Eine jahrzehntelange Diskussion: Darf man Dozierende duzen? Junior-Professor Friedemann Vogel lehrt seit dem WS 2012/13 am Institut für Medienkulturwissenschaft an der Uni Freiburg und ist der Meinung, dass Studierende nicht nur dürfen, sondern sollten.
Die Anredeform ist nach wie vor ein schwieriges Thema in der deutschen Sprache, da sich noch keine Faustregel durchgesetzt hat. Alter, Nähe und Position des Gegenübers spielen zwar eine Rolle, doch kann man sich auf diese Faktoren nicht immer verlassen.
Was Dozierende angeht, so hat sich vor allem das Sie als Symbol der Distanz, des Respekts und der Autorität etabliert. Auch in den Geisteswissenschaften ist es zur Norm geworden den Abstand zwischen Lehrenden und Lernenden aufrecht zu erhalten.
Für Friedemann Vogel ist das Duzen mehr als nur eine Formalität. „Es hängt zum einen mit dem Alter zusammen, ich könnte selber noch studieren, insofern komme ich den Studierenden ein bisschen näher.
Ein anderer Aspekt ist mir wichtig, die Distanz zwischen sogenannten Lehrenden und sogenannten Lernenden so gering wie möglich zu halten.“ Dinge wie Autorität, Status oder Stellung, die mit der Höflichkeitsform des Siezens verbunden werden, sollten da keine Rolle spielen, so der Junior-Professor. Somit spiele die Aufhebung der Hierarchien eine zentrale Rolle.
Pro und Contra der Studierenden
Und wie sehen das Studierende? Kim aus dem 3. Semester in Instructional Design bevorzugt das Sie. „Ich finde nicht, dass man Professoren duzen sollte, zwischen Dozent und Kommilitoninnen sind verschiedene ‚Klassen’. Wenn ich mit einem Professor rede, habe ich mehr Respekt oder durch das Sie eher eine Distanz.“
Anglistik-Studentin Ragna aus dem 5. Semester hat hingegen keine Scheu vor dem Duzen. „Ich habe eine Dozentin, die können wir duzen und mit Vornamen anreden, und das passt alles, denn sie behält immer noch ihren Status als unsere Dozentin und strahlt Autorität aus. Durch das Duzen entsteht einfach ein anderes Klima, weil man dann auch viel offener diskutiert.“
Förmliche Distanz behindert den Lernerfolg
Friedemann Vogel sieht die Distanz als ein Hindernis im Lernprozess an. Dozierende sollten als vermittelnde Instanz dienen und nicht zur Autorität werden. Einen Respektverlust befürchte er nicht, denn das Duzen setze nicht voraus, dass er auf einer Freundesebene mit Studierenden sei.
Dies äußere sich besonders in der E-Mail-Kommunikation, in der er die Anrede „Lieber Friedemann“ als passend empfinde, „Hi!“ hingegen weniger. Negative Erfahrungen habe er nicht gesammelt. „Wir sind erwachsen, wir müssen keine künstliche Distanz aufrechterhalten, wir arbeiten und lernen zusammen, was spricht dagegen?“
Die Suche nach einer gemeinsamen Ebene war schon während der 68er-Bewegung ein Ziel der Studierenden. Unter dem Anspruch, mit unreflektierten Traditionen zu brechen, wurde das Duzen des Profs zu einem politischen Statement, gar Lebensstil. In den Jahren darauf änderte sich das wieder, die gewohnte Norm rang sich durch.
Seitdem ist das Siezen in der Regel schon ab der Oberstufe die geläufige Form zwischen Lehrenden und Lernenden.
Andere Länder, unkompliziertere Sitten
In skandinavischen Ländern ist das Du die übliche Umgangsform, das Sie wird als veraltet betrachtet und selten benutzt. Auch in der englischen Sprache besteht der Unterschied zwischen dem Duzen und Siezen lediglich darin, ob der Vorname oder der Nachname mit Anrede benutzt wird.
In Deutschland finden sich sämtliche Mischformen wie das Hamburger Sie – „Klaus, können Sie mir bitte helfen?“, dem Münchener Du -„Müller/Frau Müller, kommst du an die Kasse 2?“ und dem Berliner Er – „Hat er wohl zwei Euro über?“. Für das Verhältnis zwischen Dozierenden und Studierenden sind diese allerdings nicht geläufig.
Wie sich die Anredeformen an der Uni entwickeln wird mit Spannung zu beobachten sein. Es bleibt abzuwarten, inwiefern sich weniger hierarchische Umgangsformen wie die von Friedemann Vogel entwickeln.
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Wie sich Friedemann Vogel und andere Dozenten zum Duzen positionieren:
Text – Fotos – Audio
Gemeinschaftsproduktion von Shirley Ogolla, Hengame Yaghoobifarah und Helga Göhring-Schneider im Seminar Journalismus crossmedial für Studierende der Medienkulturwissenschaft.
Seminarleitung: Silvia Cavallucci, Manuel Devant, Horst Hildbrand.
Veröffentlicht am 9. April 2013