Häuser und Themen besetzen

Häuser und Themen besetzen

Demos, Petitionen, Sitzblockaden: Das kennt man auch in Freiburg. Jetzt gibt es noch einen anderen Anlass, sich mit dem Thema Protest zu beschäftigen: Vor 50 Jahren erschoss ein Polizist den Studenten Benno Ohnesorg auf einer Demonstration. Warum wir heute immer noch davon sprechen und wie sich die Protestkultur verändert hat, weiß Dr. Birgit Metzger, Historikerin am FRIAS.

Dr. Birgit Metzger forscht und lehrt am FRIAS Contemporary European History und befasst sich im Moment mit Unfällen und Fehlerkulturen im Militär. Ein weiterer Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt auf der Geschichte der Neuen Sozialen Bewegungen und Protestkulturen. Vor allem die Frage nach neuen und kreativen Protestmöglichkeiten in städtischen und ökologischen Milieus interessiert sie.

Frau Dr. Metzger, einer Ihrer Forschungsschwerpunkte am Freiburg Institute for Advanced Studies, am FRIAS, ist das Thema Protestkultur. Am 2. Juni 2017 jährte sich der Todestag des Studenten Benno Ohnesorg, der vor 50 Jahren auf einer Demonstration in West-Berlin von einem Polizisten erschossen wurde. Um was ging es bei dieser Demo und warum wurde Benno erschossen?

Um das zu erklären, muss man die damalige Zeit betrachten, denn dieses Ereignis fällt in die 1960er Jahre, eine Phase der Politisierung. Man redet oft nur von „68“, aber eigentlich war das ganze Jahrzehnt eine Phase von Diskussionen, Protest und politischer Veränderungen.

Es formierten sich seit etwa 1964 verschiedene Protestbewegungen: Auf internationaler Ebene organisierten sich Proteste gegen den Vietnamkrieg, in Deutschland stellten unzufriedene Studenten die Hochschulstrukturen in Frage und generell wurde die Forderung nach einer gesellschaftlichen Liberalisierung der als autoritär wahrgenommenen Strukturen laut. In dieser Zeit fanden auch die großen, viel diskutierten Prozesse der NS-Aufarbeitung wie der Ulmer Einsatztruppen-Prozess, der Auschwitz-Prozess und der Eichmann-Prozess, statt.

In dieser Zeit sollten auch Notstandsgesetze beschlossen werden, die im Falle einer Krise gewisse demokratische Rechte vorübergehend außer Kraft setzen können. Das sollte der Regierung helfen, handlungsfähig zu sein und den Notstand zu überwinden. Gegen diese Bestrebungen entstand eine große Bewegung, die die Demokratie in Gefahr sah. Der Fall Benno Ohnesorg hat sich in dieser Bewegung als mobilisierendes Ereignis herausgebildet.

Konkret handelte es sich um eine Demonstration in Berlin anlässlich des BRD-Besuchs des iranischen Schahs Mohammad Reza Pahlavi. Die etwa 2.000 Demonstranten übten Kritik an den Machthabern des iranischen Regimes und an dessen autoritären Methoden wie zum Beispiel Folter. Da die zweite Demonstration am Abend vor der Oper aber nicht genehmigt worden war, sollte sie geräumt werden. In dieser sowieso schon unübersichtlichen Situation bekam die Polizei offenbar Panik und die Demo wurde gewaltsam zerschlagen. Zusätzlich verbreitete sich das – falsche – Gerücht, ein Polizist sei bereits von einem Demonstranten erstochen worden. Der Student Benno Ohnesorg war schon auf dem Rückweg und rannte in eine Nebenstraße. Dort wurde er von einem Polizisten aus geringer Distanz von hinten angeschossen und starb nach einer Stunde. Das ist was man weiß.

Das Argument des Polizisten war Notwehr als Reaktion auf die Randale der Protestierenden. Später wurde ein Untersuchungsausschuss eingesetzt und der Polizist wurde zweimal vom Gericht von der Anklage der fahrlässigen Tötung frei gesprochen.

Dieser Fall ist deswegen so umstritten, weil es keine Indizien für einen Angriff Bennos gibt, die einen Schuss rechtfertigen würden.

Wie waren damals die Reaktionen der Öffentlichkeit auf diesen gewaltsamen Polizeieinsatz?

Von politischer Seite wurde die Polizei verteidigt und auch vor allem die Springerpresse war extrem kritisch den Demonstranten gegenüber. Sie hat ihnen SA-Methoden vorgeworfen und ihnen die Verantwortung für den Gewalteinsatz zugeschrieben. Andere Zeitungen haben aber auch differenziertere Aspekte vorgebracht.

Was hat sich durch die Ermordung von Benno Ohnesorg in der Gesellschaft verändert?

Dieser Vorfall war eben deshalb so wichtig für die Protestbewegung, weil er ein aufrüttelndes Ereignis darstellte. Wo sich vorher vor allem Studenten und Intellektuelle kritisch engagiert hatten, fand nun ein Moment der Politisierung statt und sehr viele Menschen wollten politisch aktiv werden. So entstanden Initiativen auch in kleineren Städten und auf dem Land. Der Vorfall hatte also eine enorme Breitenwirkung.

Gab es solche Vorfälle denn auch schon in Freiburg?

Mir ist nicht bekannt, dass bei einem Polizeieinsatz hier schon einmal jemand gestorben ist, obwohl es in Freiburg ja durchaus harte Polizeieinsätze und auch relativ viele Demos gibt. Von denen sind viele nicht angemeldet und dann geht die Polizei zum Teil auch härter vor als bei angemeldeten. Vor allem Polizeieinsätze gegen Linksradikale finden relativ oft in Freiburg statt.

Ganz aktuell ist aber der Fall Indymedia, da hat die Polizei das Autonome Zentrum KTS durchsucht, das beispielsweise mit Independent-Konzerten, politischen Diskussionsrunden und einem Umsonstladen einen alternatives Kulturkonzept vertritt. Hier wurden Server, Ziegelsteine und Steinschleudern beschlagnahmt, die als Waffen galten und eine angebliche Gewaltbereitschaft bezeugen. Man muss aber immer ganz genau hinschauen, wie das Wort Waffe oder Gewalt interpretiert wird und welche Reaktionen dadurch legitimiert werden sollen.

Als Historikerin beschäftigen Sie sich mit der “Protestkultur im Wandel”.
Wird heute anders protestiert als früher?

Es hat sich auf jeden Fall sehr viel geändert, vor allem in der Art des Auftretens. In den 50er Jahren ging man seriös in Sonntagskleidung auf die Straße, hielt Schilder in die Höhe und zeigte sich als guten Staatsbürger. Da gab es noch keine aggressiven Aussagen den verantwortlichen Politikern gegenüber.

Mit der Protestkultur seit 1968 wurden die Demonstranten kreativ und spielerischer, aber auch deutlich aggressiver: Politiker wurden nun massiv verspottet und verbal angegriffen. Körperliche Gewalt gegenüber Menschen war jedoch die Ausnahme und auch nicht das Ziel der Aktivisten.

Heute kann man beide Demonstrationsformen parallel beobachten. Außerdem haben sie sich weiter ausdifferenziert wie zum Beispiel bei Flashmobs am Bahnhof, wo die Zuschauer ungefragt auch Teil des Geschehens sind.

Eine gegenwärtige Entwicklung sind neue Medien und in Folge dessen die neuen Formen der Vernetzung. Das zeigt zum Beispiel der Arabische Frühling. In autoritären Gesellschaften, wo man sich nicht immer frei versammeln kann, bieten neue Medien die Möglichkeit zum Informationsaustausch. Das ist eine ganz zentrale Veränderung.

In Deutschland ist die Protestkultur außerdem mittlerweile eher nach rechts gerückt. Früher waren Demonstrationen vor allem im linken Spektrum zu finden, aber in den letzten drei oder vier Jahren ist auch eine starke Mobilisierung der Neuen Rechten, wie zum Beispiel Pegida, wahrnehmbar. Das unterscheidet sich von den früheren Jahrzehnten.

Welche Rolle spielt die Polizei auf Demonstrationen? Ist sie “Freund und Helfer” oder “Feind und Gegner”?

Beides, würde ich sagen. Gerade auch mit Hinblick auf die Debatte um G20 sieht man, wie schwierig es ist, das überhaupt genau zu entscheiden. Offensichtlich gab es Gewalttaten auf Seite der Aktivisten, gleichzeitig aber auch Formen von Unverhältnismäßigkeit seitens der Polizei. Quellenmäßig ist das sehr schwierig. In solchen chaotischen Situationen und wenn Argumente einander gegenüberstehen, findet man nicht immer raus, was stimmt.

Oft sieht man eine gewisse Überlegenheit der Polizei, aber andererseits ist es ja auch deren Job für Ordnung zu sorgen. Ein Problem ist allerdings, dass die Polizei nicht offen ist, über Fehler zu reden. Und meist ist die generelle Begründung für den Gewalteinsatz Notwehr.

Aktuell besteht ja auch die Debatte um die Kennzeichnungspflicht der Beamten. Nordrhein-Westfalen hat sie kürzlich erst wieder abgeschafft mit dem Argument des Generalverdachts (Anm. der Verfasserin: In Baden-Württemberg gibt es aktuell keine Kennzeichnungspflicht). Wenn es nun einen Vorwurf unverhältnismäßiger Gewalt gibt, scheitern viele Prozesse daran, dass nicht klar ist, wer gewaltsam gehandelt hat und dass die Polizei mit Notwehr argumentiert. Solche Prozesse versanden meist wegen der unklaren Sachlage. Problematisch ist, dass die Strukturen sich selbst schützen und ich denke deshalb, die Kennzeichnungspflicht wäre eine gute Lösung, um mehr Klarheit zu schaffen.

Ebenso die Einrichtung von Ombudsstellen, wo sich sowohl Polizisten intern als auch Betroffene über Polizisten beschweren können. Das wären dann Stellen, die außerhalb des Polizeiapparats und des in sich geschlossenen Justizsystems stehen und die gegebenenfalls mehr Kontrolle ausüben können. Das wird aber von der Gewerkschaft der Polizei mit dem Argument des Generalverdachts abgelehnt.

Viele sagen, Demos sind laut, stören den Straßenverkehr und bedeuten für die Polizei einen großen Personalaufwand. Wie sinnvoll sind denn Demonstrationen überhaupt? Lässt sich dadurch tatsächlich etwas bewirken?

Die Frage nach dem Erfolg eines Protests ist sehr schwierig, denn man kann ja nicht genau messen, wie oder was sich verändert hat, außer zum Beispiel, es entstehen neue Gesetze.

Was Demonstrationen und Proteste aber auf jeden Fall können, ist Themen besetzen. Das ist oft medienwirksam und erhöht die Wahrnehmung verschiedener Themen in der Öffentlichkeit. Aus meiner eigenen Forschung würde ich auch sagen, dass wenn es in politischen Institutionen ähnliche Interessen gibt, diese mehr Unterstützung beim Umsetzen ihrer Ideen von außen erhalten. So können zum Beispiel Gesetze schneller durchgesetzt werden. Im Ministerium und Parlament wird schon ernst genommen, was die Öffentlichkeit bewegt. Das hat auch mit dem demokratischen Selbstverständnis zu tun.

Welche Möglichkeiten gäbe es außerdem, um Protest auszudrücken?

Es gibt unglaublich viele Protestformen. Neben dem symbolischen Protest wie Demos auf der Straße, gibt es die etwas niederschwelligeren Petitionen. Unter den Begriff passive Gewalt fallen dann schon der Sitzstreik, Blockaden oder Gebäudebesetzungen. Vor allem aus der Umweltbewegung heraus entstand dann auch die Methode, Teile der Stromrechnung nicht zu zahlen, weil man Atomstrom nicht akzeptiert hat. So können die Atomgegner erheblichen Druck aufbauen, vorausgesetzt natürlich, sie bekommen eine große kritische Masse zusammen. So etwas fällt dann unter direkte Aktionen.

Effektiv sind natürlich auch mediale Arbeit und sämtliche Formen von Aufklärung wie Flyer verteilen. Dadurch können die Aktivisten nämlich nicht nur Forderungen öffentlich machen, sondern auch Inhalte und Argumente vermitteln.

Wichtig sind auch Gerichtsprozesse. Man kann zum Beispiel gegen ein Bauvorhaben klagen und das hat nicht selten Erfolg. Der Vorteil ist daran, dass man sich viel rechtliche Hilfe holen kann. Wenn man damit durchkommt, hat man sein Ziel schnell und dauerhaft durchgesetzt.

Die Neuen Sozialen Bewegungen vertreten außerdem die Strategie, den eigentlichen Protest zu verlassen und die Welt selbst besser zu machen. So sollen Vorbilder geschaffen und neue Strukturen etabliert werden. Da geschieht zum Beispiel durch eigene Wohnprojekte, Gärtnereien oder Buchhandlungen.

Welche Rolle spielen die Medien bei Protestaktionen?

Medien sind unglaublich wichtig. Vor allem Bilder. Die wurden zum Beispiel in der 68er Bewegung sogar international verbreitet und haben eine aktivierende Rolle. Bilder von Protesten und Polizeieinsätzen motivieren die Leute und vermitteln ihnen das Gefühl, Teil einer Masse zu sein.

Auch Musik und ganze Genres wie Punk tragen dazu bei, sich als Teil einer Bewegung zu verstehen und zu motivieren.

Protestkultur in Freiburg

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Fotos: Wenn nicht anders gekennzeichnet: Felicia Herr
Autoren:
Veröffentlicht am 23. Januar 2018

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