#Aufschrei an der Uni?

#Aufschrei an der Uni?

Die Sexismus-Debatte um Politiker Rainer Brüderle ist nach wie vor in den Medien gegenwärtig. Doch wie häufig tritt sexuelle Belästigung und Stalking eigentlich an deutschen Unis auf und was können Betroffene tun? uniCross hat mit der Gleichstellungsbeauftragten der Uni, Dr. Ina Sieckmann-Bock, darüber gesprochen.

Dr. Ina Sieckmann-Bock ist Gleichstellungsbeauftragte an der Uni Freiburg und Ansprechpartnerin in Fällen von sexueller Belästigung, Mobbing und Stalking. Federführend hat sie an dem neuen Handlungsleitfaden der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg gegen sexuelle Belästigung und Stalking mitgearbeitet, der letztes Jahr erschien.

Mit dem Handlungsleitfaden soll vor allem Frauen Möglichkeiten zur Gegenwehr aufgezeigt werden und  der Täter mit seinem Verhalten konfrontiert werden.

Frau Sieckmann-Bock, was sagen Sie als Gleichstellungsbeauftragte zur aktuellen Sexismus-Debatte?

Die aktuelle Debatte wurde ja aufgrund politischer Vorfälle ausgelöst, Rainer Brüderle ist hier zu nennen. Generell besagt das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, dass unerwünschtes Berühren oder „Betätscheln“ als sexuelle Belästigung definiert werden. Diejenige, die dann belästigt wird, muss sofort ein klares Signal geben; „Stopp! Das möchte ich nicht!“.

Solche Handlungen müssen gleich verhindert werden und sind nicht zu tolerieren. Damit muss die Handlung dann aber beendet sein und auch der gesamte Vorfall. Sexuelle Belästigung ist etwas Unmittelbares.

Sie haben im letzten Jahr den Leitfaden gegen sexuelle Belästigung überarbeitet. Nun behandelt er neben dem Thema sexuelle Belästigung auch das Thema Stalking. Wieso haben Sie das Thema Stalking aufgenommen?

An der Universität Freiburg ist kein Anstieg von Stalking zu verzeichnen, allerdings ist in diesem Bereich die Gesetzgebung relativ neu und wir wollten das deshalb auch gerne mitaufnehmen. Stalking, beziehungsweise „das Beharrliche Nachstellen“, so wird das im Deutschen genannt, beschreibt der Paragraph 238 und listet auf, was dazugehört.

Ich fand es sehr wertvoll aufzuzeigen, dass es klare Begriffe gibt, was Stalking, was sexuelle Belästigung ist. Aber es gibt durchaus Überschneidungen. Jemand der sexuell belästigt, ist eventuell auch jemand der stalkt. Es ist für alle Studierenden und Mitarbeiter wichtig zu wissen, dass es  Anlaufstellen bei sexueller Belästigung, bei Stalking oder auch bei Mobbing gibt.

Mit diesem Leitfaden haben wir nun auch eine Anlaufstelle für Fälle von Stalking mitaufgenommen, das ist das Gleichstellungsbüro.

Sexuelle Belästigung an der Universität – wie sehr ist dies Alltag in Deutschland?

Sexuelle Belästigung kommt sehr häufig mit einem Anteil von über 50 Prozent vor. Hier sind Formen wie Anstarren oder anzügliche Bemerkungen mit eingeschlossen. Da wir eine große Institution mit 25.000 Studierende und 5.000 Mitarbeitende sind, kommen wir bei nur einem Prozent Belästigten schon auf 300 Personen. Deshalb wäre es verwunderlich, wenn es an der Universität nicht auch sexuelle Belästigung gebe. Wir sind ja nur ein Spiegel der Gesellschaft.

Gibt es Zahlen und Schätzungen für Fälle sexueller Belästigung und Stalking an der Universität Freiburg? Oder können Sie dies persönlich einschätzen?

Es wäre schön, wenn es Zahlen gäbe. Aber es ist natürlich sehr schwierig, da wir hier sofort mit dem Datenschutz konfrontiert sind. Generell liste ich seit zwei Jahren selbst anonymisiert die Fälle auf, bei denen ich als Gleichstellungsbeauftragte angefragt werde. Um eine statistische Zahl zu nennen, ich werde etwa alle acht Wochen wegen Fällen von sexueller Belästigung oder Stalking kontaktiert. Bisher waren es ausschließlich Frauen, die sich gemeldet haben und es waren tatsächlich immer ganz klar Fälle von sexueller Belästigung.

Wie können Sie den Betroffenen helfen?

Wenn sich Betroffene melden, kann ich Kontakt mit dem Belästiger aufnehmen und ein Gespräch führen. Nach dem Erstgespräch ist in der Regel der Vorfall abgeschlossen ist, das frage ich nach einem gewissen Zeitraum ab.

In dem Handlungsleitfaden sind einzelne Schritte aufgezeigt, doch daraus ist noch kein Fall entstanden, wo wir weiterführend die Vermittlungskommision angerufen haben. Diese wird eingeschaltet, wenn es zur Wiederholung der Belästigung kommt oder ein Gespräch nicht erfolgreich ist.

Wie tritt sexuelle Belästigung an der Universität auf?

Die Belästigungen treten in der ganzen Bandbreite auf. Zum Beispiel ging es einmal um anzügliche Plakate und bildliche Darstellungen. Oder dass ein unverfängliches Gespräch und eine Einladung zu einem Abendessen zu einem Übergriff geführt haben.

Wie verhält man sich im Falle einer sexuellen Belästigung ganz konkret?

Ein wichtiger Punkt ist, sofort dem Belästiger die Grenzüberschreitung aufzuzeigen und dies verbal klarzumachen. Wenn man alleine ist, sollte man den Kontakt sofort vermeiden und versuchen, einen Zeugen zu finden. Wenn man danach alleine mit der Situation nicht fertig wird, sollte man auf jeden Fall zu einem Erstgespräch zu uns kommen. Dann besprechen wir weitere Handlungsschritte.

Welche Konsequenzen ergeben sich für den Täter?

Meistens kennen sich Täter und Opfer bei einer sexuellen Belästigung und der Name wird beim Gespräch offengelegt. Dann kann ich mit dem Täter ein Gespräch führen, um klarzumachen, dass so ein Verhalten in der Gesellschaft und insbesondere an der Universität nicht geduldet und dementsprechend geahndet wird. Der Täter muss dann schriftlich oder mündlich versichern, dass er dieses Verhalten einstellt. Das wird auch protokolliert. Diese Strategie war bisher erfolgreich.


Welche Anlaufstelle gibt es, die man als Opfer sexueller Belästigung oder Stalking aufsuchen kann?

Man kann universitäre Ansprechstellen wie das Gleichstellungsbüro in Anspruch nehmen oder direkt zur Polizei gehen. Externe Beratungsstellen gibt es in der  Basler-Str. 8 für Frauen und Mädchen und in der Jacob-Burckhardt-Str. 23 für Männer. Die Frauenbeauftragte der Stadt und der Weiße Ring sind über Freiburg hinaus aktiv.

 

Gibt es weiterführende Hilfsangebote, um solche Erlebnisse zu verarbeiten ?

An der Uni haben wir den psychosozialen Dienst für Mitarbeitende und das Studentenwerk bietet psychologische Beratung für Studierende an.

Info

Ina Sieckmann-BockDr. Ina Sieckmann-Bock ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Physikalische Chemie und seit April 2011 Gleichstellungsbeauftragte der Uni Freiburg.

Den neuen Handlungsleitfaden mit Ansprech- und Beratungsstellen gibt es unter

www.gleichstellung.uni-freiburg.de

Kontaktmöglichkeiten zum Büro der Gleichstellungsbeauftragten gibt es hier:

www.gleichstellungsbuero.uni-freiburg.de

Beratungsstellen beim Studentenwerk Freiburg: www.swfr.de

Externe Beratungsstellen

Die Beratungsstelle Basler 8 für Frauen und Mädchen

Basler Str. 8

79100 Freiburg

www.basler8.de

Frauenhorizonte – Gegen sexuelle Gewalt e.V.

Basler Str. 8

79100 Freiburg

24 Stunden-Telefon: 0761/285 85 85

www.frauenhorizonte.de

Frauen- und Kinderschutzhaus

Postfach 5672

79023 Freiburg

Telefon: 0761/31072

Telefonseelsorge: 0 8 0 0/111 0 111

www.frauenhaus-freiburg.de

Frauenbeauftragte der Stadt Freiburg

Fahnenbergplatz 4

79098 Freiburg

Telefon: 0761/201-170 0

E-Mail: frauenbeauftragte@stadt-freiburg.de

Männerbüro

Jacob-Burckhardt-Straße 13

79098 Freiburg

Telefon: 0761/38 68 970

Weißer Ring – Verein zur Unterstützung von Kriminalitätsopfern

Idinger Str. 1

79106 Freiburg

Telefon: 0761/1310 6 6

www.weisser-ring.de

Was ist #Aufschrei?

Mit der Diskussion um den Politiker Rainer Brüderle und Alltagssexismus hat sich im Internet mit der Twitter-Aktion #Aufschrei eine Debatte zur sexuellen Belästigung und fehlendem Anstand entwickelt. Viele Frauen (und Männer) berichten unter #Aufschrei, welche Erfahrungen sie gemacht haben.

Mehr zum Thema: Chancengleichheit

uni.tv beschäftigt sich in der aktuellen Ausgabe von alma* unter anderem mit dem Thema Chancengleichheit: alma*106: Abgestimmt, abgelehnt, abgesahnt

Fotos: 
Titelfoto: Handlungsleitfaden gegen 
sexuelle Belästigung und Stalking
Foto Ina Sieckmann-Bock: 
©-Universität-Freiburg-Sarah-Kamp
Veröffentlicht am 8. Mai 2013

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