Ein Gehirn aus Knet – wie lernen Spaß machen kann

“Das menschliche Gehirn – ein Mal- und Bastelkurs”: Studierende lernen bei Dr. Janina Kirsch auf eine etwas außergewöhnliche Weise die Anatomie des menschlichen Gehirns kennen. Was die Studierenden da machen und wieso sie dadurch besser lernen, wollten wir von der Freiburger Neurowissenschaftlerin wissen, die für diesen Kurs den Landeslehrpreis 2011 bekommen hat.

In ihrem Lehrkonzept „Das menschliche Gehirn – ein Mal- und Bastelkurs“ basteln Studierende das Gehirn unter anderem mit Knetmasse nach. Wie kann ein so komplexes Organ mit einer Knetmasse dargestellt werden?

Im Prinzip ist das nicht so schwierig. Da das Gehirn keine homogene Masse ist, sondern aus mehreren Unterstrukturen besteht, bauen wir nicht das komplette Gehirn an einem Tag nach. Semesterbegleitend einmal pro Woche nehmen wir uns eine dieser Hauptstrukturen vor, besprechen wie diese Struktur  aussieht, erklären deren Hauptfunktionen und bauen diese Schritt für Schritt wie mit einem Baukastensystem nach.

Dadurch bilden die Studierenden eine Assoziation zwischen dem Aufbau und der dazugehörigen Funktion dieser Gehirnstruktur und können diese für sich wie in Schubladen abspeichern.

Wie kamen sie auf die Idee durch Basteln und Malen den Studierenden die Komplexität des Gehirns zu verdeutlichen?

Das Gehirn ist eine komplexe dreidimensionale Struktur, bei der man sich auf Abbildungen wie zum Beispiel bei MRT-Aufnahmen die reale Struktur schlecht vorstellen kann. Auf einem Schnittbild wird nur ein kleiner Teil der Gesamtstruktur dargestellt, aber nicht wie die einzelnen Strukturen verlaufen und deren Relationen zueinander.

Ich hatte selbst Schwierigkeiten mir das richtig vorzustellen und hätte es auch niemanden wirklich erklären können. So habe ich zur Knete gegriffen um mir selbst das Gehirn dreidimensional zu verdeutlichen. Das war der Auslöser es so auch Studierenden  näher  zu bringen.

Wie kann ich mir den Ablauf eines solchen Kurses vorstellen?

Für einen Kurstag sind immer zwei Studierende verantwortlich. Wie bei einem Referat stellen sie ein Thema vor wie etwa eine Hauptstruktur des Gehirns beispielsweise das „Kleinhirn“. Anhand  eines Modells erklären sie, wo diese Struktur liegt, wie sie aussieht und im weiteren Verlauf des Kurses erläutern sie auch deren Funktion. Ich selbst halte mich dabei im Hintergrund.

Um sich die dreidimensionale Struktur besser vorstellen zu können, bauen alle Studierenden diesen Teil mit Knetmasse nach. Als Hilfestellung dient ein professionelles Modell, was sie auseinander nehmen können um sich die einzelnen Teile genauer anzuschauen.

Der Kurs ist ein Teil eines Profilmoduls für Biologen, zu dem auch eine begleitende Vorlesung gehört. Inhaltlich findet diese immer nach dem Kurs statt, wobei unterschiedliche Aspekte vertieft werden. So wird zum Beispiel im Kurs bei dem Thema „verlängertes Mark“ der Aufbau und die groben Funktionen wie Atemregulation, Regulation des Herzschlages, Entleerung der Blase besprochen, während in der Vorlesung dann eine Funktion zum Beispiel die Schlafregulation detaillierter dargestellt wird.

Wie ist die Reaktion der Studierenden, die ja normalerweise oft nur zuhören und auswendig lernen müssen, auf ihren Kurs, bei dem sie sich selbst mit Basteln und Malen beteiligen müssen?

Der Kurs ist immer ausgebucht. Der etwas reißerische Titel „Das menschliche Gehirn – ein Mal- und Bastelkurs“, der  theoretisch auch „Anatomie und Funktion des menschlichen Gehirns“ lauten könnte, macht die Studierenden neugierig. Es dauert oft zwei bis drei Tage bis sie sich mit dem Konzept des Knetens angefreundet haben. Zunächst denken sie häufig: „Ich bin künstlerisch nicht begabt, so kann ich das  nicht“ bis sie dann verstehen, dass dies völlig irrelevant ist.

Es geht darum nicht nur passiv zu konsumieren, sondern selbst mitzudenken, selbst was zu machen und mit allen Sinnen ein Thema zu erfassen. Außerdem besitzen sie danach ein eigenes Knetmodell, was sie mit nach Hause nehmen können.

Meine Idee war, dass vielleicht jemand das Modell in ihrem Regal sieht, nachfragt was das sei und die Studierenden es dann nochmals erklären müssen und sich damit auch nachhaltig beschäftigen. Dadurch, dass sie sich gegenseitig austauschen können, über ihre Modelle vielleicht sogar lachen, kann die Erinnerungsleistung verbessert werden und der erlernte Stoff „geht nicht da rein und wieder raus“, sondern bleibt längerfristig im Gedächtnis.

Studierende haben oft die Schwierigkeit sich Erlerntes längerfristig merken zu können. In Ihrem Kurs soll das Lernen durch unterschiedliche Sinneseindrücke unterstützt werden, haben sie eine Erklärung, warum dadurch das Lernen leichter fällt?

Wissenschaftlich kann ich das natürlich nicht belegen, allerdings ist aus der Pädagogik schon bekannt, dass das Lernen durch mehrere Sinneskanäle die Erinnerungsleistung erleichtert.

Hilfreich ist auch immer, wenn Fakten emotional gefärbt sind. Im Kurs haben wir eine gute Stimmung, es ist kein Frontalunterricht, sondern macht einfach Spaß. Die Studierenden können sich bei ihrem Tun gegenseitig anschauen und werden in ihrem weiteren Leben wahrscheinlich niemals vergessen, dass sie im Kurs geknetet haben. In solch einer positiven Grundstimmung ist das Gehirn aufnahmebereit, denn das Gehirn will lernen und Informationen aufnehmen.

Wenn ich aber unter Stress stehe, funktioniert das nicht mehr, weil das Gehirn mit anderen Dingen beschäftigt ist, nämlich „wie komme ich aus dieser Situation heraus? wie überlebe ich? muss ich weglaufen? Ich habe eine Prüfung und Angst“. In solch einer Situation ist das Gehirn nicht aufnahmefähig, weswegen wir im Kurs den Lernstress komplett rausnehmen und das Gehirn sich so gerne an eine schöne gemeinsame Zeit erinnert.

Durch das Benutzen unterschiedlicher Sinneseindrücken wird ebenfalls das Lernen erleichtert. Der Studierende kann dadurch Türchen öffnen  und sich an die dahinterliegenden Fakten erinnern: Wie es gesagt wurde, wie es sich angefühlt hat oder wie es dreidimensional aussah, sodass er nicht nur einen Kanal zu dieser Information hat.

Außerdem machen wir zusätzlich noch kleinere Experimente wie zum Beispiel motorische Lernaufgaben, wenn wir über die Funktion des Kleinhirns sprechen. Wir bieten also für jeden Lerntyp ein breites Angebot an Lernmethoden, aus denen er selbst wählen kann, welche ihm am besten behagt.

Haben sie noch weitere Tipps für Studierende, wie sie ihr Gehirn zu besseren Lern- und Gedächtnisleistungen „trimmen“ können?

Ich glaube einen generellen Rat gibt es da nicht. Jeder muss das für sich selbst herausfinden. Die Studierenden sollten offen sein mit verschiedenen Methoden zu experimentieren.

Mir hat es immer geholfen Eselsbrücken zu bauen. Außerdem habe ich als Studentin  immer A3 Poster gemacht an den Schrank gepinnt und mir beim Zähneputzen immer wieder durchgelesen. Hilfreich ist es, den großen Berg, den man wissen muss, zu vereinfachen, den Stoff  in kleinere verdaubare Portionen einzuteilen und nicht versuchen alles auf einmal zu lernen.

Ein wichtiger Punkt ist auch das „Wiederholen“, weil man oft etwas liest und denkt man hätte es verstanden. Ob man es richtig verstanden hat, zeigt sich oft erst, wenn man es jemanden erklären kann. Deshalb sollen im Kurs die Studierenden den Stoff auf dem Niveau erklären, dass andere das auch verstehen können.

Den Sachverhalt aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten, vielleicht mal den Ort vom Schreibtisch nach Draußen zu wechseln, kann ebenfalls dazu führen, das man eine Gesamtvorstellung vom Thema hat. So kann der Studierende vermeiden, dass er Sachverhalte nur ungefähr weiß und nicht, falls es in einer Prüfung ein wenig anders formuliert wird, es dann doch nicht mehr weiß.

Was ist für Sie das Faszinierende am menschlichen Gehirn?

Das Gehirn ist das was uns als Individuen ausmacht. Jedes Gehirn ist individuell, deswegen sind wir auch individuell. Das ist sehr beeindruckend. Es ist ein wundervolles, so mystisch rätselhaftes Organ, aber doch alles irgendwie biologisch erklärbar.

Oft denken wir, wir hätten die Kontrolle, täten alles bewusst, aber es gibt so viele Dinge die unser Gehirn macht ohne uns davon in Kenntnis zu setzten wie zum Beispiel das Atmen. Wenn wir jedes Mal darüber nachdenken müssten: „einatmen, ausatmen bitte“, wären wir mit nichts anderem beschäftigt.

Ich finde es faszinierend, dass die Evolution unser Gehirn dazu gebracht hat, dass viele Funktionen automatisch ablaufen und wir uns dessen nicht mehr bewusst sind. Unser Gehirn ist dadurch frei, sich mit anderen Dingen zu beschäftigen, Wissenschaft zu betreiben und kann mehrere Dinge gleichzeitig tun: Treppensteigen, gleichzeitig mit Jemanden reden und dabei noch nachdenken wie doof derjenige eigentlich ist. Trotzdem wissen wir noch so wenig darüber und es ist ein Feld, bei dem noch lange Zeit weiter geforscht werden kann.

Dr. Janina Kirsch mit Knet-Modellen.

Ein Motoriktest

Ein Beispiel zu den motorischen Lernaufgaben gibt es hier: dasgehirn.info/denken/gedaechtnis/motorisches-gedaechtnis

Diskutieren!

Auf dem Blog “Impulswerkstatt Lehrqualität” der Uni Freiburg stellt Janina Kirsch ihre didaktischen Methoden vor. Pädagogik-Experten können dort ihre Beiträge kommentieren. Auch Studierende sind herzlich zur Diskussion eingeladen! Wie findet ihr es, so zu lernen? Hier geht’s zur Impulswerkstatt: blog.lehrentwicklung.uni-freiburg.de

Foto:
Dr. Janina Kirsch: Veronika Schlimpert
Veröffentlicht am 1. Februar 2012

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