Der Geschmack des Heimweh


Das finnische Wort für Heimweh lautet „koti-ikävä“ und bedeutet „sich nach etwas sehnen“. Auch Studierende kennen das Gefühl etwas zu vermissen: Die norddeutsche Mundart, die skandinavischen Kälte, die spanische Siesta. Doch zu ihrem Heimweh zu stehen, trauen sich Wenige. Die Ethnologin Dr. Elke Regina Maurer hat ein Buch dazu geschrieben.

Ein Buch zum Thema Heimweh: Dr. Elke Regina Maurer hat sich mit dem sanktionierten Phänomen des Heimwehs befasst und Menschen über die Sehnsucht nach der eigenen Kultur, kulturelle Hintergründe, persönliche Schicksale und dessen Bewältigung erzählen lassen.

Die Interviews der 14 Befragten, darunter Deutsche, die im Ausland leben und Ausländer, die in Deutschland leben, hat die Ethnologin in ihrem Buch „Der Geschmack des Heimwehs“ veröffentlicht und mit diversen internationalen Rezepten bereichert, um die Verknüpfung von Heimweh und Esskultur deutlich zu machen. Denn das erste, was den Befragten meist einfällt, wenn sie von ihren Sehnsüchten reden, ist das Essen aus ihrem Heimatland.

So erzählen Erasmus Studierende, wie Anna aus Finnland oder Oskar aus Schweden von ganz konkreten Sachen, die sie in Freiburg vermissen, zum Beispiel finnische Kaugummis oder schwarze Lakritze oder aber skandinavische Fischgerichte.

Auch Jonas, Studierender eines bilingualen Studiengangs in Frankreich, spürt sein Heimweh am deutlichsten im Essen. Da er das deutsche Vollkornbrot so vermisst, hat er sich eine Brotbackmaschine mit nach Frankreich genommen.

Nicht nur Studierende, die auf absehbare Zeit ins Ausland gehen, sondern auch Menschen, die für immer emigrieren, hat Elke Maurer erzählen lassen. So zum Beispiel den persischen Taxifahrer oder eine Italienerin, die ihre neue Heimat in Deutschland gefunden haben und dabei teils harte Zeiten durchlebt haben.

Heimweh – ein Tabuthema?

Als Maurer ihre Interviewpartner zum ersten Mal auf das Thema Heimweh angesprochen hat, haben alle mit einer gewissen Scheu und Zurückhaltung reagiert. Heimweh? Ein peinliches Thema – ein Tabuthema.

„Die Moderne erwartet von einem, flexibel zu sein und besonders in Zeiten der Globalisierung ist Heimweh eine Schwäche, es gilt als peinlich und unpassend“, so Maurer. Also redet man nicht über Heimweh und versucht, es zu unterdrücken.

Das kann jedoch gravierende Folgen haben: vom krankhaften Ehrgeiz über die soziale Isolation bis hin zur Depression. Früher galt Heimweh sogar als letztlich tödliche Krankheit. Gegen die Tabuisierung des Heimwehs setzt sich Elke Maurer ein. „Jeder Mensch hat etwas Wichtiges in seinem Leben, wonach er sich sehnen kann und das ist etwas Schönes, was man zulassen soll“, findet sie.

„Wir müssen dieses Heimweh wahrnehmen, anerkennen und die Menschen erzählen lassen, was sie hier vermissen. Denn die Anerkennung des Heimwehs läuft auf eine Anerkennung der anderen Kultur hinaus“.

Essen hilft – Rezepte zum Nachkochen im Buch

Der kulturelle Austausch erfolgt am einfachsten über das Essen, deswegen beeinhaltet „Der Geschmack des Heimwehs“ zahlreiche Rezepte vom finnischen Korvapuusti bis zum eritreischen Foul, mit der augenzwinkernden Aufforderung zum Nachkochen. Denn durch diesen Austausch kann der Kontakt mit der neuen Kultur entstehen und gleichzeitig die eigene gepflegt werden.

Auch wenn Heimweh vom Erleben etwas Schmerzhaftes ist – wer richtig damit umgeht, über seine Sehnsüchte redet und stolz auf seine eigene Kultur ist, statt das Gefühl zu unterdrücken – der wird in seiner Persönlichkeit gestärkt.

„Heimweh kann einem durch den Schmerz des Vermissens und  der Sehnsucht, der Leere  und des Nichtverstandenfühlens eine Menge über  einen selbst sagen, wenn man es denn zulässt und nicht gleich überspielt oder gar verdrängt.

Vor allem über das, was einen kulturell und sozial geprägt hat, über das, was einem wichtig ist, über Vorlieben und kulturelle Selbstverständlichkeiten.

Eine fremde Kultur ist ein Reichtum – wenn man sie unterdrückt, geht der Reichtum verloren“, sagt Dr. Elke Regina Maurer.

Infos zum Buch & zur Autorin

Der Geschmack des Heimwehs. Biografische Gespräche über Heimweh und Esskultur. Mit ungewöhnlichen Rezepten. Centaurus-Verlag 2011

Dr. Elke Regina Maurer studierte zunächst Biologie und Geografie und arbeitete danach als Lehrerin. Später studierte sie in Freiburg Soziologie, Philosophie und Ethnologie und promovierte in Ethnologie mit einem Thema, das sich mit der Wahrnehmung des Fremden beschäftigte.

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Fotos:
Dr. Elke Regina Maurer: Alina Eikenbusch
Veröffentlicht am 13. Dezember 2011

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