„Ich dusch nur mit dem Arsch zur Wand“

Diskriminierung ist auch heute noch ein Thema im Fußball. Besonders davon betroffen ist Homosexualität. In der Bundesliga hat sich bis heute kein Profifußballer geoutet. Nina Degele, Professorin am Institut für Soziologie Freiburg, widmet sich in einer Studie einer Bestandsaufnahme und stößt dabei auf Tabus und verkappte Ängste, Gründe für Homophobie und den Umgang mit ihr.

Frau Professor Degele, Sie haben eine Studie mitentwickelt, die sich mit Diskriminierung verschiedener Gruppen im Fußball beschäftigt, unter anderem auch mit Homophobie. Sie sprechen in der Studie vom Fußball als einer „hetero Männerbastion“,  Homophobie ist hier also immer noch sehr präsent.

In anderen Bereichen – Politik, Kultur – gibt es weniger Probleme. Wie kommt das?

Der Vergleich mit Politik und Kultur ist einerseits gut, um tatsächlich zu sehen, dass Fußball sehr weit zurückgeblieben ist, andererseits werden da auch deutliche Unterschiede sichtbar.

Fußball hat eine ganz andere Geschichte. Fußball ist ein Männersport par exellence und war für Frauen lange verboten. Außerdem ist Fußball ein sehr körperlicher Sport. Dass da Homosexualität als Bedrohung wahrgenommen wird, in einem Feld, was durch und durch männlich konnotiert ist, ist dann recht naheliegend.

Woran erkennt man Homophobie im Fußball?

‘Schwul‘ wird zum Beispiel als Schimpfwort benutzt, um entweder Schiedsrichter oder Spieler zu diskreditieren, um zum Ausdruck zu bringen, dass man mit dem, was passiert überhaupt nicht einverstanden ist. Man sieht es vor allem daran, dass Schwule im Fußball das Tabu schlechthin sind. Es gibt keinen Spieler in den Profiligen in Deutschland, der sich je geoutet hat.

Da steckt schon die Angst mit drin, dass Fans oder die Medien über sie herfallen würden. Auf jeden Fall muss man es als Angst ernst nehmen und die Tatsache, dass das Thema mit Samthandschuhen angefasst wird ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass starke Tabus vorhanden sind.

Was müsste passieren, damit sich ein Fußballer trauen würde, sich zu outen?

Das Klima müsste sich ändern, damit diejenigen, die schwul sind, nicht mehr die Angst haben, allein dazustehen. Sie müssten Unterstützung von ihrem Verein bekommen, das heißt es muss auch Gruppierungen geben, die sie unterstützen.

Solche Gruppierungen gibt es heute zwar schon, in Form der rund 20 queeren Fußballclubs, die inzwischen auch stark für Öffentlichkeit sorgen, aber das ist noch viel zu wenig.

Was sind denn die Ursachen für die Homophobie im Fußball? Was sind denn die Ursachen für Ausgrenzung schlecht hin?

Wie bereits erwähnt ist die Geschichte des Fußballs sehr stark männerdominiert. Alles, was nicht 100-prozent männlich aussieht – und das sind nun mal Frauen und Schwule – gehört nicht in Fußball hinein, wird als Fremdkörper wahrgenommen und da entstehen Ängste.

Das Andere ist, dass es Ängste gibt, wenn beispielsweise Fans sich vor Freude in den Armen liegen. Dazu sagen schwule Fanclubs: „Wir könnten das nicht machen, weil wir dann gleich angepöbelt werden, obwohl die ganzen anderen Hetero-Fans es genauso machen“. Die Vermutung, etwas könnte schwul sein, reicht aus, damit die Angst aufkommt: Sind wir vielleicht auch schwul?

Denn das, was Fans und Spieler tun, könnte nämlich, wenn man es in einem anderen Kontext betrachtet, locker unter schwul laufen. Aber es darf auf gar keinen Fall in den Verdacht geraten, dass da irgendetwas Sexuelles dran ist.

Heißt das, es ist auch die Angst davor, sich selbst damit zu konfrontieren?

Das vermute ich. Ich denke, das ist auch dadurch gerechtfertigt, dass zum einen bestimmte Handlungen nicht falsch gewertet werden dürfen, wie etwa Umarmungen bei Zuschauern. Zum anderen aber auch der ominöse Ort der Dusche, der bei den Gruppendiskussionen immer wieder aufgetaucht ist. „Schwul, ja hm“ ist für viele kein Problem. Aber was sehr wohl ein Problem ist, das ist die Dusche, da hört der Spaß auf. Da kann man jetzt unterschiedliche Deutungen anstellen.

Nehmen wir das Zitat des früheren Hamburger Torwarts Frank Rost. Er sagte einmal: „Ich dusch nur mit dem Arsch zur Wand.“ Was heißt das, nur mit dem Arsch zur Wand duschen? Dem Mitduschenden auf gar keinen Fall den nackten Hintern hinstrecken? Was könnte man da wieder deuten, ist das Penetrationsangst oder die Angst vergewaltigt zu werden? Vielleicht ist es aber auch die Angst mit irgendwelchen Reaktionen seinerseits konfrontiert zu werden, dass man am Schluss selber schwule Anwandlungen hat.

Zumindest in der Dusche wird das Thema Nacktheit logischerweise explizit sichtbar und die Konfrontation damit. Was es eigentlich heißt, wenn ein Schwuler mit in der Dusche ist. Hat der sich nicht mehr unter Kontrolle oder hab ich mich nicht mehr unter Kontrolle, funktioniert Kontrolle überhaupt nicht mehr? Also das scheint zumindest ein Tabu anzurühren, dass im Fußball ganz hartnäckig verdeckt wird.

Wie sind Sie bei der Studie vorgegangen?

Wir haben insgesamt 24 Gruppen, die mit Fußball in irgendeiner Form etwas zu tun haben, diskutieren lassen. Die Gruppen waren altersmäßig gemischt, die jüngste war eine Kindergruppe, mit Acht-, Neunjährigen, die älteste waren Altenheimbewohner und -innen mit über 80 Jahren.

Dann gab’s schwule, lesbische, hetero Teams, es gab gemischtgeschlechtliche Gruppen, nur Männer, nur Frauen, es gab Fangruppen, Interessierte, in Form eines Kirchenchors, der selber Spiele ausrichtet. Wohnungslose waren dabei, Behinderte… Wir haben versucht ein möglichst breites Spektrum an Menschen abzudecken, die in irgendeiner Weise aktiv sind beim Fußball, entweder als Fans beim Gucken oder beim Selberspielen.

Zu den Treffen haben wir ein Plakat mitgebracht, auf dem wir Bilder montiert hatten, die unterschiedliche Aspekte zum Ausdruck bringen, wie etwa zwei Spieler, die übereinander liegen und jubeln oder Fans die sich in den Armen liegen und weinen.

Wir hatten auch ein Bild von der amerikanischen Spielerin Brandi Chastain dabei, die sich ihr Trikot vom Leib reißt und nur noch mit dem Bustier bekleidet kniet und damit ihre ganze Freude zum Ausdruck bringt.

Wir haben dann die Gruppen diskutieren lassen, ohne Fragen zu stellen. Wir haben nur zugehört. Dann erst konnten wir rekonstruieren, ob die Teilnehmenden eine Scheu hatten, darüber zu reden oder ob sie sehr offen mit dem Thema umgingen. Für uns war es so möglich, unterschiedliche Strategien zu unterscheiden.

Waren auch Leute dabei, die tolerant mit dem Thema umgegangen sind?

Unser Ziel bei der Studie war nicht, den Umgang mit Homophobie zu bewerten. Wir haben eher unterschiedliche Strategien oder Ausweichstrategien festgestellt. Bei einigen Gruppen fand eine ganz aktive Kontextverschiebung statt: „Ich hab kein Problem damit, aber die Fans würden sie niedermachen oder die Medien“. Weg von sich und auf andere verschoben, war eine beliebte Strategie.

Andere hatten einen sehr ironischen Umgang damit. Es gab aber auch ganz deutliche Beleidigungen, wie „Mit einem Analritter dusch ich nicht!“ oder „Das ist ne Krankheit“.

Prinzipiell wird doch mit Fußball Toleranz, Respekt und Integration verbunden, das passt nicht zu dem Bild, das Sie beschreiben.

Das muss man differenzieren. Fußball verbindet, das ist ja der Slogan. Aber Verbindung funktioniert über Ausgrenzung. Wir wissen, zu wem wir gehören, wenn wir wissen, zu wem wir uns abgrenzen. Es muss Ausgrenzung stattfinden, um überhaupt erst Zusammengehörigkeit herzustellen. Ausgrenzung, die auch institutionalisiert und willkürlich gezogen ist, wie beispielsweise bei den Länderspielen.

Ist Fußball denn überhaupt geeignet, um Toleranz und Respekt in einer anderen Ebene weiterzuführen?

Doch, Fußball eignet sich schon dafür. Es gibt ja bereits verschiedene Versuche, indem man beispielsweise ethnisch gemischte Teams zusammenstellt. oder gemischt-geschlechtliche Teams spielen lässt. Das ist eine gute Idee, um den Gedanken der Integration populär zu machen.

Wie ist es eigentlich beim Frauenfußball, spielt Homophobie da auch eine Rolle?

Ja, aber in einer anderen Form. Frauenfußball hat seit jeher das Image, das nur Lesben spielen. Viele Frauen haben Angst davor, dass sie automatisch als Lesben abgestempelt werden.

Das führt dazu, dass sich Fußballerinnen ständig abgrenzen und rechtfertigen müssen gegen den Lesbenvorwurf.

Bei der letzten Fußball WM der Frauen konnte man sehr gut beobachten, dass die Frauen sich weiblich inszenieren mussten, um zu sagen: „Es können auch richtige Frauen Fußball spielen.“ Richtige Frauen, das heißt heterosexuelle Frauen.

Man könnte sagen, die Tendenz beim Frauenfußball geht in eine ähnliche Richtung …

Das ist der Fall. Insofern sehe ich auch eine strukturelle Ähnlichkeit gegenüber Frauen und Schwulen. Im Grunde ist das fast austauschbar, wobei die Einstiegstabus unterschiedlich sind. Frauen müssen sich qua Geschlecht dafür rechtfertigen: „Obwohl ich eine Frau bin, kann ich trotzdem Fußball spielen.“

Bei Männern fängt die Ausgrenzung „erst“ bei der Sexualität an. Bei Frauen kann man sagen, wenn sie Fußball spielen, ist das schon ein Tabubruch, wenn sie dann noch lesbisch sind, ist es auch nicht mehr so schlimm.

Ging es in der Studie auch um Lösungsvorschläge, wie man das Thema angehen könnte?

Nein, wir haben keine Lösungsvorschläge erarbeitet, die Studie ist eine Bestandsaufnahme. Die Richtung, in die es gehen muss ist aber schon klar ableitbar: Es muss ein Klima geschaffen werden, in dem Homophobie keine Chance hat, das heißt Solidarität herstellen. Die konkrete Umsetzung müssen aber die einzelnen Verbände und Vereine  entwickeln und formulieren.

Info

Zur Studie als pdf

Autoren:
Veröffentlicht am 11. Oktober 2012

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