Mit der Paradiesvogelblume zum Architekturpreis

Mit der Paradiesvogelblume zum Architekturpreis

Wie kann man mit dem Vorbild von Lianen Schlauchboote reparieren? Wieso kann man als Biologe einen Architekturpreis gewinnen? Und was genau ist eigentlich Bionik? Melanie Ort hat sich auf die Suche nach Antworten begeben.

Die Selbstheilung bei Pflanzen ist in der Natur selbstverständlich, für uns Menschen ist es eine Entdeckung, die viele Türen öffnet. Eine rissversiegelnde Schaumbeschichtung eignet sich hervorragend als Reparaturstoff für luftgefüllte Gegenstände, etwa einem Schlauchboot.

Alles nach dem Vorbild von Mutter Erde. Die Liste mit Produkten, die nicht unserem Menschenverstand entsprungen sind, ist lang. Erstaunlich was die Natur im Laufe der Jahrmillionen entwickelt hat und noch erstaunlicher ist es, dass die Menschen sich diese Tricks zu Nutze machen können.

Bionik heißt die vielversprechende Fachrichtung der Zukunft, die Biologie und Technik vereint. Die Universität Freiburg hat mit dem Team rund um Professor Dr. Thomas Speck eine der erfolgreichsten Bionikforschergruppen Deutschlands.

Mit der Entwicklung einer Fassadenverschattung, die auf dem Klappmechanismus der Blüte der Paradiesvogelblume beruht, hat das Team viel Aufmerksamkeit erregt. Die Paradiesvogelblume besitzt eine Art Sitzstange für Vögel, die durch eine mechanische Hebelwirkung geöffnet wird und den Pollen der Blume freilegt, ganz ohne Scharniere. Diese Technik haben sich die Freiburger Biologen genau angesehen und mit Ingenieuren und Architekten aus Stuttgart, die Idee des scharnierlosen Bauens weiterentwickelt.

Denn gerade Gelenke sind die Schwachpunkte von hochgradig beanspruchten Gegenständen. Das von den Freiburger Forschern samt  Kollegen entwickelte Verschattungsbauteil Flectofin® gewann 2011 den Architekturpreis „Techtextil Innovationprize“ und 2012 den Internationalen Bionic Award der Schauenburg-Stiftung. Auch wurde ein Expo-Gebäude in Südkorea mit diesen neuartigen, beweglich Lamellen versehen.

Melanie Ort sprach mit Simon Poppinga, Doktorand in der Arbeitsgruppe von Thomas Speck am Botanischen Garten der Uni Freiburg.

Herr Poppinga, zu allererst: Wie erklären Sie einem Fachfremden was Bionik ist?

Das ist gar nicht so schwierig. In der Bionik macht man eigentlich nichts weiter als dem Forscherdrang kombiniert mit dem Ausblick, dass die gewonnen Erkenntnisse in der Technik umgesetzt werden, nachzugehen. Berühmtestes Beispiel in der Bionik ist vielleicht der Klettverschluss, bei dem man sich die gesamte Struktur von den allseits bekannten Klettfrüchten abgeschaut hat.

Für die Entwicklung der „Bionischen Fassadenverschattung nach dem Vorbild der Strelitzie” wurden Sie mit dem „Techtextil Innovationprize 2011 – Architecture“ ausgezeichnet. Etwas ungewöhnlich für einen Biologen – wie kam es dazu?

Wir arbeiten in einem Verbundprojekt, das heißt die Projektgruppe setzt sich aus vielen gebündelten Kompetenzen zusammen, aus Biologen, Materialwissenschaftlern, Architekten und Bauingenieuren. Da ist es logisch, dass man sich auch für verschiedene Preise bewirbt, unter anderem auf einen Architekturpreis. Anders war das mit dem Bionic Award, da haben wir uns gemeinsam intensiv darauf vorbereitet.

Der Bionic Award?

Das ist der am höchst dotierte, internationale Preis für Nachwuchswissenschaftler im Bereich der Bionik. Wir hatten uns mit dem Verschattungsbauteil Flectofin® um den Preis beworben und haben gewonnen. Für die Vorbereitung der Mappe hatten wir uns ein halbes Jahr Zeit genommen. Der Preis wurde im Oktober 2012 in Bremen verliehen, da waren wir natürlich alle sehr glücklich.

Die ausgezeichnete Fassadenverschattung – Flectofin®

Flectofin® scheint Erfolg zu haben. Wie kann man sich aber den Prozess vorstellen von der Idee bis zum marktfertigen Produkt?

Als Biologe hat man immer Ideen, es gibt viele Dinge die man gerne bionisch optimieren würde. Das heißt, wir geben Ideen an die Techniker weiter, das nennt sich Bottom-Up-Prozess der Bionik. Leider können die Ideen aber nicht immer umgesetzt werden. Andersherum läuft es, wenn wir Anfragen aus der Wirtschaft haben, dann suchen wir konkret nach Systemen in der Natur, die auf das Profil des Objekts passen.

Zum Beispiel wenn jemand ein Auto mit möglichst wenig Luftwiderstand bauen möchte, dann suchen wir nach strömungsgünstigen Formen in der Biologie. Das nennt sich dann Top-Down-Prozess der Bionik, das heißt wir suchen aktiv nach Vorbildern in der Natur.

Stellen sich beide Seiten das manchmal zu leicht vor?

Ja, da kann man mit vollem Elan rangehen und muss erkennen, dass manche Dinge gar nicht in einer andern Größe nachbaubar sind. Die Skalierbarkeit spielt eine sehr große Rolle in der Entwicklung. Außerdem sprechen die unterschiedlichen Fachrichtungen andere Sprachen.

Ich habe den Architekten etwas von Bestäubungsmechanismen an Strelitzienblüten erzählt und die wollten aber irgendetwas mit Kinematik, also der Bewegung im Raum, wissen und da haben wir uns anfangs beide nicht richtig verstanden.

Was waren die größten Hürden bei der Entwicklung von Flectofin®?

Das Nachbauen des Klappmechanismus in groß, das richtige Material hierfür und den richtigen Antrieb zu finden, das hat über drei Jahre gedauert und war verfahrenstechnisch sehr schwierig.

Kann man Flectofin® in Freiburg bestaunen?

Noch gibt es Flecotfin® in Freiburg nicht als fertige Fassadenverschattung, aber man kann ihn sich selbst im kleineren Maßstab als physikalisches Modell nachbauen, es gibt eine Bauanleitung dazu. Außerdem ist geplant den Besprechungsraum bei den Versuchsgewächshäusern des Botanischen Gartens mit dem Flectofin®-System zu verschatten.

Wie sind Sie zur Bionik gekommen?

Als Feld- und Wiesenbiologe, wie man so schön sagt, bin ich erst über meine Diplomarbeit in die Bionik reingerutscht. Danach habe ich mich bei Prof. Speck auf eine Doktorandenstelle beworben. Ich finde es ist auch wichtig zu wissen, dass nicht nur Biomechaniker in der Bionik arbeiten.

Ist Bionik nachhaltig und zukunftsweisend?

Auf jeden Fall. Bionik ist in aller Munde und es steckt sehr viel Potenzial darin.

Wir müssen auf jeden Fall den Schritt gehen, ressourcensparender zu leben und Bionik ist ein Mittel dazu. Die Natur lebt quasi von effizientem Energieverbrauch und alle möglichen Organismen konnten dies über Tausende von Jahren evolutionär entwickeln und verbessern. Leider muss sich die Wirtschaft noch mehr dafür interessieren, denn das ist was letztendlich zählt.

Gibt es etwas, was Sie in der Natur gesehen oder beobachtet haben und dachten, wenn wir das umsetzen können, würde das die Welt verändern?

Wenn wir nachbauen können wie Pflanzen Licht in Energie umzuwandeln, wären Probleme gelöst. Wir haben in etwa verstanden wie Chlorophyll funktioniert, es aber technisch umzusetzen, davon sind wir noch meilenweit entfernt.

Bionik?

Bionik setzt sich aus dem Wort Biologie und Technik zusammen und wurde erstmals von Leonardo DaVinci praktiziert, in dem er Vögel beim Fliegen beobachtete und Modelle von ihnen nachbaute. Die Idee, die Natur als Vorbild zu nehmen ist demnach relativ alt.

Besonders erfolgreich wurde sie aber erst durch die technischen Fortschritte der letzten 30 Jahre. Die Umsetzung von einem biologischen Organismus in ein marktfertiges Produkt kann sehr lange dauern und mit sehr vielen Hürden verbunden sein.

Info

Youtube Video mit guter Erklärung zur Funktion der Blüte:

http://youtu.be/XyLR_-fW0aA

Anleitung zum Nachbauen

Poppinga et al. 2012 Paradiesvogelblume trifft Architektur – Bionische Innovation für gelenkfreie technische Anwendungen. Praxis der Naturwissenschaften – Biologie 5(61), pp. 31-35).

Mehr zum Biokon-Standort Freiburg

ww.botanischer-garten.uni-freiburg.de/profil_Freiburg.htm

Mehr zum Lesen

Bionik, Fazinierende Lösungen der Natur für die Technik der Zukunft
Autoren: Thomas Speck, Olga Speck, Christoph Neinhuis, Hendrik Bargel
Lavori Verlag 2013

Fotos: 
Foto: Blüte: © PBG Freiburg & ITKE Stuttgart.
Foto Verschattung / Flectofin: © Boris Miklautsch, 
Werkstatt für Photographie, Universität Stuttgart
Buch-Cover: Lavori-Verlag
Autoren:
Veröffentlicht am 27. Februar 2013

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