LED IT shine

LED IT shine

Die meiste Zeit des Tages starren wir auf winzig kleine leuchtende Farbpixel, auf Displays, die uns durch die verschiedenen Etappen eines Tages begleiten – selbst dort, wo man eigentlich gerne darauf verzichten würde. Warum man den Blick besser auch mal auf andere Dinge lenken sollte und warum die Zukunft alles andere als finster wird, weiß Samantha.

Die ersten wärmenden Sonnenstrahlen brechen durch das triste Grau, sie sind die Vorboten des Frühlings, einer Zeit der Entfaltung – vor allem der körperlichen. Statt zusammengezogen und völlig verkrampft das Kinn auf die Brust zu ziehen, um der eisigen Kälte so wenig Angriffsfläche wie möglich zu bieten, können wir endlich wieder erhobenen Hauptes durch den Alltag spazieren und uns am Erwachen der Natur erfreuen, die einen, wie ein trister körniger Schwarz-Weiß-Film über dem man einen Farbeimer verschüttet, Stück für Stück und Bild um Bild mit dem Gefühl von Wohligkeit und tiefem Glücksempfinden erfüllt.

Von der Technik berauscht

Doch statt auf erhobene Häupter blicken wir an Haltestellen, in Straßenbahnen, beim Schlendern durch die Innenstadt sogar in Cafés, Restaurants und Bars auf die Haaransätze unserer Gegenüber. Das Kinn auf die Brust gelegt, die Nackenmuskulatur vor Neugier gespannt, der Blick, wie Kaugummi auf Asphalt haftend, auf den illuminierenden Liquid Crystal Displays – deren spontane Assoziationen mit einer Welt voll Berauschtheit und scheinbarem Hochgefühl offenbar auch in Sachen Suchtpotenzial nur geringfügig abweicht – so zirkeln wir durchs Leben, stets darauf bedacht, größere Kollisionen mit der Realität zu vermeiden.

Während des Frühstücks den neuesten Artikel auf dem Handy lesen, auf dem Weg zur Bahn der E-Mail-Flut im Posteingang das Wasser abgraben, das jüngste fotografische Kunstwerk unter der Last von zahlreichen Filtern begraben, den Instagram Account füttern, im Aufzug schnell die aktuellen Geburtstage auf Facebook checken, während der Videokonferenz unauffällig den Kneipenabend über Messenger-Dienste planen, auf dem Spinning Rad die neuste Serie weiterschauen, die Partnerin oder den Partner auf Dating Webseiten aussuchen, den Abend vor dem Fernseher bei Online-Shopping ausklingen lassen oder einfach die über einem leeren Display schwebende Uhrzeit genießen, mit der Gewissheit, seit dem letzten Mal schauen nichts verpasst zu haben.

Bereits 2013 starrten laut einer Studie die Deutschen ganze 57 Prozent des Tages auf Displays … Fünf Jahre später klagt eine durchweg technisierte Art Homo Novus über die Folgen: Einst evolutionsgeschichtlich mühsam aufgerichtet, wird unsere unbändige Intelligenz nun beim Herunterschauen zur wirbelsäulenkrümmenden Last und Filter verschönen nicht nur Selfies, sondern müssen uns vor Augenschädigungen und Schlaflosigkeit durch blaues Licht schützen, das, entgegen des VW Golf Werbespots von 1999, eben doch nicht ausschließlich glücklich macht.

Die Kunst des Träumens

Die viereckigen Augen – durchschauten wir sie noch zu Kindestagen als dreistes Mittel zur Begrenzung von Fernsehzeiten – sind heute offenbar als generationsübergreifende Volkskrankheit fester Bestandteil der Weltbevölkerung. Während kurzer Wartezeiten einfach mal den eigenen Gedanken und Träumereien nachzujagen, gehört offenbar längst vergangener Tage an. Lediglich vereinzelte Smartphone-Gegnerinnen und -Gegner hecheln dieser Kunst hinterher, immer Gefahr laufend über eine der hinter jeder Ecke lauernden Ablenkungen zu stolpern – selbst die öffentlichen Verkehrsmittel entertainen ihre Fahrgäste heute mit Quizfragen. Dabei ist Langeweile – gesellschaftlich verrufen als Sand im Getriebe einer Nation tüftelnder Wirtschaftsankurbler und emsig-innovativer Ingenieure – vielmehr der verkannte Kraftstoff für Kreativität, Phantasie und Erfindungsreichtum.

(K)eine finstere Zukunft

An Erfindungsreichtum mangelte es zumindest einem Forscherteam aus den Niederlanden nicht. Ärgerte man sich bisher beim Ausgehen über die offenbar nach der letzten Europameisterschaft vergessenen Fernsehgeräte von der Größe einer Provinzkinoleinwand im Speiseraum beim Italiener, der Dönerbude um die Ecke oder der Lifestyle Bar, von denen einem grauenvolle Schicksalsschläge, verschwitze Fußballer oder von Bluthochdruck geplagte Börsianer im taktlosen Wechsel entgegenleuchteten und dabei die Blicke jener Freunde fesseln, die sich kurzzeitig von ihrem Handydisplay lossagen konnten, können wir uns schon bald auf flimmernde Textilien und leuchtende Wände und Fassaden freuen. Denn mit dem Pinsel sollen die Flüssigkristall-Bildschirme der Zukunft auf Flächen und sogar auf Kleidung aufgetragen werden, so sind Living Walls nicht länger an kulturelle Veranstaltungen gebunden. Die Zukunft der Morgenzeitung liegt auf den Hemdrücken der Kollegen und auf den Fassaden der unliebsamen Nachbarn lässt man einfach mal ein paar diskreditierende Filmchen laufen – ob es einem da irgendwann zu bunt werden kann?

Samantha Happ findet wunderliche Dinge bemerkenswert und tut dies in ihrer Kolumne “Mein Senf” kund.

Samantha Happ findet wunderliche Dinge bemerkenswert und schreibt in ihrer Kolumne “Mein Senf” darüber.

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Bild: Samantha Happ
Autoren:
Veröffentlicht am 14. März 2018

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