Thema so ein großer Aufreger ist liegt daran, dass die Menschen durch die soziale Veränderung verunsichert sind?

Ja, auch. Aber es gibt sicherlich ganz viele Ursachen. Gender Studies werden ja oft so dargestellt, als ob sie unser gutes Leben kaputt gemacht hätten. Vorher war alles super und es war klar, wer putzt und wäscht und das Auto repariert. Da gibt es natürlich eine ganz große Verunsicherung, da sich in kürzester Zeit, innerhalb von Generationen die ganzen sozialen Rollenbilder verändert haben. Alles ist nicht mehr so klar. Ich komme auch aus einer Familie, in der es klar gewesen wäre, wie meine Rolle hätte sein sollen. Das ist eben nicht so einfach, wenn mensch mit allen Rollenbildern bricht – in so kleinen sozialen Zusammenhängen wie Familien, aber auch in der gesamten Gesellschaft. Da verändert sich ja Macht und Teilhaftigkeit, Normen und Werte.

Welche anderen Ursachen gibt es noch?

Wir haben zunehmend verlernt in unserer Gesellschaft respektvoll miteinander umzugehen. Es gibt eine individualistische Form von „ich habe Recht und dann bist du falsch“. Es gibt nur richtig, falsch, gut und böse. Es gibt keine Ausdifferenzierungen mehr und keine Offenheit für Differenz, sondern ein Verständnis, dass alles, was anders ist, bedrohlich ist.

Hätten Sie auch so gehandelt, wenn Sie die Reaktionen abgesehen hätten?

Keine Ahnung. Wir haben ja jetzt nur über die eher gewaltvollen Reaktionen geredet. Aber es gibt ja auch ganz viele super coole, super positive und super berührende Reaktionen. Da sagen Menschen, dass sie überleben, weil es diese Ideen zu neuen Ausdrucksformen gibt. Oder sie haben zum ersten Mal darüber nachgedacht, dass es mehr geben kann als Zweigeschlechtlichkeit. Die evangelische Kirche hat jetzt ein neues Papier in ihrer Jugendarbeit entwickelt. Durch die Artikel in der Zeitung hätten sie verstanden, dass es mehr gibt als Frauen und Männer. Sie hätten darüber noch nie nachgedacht. Aber sie wären so berührt davon, das lernen zu dürfen, dass sie einen Workshop dazu haben wollen. Es gibt unglaublich tolle und unglaublich positive Reaktionen.

Wie reagieren Ihre Studierenden?

Die sind sehr positiv herausgefordert. Die lernen ihre eigenen Normen in Frage zu stellen, ihre eigenen Konstruktionen und Normalitäten herauszufordern und auch neue Projekte zu machen. Ich habe einen etwas anderen Unterrichtsstil. Ich setze nicht nur auf Theorie sondern frage auch, wo begegnet euch das im Leben? Wo spielt das eine Rolle? Ich versuche hoch theoretische Themen mit unserem Alltag zusammenzubringen und dass Leute auch tatsächlich lernen zu intervenieren. Die Studies haben verschiedenste Aktionen gemacht. Das ist für viele sehr empowernd zu merken, dass sie nicht nur Sachen in Büchern lesen, sondern, dass sie immer selbst handeln und Dinge verändern können. Und das immer in einer positiven und respektvollen Weise – also nicht gegen Personen sondern für Inhalte.

Gibt es nach der großen öffentlichen Diskussion mehr Studierende bei Ihnen?

Ich habe dieses Semester nur in höheren Semestern unterrichtet und in diesem Semester waren meine Seminare leer. Ich weiß, dass ein paar Leute nicht gekommen sind, weil sie Angst hatten vor diesen öffentlichen Drohungen. Ich kann das verstehen und respektieren und finde andere Lösungen, aber so kleine Seminare wie in diesem Semester hatte ich seit 15 Jahren nicht mehr. Es war auch ganz schön, weil wir viel Zeit zum Diskutieren hatten.

Der Unialltag wurde dadurch behindert?

Letztes Semester war schon krass. Es haben auch Undercover-Journalistinnen und –Journalisten im Seminar gesessen und das verschreckt Studierende. Sie fragen sich, was die wohl über sie schreiben. Das geht einfach nicht, das ist respektlos. Und eben ein Versuch, den Unialltag zu behindern. Aber ich würde ihnen nie die Macht über mich geben und das ist sicher auch etwas, was sie unglaublich aufregt.

Info

Lann Hornscheidt ist Professiks für Gender Studies und skandinavistische Linguistik am Zentrum für Transdisziplinäre Geschlechterstudien an der Humboldt-Universität in Berlin. Lann möchte keinem Geschlecht zugeordnet werden und steht seit 2014 wegen des Wunsches geschlechtsneutral angesprochen zu werden stark in der Kritik. Anfang Juli 2015 hielt Lann einen Vortrag mit anschließender Podiumsdiskussion in der Universität Freiburg.

Der Inhalt von Lanns Universitätswebsite war Auslöser für viel Lärm um ein x: gender.hu-berlin.de

Lann ist ebenfalls mitverantwortlich für den Leitfaden für Feministisches Sprachhandeln, der schon vor der Debatte um Lanns Person für Wirbel sorgte. Er steht online zur Verfügung: feministisch-sprachhandeln.org

Mehr zum Thema auf uniCross

Im Zeichen des Regenbogens

Uni Freiburg bekennt Farbe gegen Homophobie und Sexismus

Foto: Simone Rehm
Autoren:
Veröffentlicht am 16. September 2015

Empfohlene Artikel