Einzelschicksale

Einzelschicksale

Flüchtlingswelle – ein Begriff, der ganz Europa beschäftigt. Aber wer kommt da eigentlich? Wir brechen die Massen auf und haben ein paar dieser Menschen kennengelernt. Sie lassen uns an Ihrem Leben teilhaben, erzählen uns ihre Geschichten und erklären, wie so ein Leben in Deutschland sein kann.

Der Krieg will nicht enden

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vom 24. August 2015

Als der Krieg ausbrach, hat Julie Syrien verlassen. Sie bekam ein Studierendenvisum für Deutschland und setzte in Freiburg ihr Medizinstudium fort, aber ein normales Leben führt sie nicht. Noch immer hat sie Freunde in Syrien, die um ihr Leben bangen. uniONLINE hat Julie zum Interview getroffen.

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Julie, Du kommst aus Syrien und hast dort drei Jahre lang Medizin studiert, bist aber wegen des Krieges nach Deutschland gekommen. Kannst Du Dich noch an den Moment erinnern, als Du realisiert hast, dass der Krieg ausgebrochen ist?

Ich war an der Uni Aleppo in der medizinischen Bibliothek. Ich war Anhängerin der Opposition und an dem Tag gab es eine Demonstration der Opposition vor der medizinischen Fakultät, die ich mir anschauen wollte.

Als ich hinkam, hatten Männer der Regierung, die ganz in schwarz gekleidet waren, Sonnenbrillen und Waffen trugen, die Demo bereits zerschlagen. Ich habe mich wieder in die Bibliothek zurückgezogen und auch die Demonstranten sind in die Bibliothek geflohen.

Dann kamen die Regierungsmänner in die Bibliothek und sagten, dass sie die Demonstranten suchen und alle, die nicht von der medizinischen Fakultät seien, verhaftet würden. Da auch viele Studierende hier lernten, die nicht Medizin studierten, hatten wir Angst um sie. Ob sie wirklich verhaftet wurden, weiß ich nicht.

Ein Demonstrat kam dann in die Bibliothek und rief, dass die Menschen geschlagen wurden. Der Anführer packte den Mann, zog ihn raus und ich hörte nur noch seine Schreie.

Schließlich sagten die Regierungsmänner uns, dass die Frauen gehen durften.

Das war vor drei Jahren.

Du bist mit einem Studentenvisum nach Deutschland gekommen. Muss man dafür besonders gute Noten haben?

Es kommt darauf an. Wer kein gutes Abitur hat, bekommt das Visum nicht. Außerdem muss das Studium sicher finanziert sein.

Dazu muss sich eine Person in Deutschland dazu verpflichten, das Studium zu bezahlen oder die Person, die studieren möchte, muss 8.000 Euro auf ein Konto in Deutschland einzahlen. Wer das Geld nicht hat, hat Pech.

Die jungen Studierenden bekommen das Visum teilweise trotzdem. Letztendlich muss die Botschaft entscheiden, ob sie das Visum austeilt oder nicht.

Damals war es einfacher das Visum zu bekommen, mittlerweile sind aber so viele Asylsuchende nach Deutschland gekommen, dass es zu einem Problem geworden ist.

Hast Du noch Kontakt zu Kommilitonen, die in Syrien studieren?

Ja, wenn ihre Telefone noch Netz haben.

Ich habe drei Jahre in Aleppo studiert und dort immer noch Freunde. Ich erreiche sie kaum, weil die Stadt in Trümmern liegt. Die Freundin meines besten Freundes ist in ihrem Haus gestorben, als der IS es bombardierte. Meine Freunde haben schon seit einem Monat kein Internet mehr.

Du hast in Syrien drei Jahre lang Medizin studiert, aber in Deutschland wurden Dir nur zwei Semester angerechnet. Warum?

In Syrien haben wir fast die gleichen Fächer wie in Deutschland. Soziologie und Psychologie lernt man in Syrien allerdings erst im 10. Semester, in Deutschland aber schon vor dem Physikum im 4. Semester.

Um das Physikum anerkannt zu bekommen, muss man alle Fächer absolviert haben. Das hatte ich nicht und deswegen musste ich das Physikum noch einmal schreiben.

Wie finanzierst Du dein Studium?

Ich arbeite und möchte mich nun auch auf ein Stipendium bewerben. Syrische Studierende können zwar Geld vom Bafög-Amt erhalten, aber ich möchte später kein Geld zurückbezahlen müssen.

Weißt Du schon, welchen Facharzt Du machen möchtest?

Ich möchte in die Kinder- und Jugendpsychatrie.

Möchtest Du nach dem Krieg wieder nach Syrien zurück?

Weißt Du, was in Syrien los ist? Die Straßen, in denen ich aufgewachsen bin, gibt es nicht mehr. Jetzt gibt es nur noch Trümmer und Kinder, die so traumatisiert sind, dass sie sich freuen, wenn sie in den Trümmern spielen und dabei eine Leiche finden. Diese Kinder sind die Zukunft von Syrien. Die Leute sind total deprimiert und traumatisiert und der Krieg will nicht enden.

Deine Kommilitoninnen und Kommilitonen in Deutschland kommen durch Dich mit diesem Krieg in Berührung. Wie gehen die damit um?

Bevor ich sie kennengelernt habe, kannten sie den Krieg nur aus den Nachrichten und wenn darüber im Fernsehen berichtet wurde, haben sie den Sender gewechselt, weil es ihnen nicht so wichtig war.

Jetzt informieren sie sich und das Thema ist ihnen wichtig. Aber was heißt wichtig? Die können sich den Krieg nicht vorstellen. Keiner kann sich vorstellen wie es sich anfühlt, wenn man aus dem Haus geht und nicht weiß, ob man wieder zurückkommt, oder wie es ist wenn man im Haus bleibt und das Haus bombardiert wird.

Würdest Du etwas an der deutschen Flüchtlingspolitik ändern, wenn Du in Deutschland an der Macht wärst?

Mein Freund ist ein Deutsch-Syrer, seine Eltern sind in Syrien. Er wollte seine Eltern auch nach Deutschland holen, aber das darf er nicht, obwohl er arbeitet und Steuern bezahlt.

Das würde ich ändern: Menschen, die in Deutschland arbeiten und Steuern bezahlen sollten ihre Angehörigen nach Deutschland holen dürfen.

Autor: Hanno Müller

A golden dream by me

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vom 11. August 2015

In Afghanistan setzte er sich für die Unterdrückten ein, in Deutschland sucht er Asyl. Herr Atabak hat Afghanistan verlassen, weil er dort nicht mehr sicher gewesen ist. Im Medienzentrum der Uni Freiburg produzierte er nun zwei Filme über die Missstände in Afghanistan.

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Herr Atabak*, Sie kommen aus Afghanistan und sind im Mai 2013 nach Deutschland geflohen. Welchem Beruf sind Sie in Afghanistan nachgegangen?

In meinem Land war ich Assistent eines Professors, aber auch ein Filmemacher, Theaterregisseur, Drehbuchautor, Bühnenbildner und manchmal auch Schauspieler.**

Aufgrund von Sicherheitsproblemen konnte ich nicht in meinem Land bleiben. Ich bin jetzt schon seit fast zwei Jahren als Asylsuchender in Deutschland.

Sie leben zurzeit in Heidelberg und sind an die Uni Freiburg gekommen, um im Medienzentrum zwei Filme zu produzieren.

Ja, das ist ein Traum. A golden dream by me. Normalerweise haben Asylsuchende keine Chancen und kein Glück, weil sie kein Land haben.

Aber ich darf mich bei vielen Freunden und Freundinnen bedanken, die mir geholfen haben diese Chance an der Uni Freiburg zu erhalten. Ich habe im Medienzentrum alles, was ich brauche, sodass ich zwei Filme über mein Land machen konnte.

Worum geht es in ihren Filmen?

Ich habe zwei Kurzfilme gemacht. Beide sind Dokumentarfilme. Der eine behandelt die Situation der Frauen in Afghanistan, der andere thematisiert die Situation der Kinder in Afghanistan und ihre Bildung.

Das Material zu den Filmen hatte ich auf meinem Rechner dabei. Es ist drei oder vier Jahre alt. Hier habe ich es geschnitten und mit neuen Informationen aufbereitet.

Warum haben sie diese Filme gemacht?

Die Situation in Afghanistan ist katastrophal. Wir haben seit 30 Jahren Krieg.

In this case espacially the children and the women are disturbed. Sie haben keine Chance auf ein normales Leben. Mein Wunsch ist, dass den Kindern und den Frauen mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird.

Die Gesellschaft in Afghanistan befindet sich in einem traditionellen System. Dieses System verschließt sich der Logik, davon sind vor allem Kinder und Frauen betroffen. Auch ich wäre in meinem Land nicht sicher.

Maybe my person is not very important. Aber es ist sehr wichtig, dass ich für mein Land leben kann und deshalb ist es sehr wichtig, dass ich in ein friedvolles Land kommen und für die Leute in meinem Land etwas tun kann.

Sie besuchen aktuell einen Deutschkurs in Heidelberg. Ihre Zeit im Medienzentrum versteht sich als Praktikum, das Sie am Ende dieses Kurses absolvieren müssen.

Ich bin vier Wochen an der Uni Freiburg gewesen. Am Freitag sollte mein letzter Tag hier gewesen sein, aber mein Film war noch nicht fertig. Deshalb habe ich die Möglichkeit bekommen länger zu bleiben.

Ich habe Ihnen vorhin zusehen dürfen, wie Sie die letzten Korrekturen an ihrem Film über die afghanischen Frauen vornahmen. Wissenschaftler und Betroffene eröffnen in dem Film unterschiedliche Blickwinkel auf die Situation der afghanischen Frauen. Was sind die Gründe für diese Situation?

Manche sagen, die Regierung würde falsche Regeln aufstellen. Andere meinen, die Tradition würde zu dieser Situation beitragen. Und andere behaupten sogar, dass die Religion Schuld hätte.

Was denken Sie?

The religion makes chance, but doesn’t take chance. Die Religion kann Chancen kreieren, aber es hängt davon ab, wie du die Religion nutzen möchtest. If you have enough knowledge and if you have enough education to see the correct way oft he religion, the religion makes chances.

Und der Film über die Kinder?

Im Jahr 2000 hielten die United Nations eine große Versammlung ab und in dieser Versammlung erstellten sie ein Dokument unter anderem darüber, dass Kinder zur Schule gehen müssen, und dass die Schulbildung kostenlos sein muss.***

Unser Präsident, Hamid Karzai, unterschrieb dieses Dokument im Jahr 2005 und sagte: „Ja, wir möchten unseren Kindern diese Chance geben:“

Aber in der Realität haben die meisten Kinder keine Gelegenheit zur Schule zu gehen. Die Gründe dafür sind unterschiedlich. Manchmal gibt es keine Schule. Manchmal gibt es kein Essen oder keine Kleidung. Manchmal lässt die familiäre Situation es nicht zu. Es gibt viele weitere Gründe und ich zeige einige Gründe in meinem Film.

Haben Sie selbst Frau und Kinder in Afghanistan?

Lacht. Nein, ich bin ledig. Die Leute können nicht verstehen, warum ich ledig bin. Aber bis jetzt habe ich immer für die Leute in meinem Land gearbeitet. Ich hatte keine Zeit und keine Gelegenheit mich zu verheiraten.

Nach diesem Interview werden Sie ihre Festplatte mit den Filmen einstecken, sich in den Zug setzen und Freiburg verlassen. Wie fühlen Sie sich dabei?

Freiburg ist wunderbar für mich. Ich war schon zwei Mal hier zu Besuch, vorher kannte ich Freiburg nicht. Aber als ich hier herkam, hatte ich viele gute Kontakte und gute Gespräche mit den Leuten aus Freiburg.

Die Theatergruppe „Theater Handstand“ hat mich eingeladen und ich habe sie besucht. Ich denke, Freiburg hat eine gute Beziehung zu kultureller und künstlerischer Arbeit.

In dieser Stadt gibt es verschiedene Nationalitäten. Und es gibt verschiedene kulturelle Gemeinschaften. Verschiedene Kulturen sind wie verschiedene Farben. Verschiedene Farben bedeuten different chances, different enjoy.

Filme

Hier geht es zum Film über die Situation der afghanischen Frauen:
The silent scream – Frauen

Hier geht es zum Film über die Situation der afghanischen Kinder:
The silent scream – Kinder

Hinweise

*Der Name wurde von der Redaktion geändert.

**Herr Atabak ist außerdem das Mitglied einer Künstlergruppe. Er möchte jedoch nicht, dass diese Gruppe hier genannt wird.

**Vertreter der 189 Mitgliedsstaaten der United Nations trafen sich im Jahr 2000 bei der „Millennium Summit“ in New York und ratifizierten die  „Millennium Development Goals“ (MDGs). Die MDGs stellen Entwicklungsziele dar, die die UN-Mitgliedsstaaten bis 2015 erreichen sollten, wobei eines der Ziele lautet „Achieve universal primary education“.

Autor: Hanno Müller

Ibrahim

Ibrahim-HP

vom 9. März 2016 und 19. April 2016

Ibrahim kommt aus Syrien. Seit Herbst 2015 ist er nach seiner Flucht in Deutschland. Im Interview erzählt er von der Vernetzung, die ihm durch Zusammenleben e.V. ermöglicht wurde.

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Bis 2015 lebte Ibrahim in Aleppo – dann sollte er zum Militär eingezogen werden. Am Ende seiner abenteuerlichen Flucht ist er in Freiburg gelandet und studiert seit einem Semester Medizin.

Autoren: uniFM, uniTV

Alina und Babou – ein modernes Märchen

Alina-Babou

Hilfe in Freiburg

Flüchtlingshilfe_Freiburg

vom 6. April 2016

Die religiöse Gruppe der Jesiden wird von der Terrorgruppe „Islamischer Staat“ im Nordirak verfolgt, misshandelt und ermordet. Das Staatsministerium Baden-Württemberg reagierte und hat 1.000 traumatisierte jesidische Frauen und Kinder aufgenommen, 200 von ihnen werden in Freiburg psychosozial betreut.

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Jesidische Männer werden vom IS umgebracht, Kinder und Frauen verschleppt, missbraucht und gefoltert. Die Vereinten Nationen werten die Vorgehensweise der Terrorgruppe „Islamischer Staat“ als Völkermord, der 74. Genozid in der Geschichte der Religionsgemeinschaft. Vor diesem Hintergrund hat Baden-Württemberg mit dem „Sonderkontingent für besonders schutzbedürftige Frauen und Kinder aus dem Nordirak“ Kinder und Frauen aus dem Nordirak aufgenommen, die psychosozial betreut werden.

Die Jesidinnen, die nach Baden-Württemberg kamen, hatten es geschafft aus der Gefangenschaft des IS in die kurdisch besetzten Gebiete im Nordirak zu flüchten. „In den Flüchtlingscamps nahm das Team aus Stuttgart mit ihnen Kontakt auf“, sagt Jennifer Hillebrecht. Sie arbeitet in der Abteilung für Rehabilitationspsychologie und Psychotherapie der Uni Freiburg und koordiniert mit ihren Mitarbeiterinnen Tina Zeiss und Anna Borchert das Projekt in Freiburg. Gemeinsam leiten sie die medizinische und psychotherapeutische Versorgung der Frauen und Kinder in die Wege.

Therapeutische Betreuung in Baden-Württemberg

Die Verfolgung durch den IS führte zu einem kollektiven Trauma der Religionsgemeinschaft. Die Jesidinnen sind neben den traumatischen Erfahrungen wie Vergewaltigungen und Gefangenschaft auch durch die Flucht belastet. Da in den Flüchtlingscamps im Nordirak keine psychotherapeutische Versorgung vorhanden ist, soll den Frauen in Baden-Württemberg der Zugang zu solchen Angeboten ermöglicht werden.

Ein Team unter dem leitenden Psychologen Prof. Dr. Dr. Jan Ilhan Kizilhan, von der Dualen Hochschule Baden-Württemberg Villingen-Schwenningen, hat in den Camps Jesidinnen für das Projekt ausgewählt. Entscheidend für die Ausreise war, dass sich die Frauen in Gefangenschaft des IS befunden hatten, sie medizinisch reisefähig waren und dass sie sich in Deutschland gut integrieren könnten. „Auch war die Ausreise nach Deutschland nur möglich, wenn die Familie zustimmte“, sagt Hillebrecht.

Erschwerte Ausreise

Viele der Jesidinnen haben keine Ausweispapiere mehr, was eine Ausreise zusätzlich erschwerte. Ihre Identität musste daher durch ein männliches Familienmitglied bestätigt werden. Dies ist durch die Abwesenheit der Männer, von denen man oft nicht weiß wo sie sich befinden, aber fast nicht machbar gewesen. Außerdem befürchteten die Frauen, dass die Ausreise einen Austritt aus der Religionsgemeinschaft zur Folge haben könnte. Das Team aus Deutschland sorge dafür, dass erstmals alle Ausreisenden vom geistigen Oberhaupt der Jesiden, dem Baba Sheikh, verabschiedet wurden. „Dieser sichert ihnen zu, dass sie trotz der Ausreise ein Teil der Religionsgemeinschaft bleiben“, sagt Hillebrecht.

Ihre Kinder konnten die Jesidinnen nach Deutschland mitnehmen. Es kommt jedoch auch vor, dass sich die Mütter noch in Gefangenschaft des IS befinden oder die Kriterien des Projekts nicht erfüllen. „In diesen Fällen ist es oft so, dass zum Beispiel die Tante das Sorgerecht schon im Irak übernimmt, damit das Kind mitgenommen werden kann“, sagt Hillebrecht.

Unterkünfte in Deutschland bleiben geheim

Nach ihrer Ankunft in Stuttgart wurden sie von den Zuständigen der jeweiligen Städte abgeholt und direkt in ihre Unterkünfte gebracht. Deren Standorte werden aus Sicherheitsgründen geheim gehalten, da weiterhin eine Gefahr von Seiten des IS befürchtet wird.

In Freiburg werden die Frauen und Kinder von verschiedenen Gruppen der Stadt, wie etwa der Caritas, des Universitätsklinikums sowie Ärzten betreut. Die Kommunikation wird über Dolmetscher hergestellt. „Es gibt eine Kombination aus Sozialarbeit und psychologischer Betreuung“, sagt Prof. Dr. Dr. Jürgen Bengel, Leiter der Abteilung für Rehabilitationspsychologie und Psychotherapie der Uni Freiburg. Sozialarbeiter und Sozialarbeiterinnen sind im Alltag Ansprechpartner der Frauen. Sie versuchen, den Frauen bei der Orientierung in der Umgebung zu helfen. Auch vermitteln sie Sprachkurse, kümmern sich um die Vermittlung von Schulen für die Kinder und stellen notwendige Arztkontakte her. „Wichtig ist, dass der Alltag organisiert und stabile, Vertrauen gebende Beziehungen geschaffen werden“, sagt Bengel. Sozialer Austausch und stabile Strukturen seien wichtig bei der Traumabewältigung.

 

Ein erster Teil der Frauen befindet sich mittlerweile zusätzlich in ambulanter Therapie. Bei der traumatherapeutischen Behandlung kooperiert das Institut für Psychologie mit der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie sowie der Klinik für Psychotherapie und Psychosomatik im Kindes- und Jugendalter des Universitätsklinikums Freiburg.

Die Betreuung soll helfen, Normalität wiederherzustellen. Die Frauen und Kinder erleben in Deutschland einen Kulturschock, doch obwohl dieser die Jesidinnen zunächst belasten kann, wäre eine Rückkehr in den Nordirak aussichtsloser. Laut Prof. Dr. Dr. Jan Ilhan Kizilhan würden 95 Prozent der Frauen dort nicht überleben.

Die jesidischen Frauen und ihre Kinder werden im Projekt 15 Monate betreut. Nach dieser Zeit besteht für die Frauen und Kinder die Möglichkeit, ihre Aufenthaltsgenehmigungen in Deutschland zu verlängern und einen Antrag auf Familiennachzug zu stellen.

Info

Die Jesiden (kurdisch Êzîdî) sind eine, meist kurdisch sprechende, religiöse Minderheit. Weltweit gibt es mehr als eine Million Jesiden, deren ursprüngliche Hauptsiedlungsgebiete im Irak, Syrien und der Türkei liegen. Die meisten leben heute im Nordirak, aber inzwischen befinden sie sich auch in Europa, den USA, Kanada und Australien. Nach Deutschland sind inzwischen mehr als 80.000 Jesidinnen und Jesiden ausgewandert.

Das Jesidentum ist eine monotheistische Religion, deren Geschichten meist mündlich weitergegeben werden. Baba Sheikh – „der Vater des Scheich“ – ist der Titel des geistigen Oberhaupts. Der wichtigste Pilgerort der Jesiden ist der Tempel in Lalisch in der Autonomen Region Kurdistan, wo sich zwei den Jesiden heilige Quellen und die Grabstätten von Scheich Adi ibn Musafir, dem bedeutesten Heiligen der Jesiden, befinden.

Eine zentrale Bedeutung in den jesidischen Glaubensvorstellungen hat Melek Taus (auch Tausî Melek) – der „Engel Pfau“ –, dessen Symbol ein blauer Pfau ist. Nach der jesidischen Mythologie wollte er sich selbst zu Gott erheben und fiel deswegen in Ungnade. Nachdem er dies bereute und in der Hölle büßte wurde ihm seine Schuld vergeben. Seither dient er Gott als Stellvertreter in der Welt sowie als Ansprechpartner der Gläubigen. Durch die Verehrung dieser Figur, in der ein Teil der islamischen Glaubensgemeinschaft eine Ähnlichkeit zum islamischen Teufel erkennt, werden die Jesiden als Teufelsanbeter verstanden. Die Ablehnung durch den Islam führte immer wieder zur Verfolgung und Diskriminierung der Jesiden. Dies macht sie auch zur Zielscheibe der Kämpfer der Terrorgruppe „Islamischer Staat“.

Quelle: Prof. Dr. Jan Ilhan Kizilhan: Wer sind die Êziden?, Verlag für Wissenschaft und Bildung, 2013.

Foto: J. Hillebrecht
Autorin: Sabina Kist

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Collage Teaserbild: Patrick Seibert
Foto "Der Krieg will nicht enden": Privat
Foto "A golden dream by me": Hanno Müller
Foto "Ibrahim": uniTV
Foto "Alina und Babou - Ein modernes Märchen": uniTV
Illustration "Hilfe in Freiburg": Sabina Kist
Veröffentlicht am 19. Mai 2013

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