Ein Überlebensmodell für Orang-Utans

Ein Überlebensmodell für Orang-Utans

Dr. Doris Kelle hat an der Uni Freiburg Forstwissenschaften studiert und im Rahmen ihrer Diplom- und Doktorarbeit die Auswilderungsmöglichkeiten für Orang-Utans erforscht. Was sie genau gemacht und dabei erlebt hat, erzählt sie im Interview.

Frau Dr. Kelle, für Ihre Doktorarbeit haben Sie das Verhalten von Orang-Utans in freier Wildbahn erforscht und ein Überlebensmodell für bedrohte Sumatra Orang-Utans entwickelt, die aus illegaler Haltung gerettet und in ihren natürlichen Lebensraum zurückgebracht werden. Wie kommt man dazu, über die Auswilderungsprojekte für Orang-Utans zu promovieren?

Das fing mit meiner Diplom-Arbeit an. Ich hatte nach dem Vordiplom schon in Ecuador in einer Auffangstation für Wildtiere gearbeitet. Als unsere neue Professorin in ihrer ersten Vorlesung über internationales Wildtiermanagement sprach, dachte ich mir, dass das genau das war, was ich in Ecuador auch gemacht hatte. Ich habe sie daraufhin gefragt, ob ich meine Diplom-Arbeit bei ihr schreiben kann. Sie konnte mir auch jemanden vermitteln, der in Sumatra mit Orang-Utans arbeitet. Als ich mich bei ihm meldete, war er ganz erfreut und es war schnell ein Thema ausgewählt.

In Sumatra habe ich dann viereinhalb Monate von morgens bis abends Affen beobachtet und meine Diplomarbeit über ihr Verhalten geschrieben. Nach meiner Diplomarbeit fragte mich dann die Zoologische Gesellschaft Frankfurt, ob ich für meine Doktorarbeit wiederkommen möchte, denn es gab noch viel zu tun.

Sie forschten fast zwei Jahre lang in der Auswilderungsstation der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt im indonesischen Nationalpark Bukit Tigapuluh. Was haben Sie dort genau gemacht?

Im Rahmen meiner Doktorarbeit habe ich fünf Surveys – also Expeditionen – im Nationalpark gemacht und insgesamt 18.344 Bäume vermessen.

Sie haben Bäume vermessen?

Während meiner Diplomarbeit habe ich sogenannte Aktivitätsprotokolle der Orang-Utans erstellt, das heißt man steht morgens mit ihnen auf und geht abends mit ihnen auch wieder schlafen. Den Tag über schreibt man alle zwei Minuten auf, was das Tier macht und frisst. Diese Daten habe ich ausgewertet und dabei nach den Nahrungsbäumen  geschaut. So konnte ich feststellen, welche Bäume die besonders wichtigen sind und diese Daten habe ich für meine Doktorarbeit genommen.

Somit haben die Orang-Utans für meine Doktorarbeit im Feld keine Rolle gespielt, der Fokus lag auf der Vermessung der Bäume. Die untersuchten Bäume standen sowohl im unberührten Primärwald, als auch im Sekundärwald, der schon teilweise abgeholzt wurde. Die Orang-Utans habe ich ab und zu mal besucht, um mal was anderes zu sehen als Bäume.

Was haben Sie beim Vermessen der Bäume herausgefunden?

Bei den Bäumen ist es so, dass der Sekundärwald sehr viele Nahrungsbäume für die Orang-Utans birgt. Das bedeutet nicht, dass der Primärwald überflüssig ist. Aber es bedeutet, dass auch der Sekundärwald ein sehr gutes Habitat, ein sehr guter Lebensraum für die ausgewilderten Orang-Utans darstellt. Es ist deswegen auch sehr wichtig, den Sekundärwald zu schützen oder ihn als Ersatzgebiet zu schützen, falls es irgendwann keinen Primärwald mehr gibt.

Wie kann man sich das Überlebensmodell für Orang-Utans vorstellen?

In so einem Überlebensmodell werden Parameter wie Reproduktion, Alter, Geschlecht, wie viel und wie häufig Nachwuchs und weitere miteinbezogen. Als ich mit dem Überlebensmodell begann, waren bereits circa 110 Tiere ausgewildert worden. Diese bildeten die Anfangspopulation, anschließend simulierte ich mit meinen Kollegen die Auswilderung weiterer Tiere und überprüfte, ab wann die Population groß genug ist, um überlebensfähig zu sein und sich selbst zu erhalten. Damit konnten wir beispielsweise annähernd bestimmen wie lange und wie viele Orang-Utans noch ausgewildert werden müssen, bis die Population groß genug ist, um überleben zu können.

Zusätzlich ist die Überlebensrate ganz wichtig. Mit der Simulation variierender Überlebensraten werden Fragen beantwortet: Wie würde sich eine Population entwickeln, wenn die Überlebensrate bei Jungtieren geringer ist als bei erwachsenen Tieren? Oder unterschiedliche Überlebensraten bei frisch freigelassenen und schon länger in Freiheit lebenden Affen. Wächst die Population langsam, wächst sie schnell, wächst sie überhaupt? Man kann dann auch mal die eine oder andere Katastrophe simulieren, indem man die Überlebensrate für alle Tiere egal welchen Alters gleichermaßen senkt und schaut, welche Auswirkung das auf die Population haben könnte. Wenn es nur noch die Hälfte der Population gibt, sind es noch genug Tiere, um diese wieder aufzubauen?

Dieses Modell gibt es schon für wilde Orang-Utans, für ausgewilderte wurde es bis dahin noch nicht gemacht. Man kann nicht davon ausgehen, dass die Parameter eins zu eins gleich sind wie bei den wilden, weil beispielsweise die Überlebensraten ganz anders sein könnten. Die ausgewilderten Tiere haben viel weniger Wissen über ihre Umgebung und möglicherweise auch in den ersten Jahren nach der Auswilderung noch eine höhere Mortalitätsrate. Ich habe herausgefunden, dass es noch viel Bedarf gibt an Datensammlung, weil der Verbleib der ausgewilderten  Affen zum Teil nicht bekannt ist. Dem könnte man mit einer „Besenderung“ entgegenwirken.

Hatten Sie ein besonderes Erlebnis mit den Orang-Utans?

Ein Affe hat mich besonders gerne gejagt, das war eher gruselig. Einmal hatte ich mich schon nach einem Fluchtweg umgeschaut, der durch ein Flussbett führte. Der Affe wollte gerade gehen, als ich einen falschen Tritt machte und plötzlich kam er runter vom Baum und ich bin geflüchtet. Ich bin dann nur noch gerannt und habe zum Glück eine andere Gruppe von Mitarbeitern getroffen, die ihn mit Steinschleudern vertrieben.

Wenn ein Orang-Utan angreift, sollte man entweder wegrennen oder ihn an den Ohren packen und den Kopf zu Boden drücken. Das ist allerdings sehr unrealistisch, denn die haben ja nicht nur kräftige Arme, sondern auch Beine. Ich wollte es lieber nicht darauf ankommen lassen und bin geflohen.

Was ist für Sie das Besondere an Orang-Utans?

Affen sind insgesamt sehr nett zu beobachten, weil sie so spaßig sind und so viel Blödsinn machen. Orang-Utans sind ganz gemütlich, sie sind ideal, um sie zu beobachten und zu erforschen, weil sie 90 Prozent des Tages nur fressen und sich auch nicht viel bewegen. Während so ein Totenkopf-Äffchen zum Beispiel den ganzen Tag in Bewegung ist, schreit und hektisch ist, ist der Orang-Utan relaxt. Man kommt auch nicht so sehr durcheinander, weil sie eher Einzelgänger sind.

Wenn sie aber einmal alle auf einem Fleck sind, sehen sie schon irgendwie gleich aus. Zu Beginn meiner Diplomarbeit habe ich durchaus mal einen falschen Affen beobachtet und auch einmal bei Dämmerung einen dunklen Fleck im Baum beobachtet, bis mir jemand gesagt hat, dass da gar nichts ist.

Werden Sie auch in Zukunft an diesem Thema dranbleiben?

Ich stehe in engem Kontakt zum Projekt und erfahre regelmäßig wie es „meinen“ Affen geht. Es wäre schön, wenn es die Möglichkeit gäbe, noch weiter zu forschen, aber ich bin mit meiner Forschung so weit, dass ich auch gerne mal was anderes sehen möchte. Generell möchte ich weiterhin im Artenschutz aktiv sein und würde auch gerne weiter im Bereich der Auswilderung arbeiten. Die Orang-Utans sind tolle Tiere und mir sehr ans Herz gewachsen, aber ich kann mir auch gut vorstellen mit anderen Tieren zu arbeiten.

Info

Dr. Doris Kelle hat an der Albert-Ludwigs-Universität Forstwissenschaften studiert und war 2007-2008 im Rahmen ihrer Doktorarbeit an der Auswilderungsstation der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt in Indonesien tätig.

Wer mehr über Wildtierökologie und Wildtiermanagement an der Uni Freiburg wissen möchte, kann sich hier informieren: www.wildlife.uni-freiburg.de/

Foto: privat
Autoren:
Veröffentlicht am 27. August 2013

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