Improvisierst du noch oder residierst du schon?

Improvisierst du noch oder residierst du schon?

Klingel-Robert Klingel-Clari



Homezone.

Home is where your heart is.

Warme Dusche, große Küche, schöne Aussicht, Balkon.

Jogginghose, zurücklehnen, vor sich hin singen.

Was machen vier Wände eigentlich zur eigenen Wohnung?

Wohnen kann man so – und so …

Wir haben einen WG-Überzeugungstäter und eine „The Fizz“-Bewohnerin begleitet – in ihre

Homezone.

Schreibtisch_Rob_2-k

Robert, 28 Jahre
Studiert Geschichte
300 Euro Miete
WG in einem ehemaligen Bürogebäude

Schreibtisch_Clari-k

Clari, 19 Jahre
Studiert Medizin
Etwa 700 Euro Miete
Studierenden-Wohnhaus “The Fizz”

Robert

Wer Geschichte studiert, darf nicht zu viele Gedanken an die Zukunft verlieren.

WG-Profi Robert sieht’s lässig. Er ist Improvisationstalent, kommt schon auch mal zu Terminen zu spät.

Jetzt kann sich der Student und freiberufliche Radiomoderator aber nicht hinter dem Mikrofon verstecken.

Wir haben ihm eine Kamera in die Hand gedrückt. Er führt uns durch seine WG.


Clari

Clari ist ein Konzept-Mensch.

Die gebürtige Wienerin wohnt gerne im nagelneuen Studierenden-

Wohnhaus „The Fizz“ mit Einbauküche, Washing-Lounge und Balkon.

Robert und Clari kennen sich nicht. Noch nicht.

Wir haben ein Treffen eingefädelt.

     Vorurteile

Im „The Fizz“ wohnen reiche Schnösel. Berufserben, Bonzensöhne und –töchter, Sekt-Barbies und Lodenträger.

Und jede WG will eine Revolution anzetteln. Bombenleger, Berufsdemonstranten, Dauerstudenten, Bafög-Banausen, Gammler halt.

Ortsschild

Vorurteile sind einfach nachzuplappern, teilen die Welt in schwarz und weiß und ersparen einem meist das Denken.

Nun wollen wir`s wirklich wissen. Und haben mal unser Team von uni.tv zu Robert und Clari geschickt. Jetzt kommt die Außenansicht.


Es gibt große Wohnungen und es gibt kleine.

Es gibt teure und billige.

Es gibt aber nur eine Wohnung, in der man unter der Dusche singt.

In der die eigene Zahnbürste im Becher steht.

Wir finden: Größe und Preis einer Wohnung sagen nichts über den Bewohner oder die Bewohnerin aus.

Es sind die Kleinigkeiten, die den Charakter ausmachen: Bei der Wohnung wie beim Menschen.

Die erkennt man aber erst persönlich, beim Kennenlernen.

Oder, Robert?




Zahlen Daten Fakten

Robert ist einer von vielen. Die in einer WG untergekommen sind.

Denn in Wohngemeinschaften leben immer noch die meisten Studierenden. In Freiburg etwa 7.200.

So-wohnen-Studierende

Wohnen in einer WG bedeutet heute etwas anderes als vor 30 Jahren.

Bild-Stefan-Kaufmann-foto-privat„Die WGs sind erst nach 1968 entstanden, das war eine Protestform gegen das klassische bürgerliche Leben. Eine Entprivatisierung des Wohnens.“
Prof. Stefan Kaufmann, Soziologe an der Uni Freiburg.

Heute ist die WG für die meisten eine Durchgangsstation. Klar, dass man nach seiner Studienzeit in eine „normale“ Wohnung zieht. Die 68er würden sagen: Zurück zur Spießigkeit.

Eine WG will keine Weltrevolution mehr anzetteln. Die Mitbewohner wollen vor allem Geld sparen. Eine Einzelwohnung ist für viele Studierende unerschwinglich.

Durchschnittmiete von Studiernden

Es gibt auf dem Wohnungs-Markt neuerdings auch andere Angebote. Das neue Luxus-Wohnhaus “The Fizz“ in Freiburg bietet Einzelwohnungen für Studierende mit mehr Geld in der Tasche.

Die Mietpreise fangen an bei 450 Euro, das größte Appartement kostet etwa 700 Euro.

Dafür ist alles drin: Heizung, Möbel, Bad, Schrankküche, Washing-Lounge, Lift, Concierge und mehr.

Die lokale Presse hat dafür zwei Begriffe gefunden: Nobel-Studentenwohnheim und Luxus-Appartements.

Bild-Stefan-Kaufmann-foto-privat„Das The Fizz wird gerne in eine Luxus-Ecke gestellt. Luxus sieht für mich ganz anders aus.“
Horst Lieder, Betreiber des “The Fizz”

In einer WG ist immer Verkehr, immer was los. In einem Luxus-Wohnhaus mit Einzelwohnungen möglicherweise auch – aber sicher anders. Hier sieht der Gemeinschaftsraum so aus:

Gemeinschaftsraum-TheFizz

Logo-The-Fizz„Unsere Studentenwohnheime sind (…) pulsierende und kreative Begegnungsstätten, die einen einzigartigen Zugang zu einer smarten, internationalen Studentengemeinschaft verschaffen und Raum für neues Denken eröffnen.“
“Philosophie” der “The Fizz”-Wohnhäuser

Das sagt nun vieles oder auch nichts. Herrscht da nun Leben oder eher Management? Wir haben diesen Satz mal von einem Experten für Sozialwissenschaften analysieren lassen.

Bild-Stefan-Kaufmann-foto-privat„Solche Beschreibungen sind eine Fortsetzung des Trends der Intimisierung: In meiner Wohnung drücke ich mich aus, sie ist auf meine Bedürfnisse zugeschnitten. Eigenschaften, mit denen man sich zeitgenössisch identifiziert. Das ist Werbung“
Prof. Dr. Stefan Kaufmann, Soziologe an der Uni Freiburg

Wie ist das nun? Impro-WG auf der einen Seite, Luxus-Wohnhaus für Studierende auf der anderen.

Hat sich das studentische Wohnen nicht einfach nur ausdifferenziert, ist vielfältiger geworden?

Schließlich sollte doch jeder dort wohnen, wo es ihm passt.

So-wohnen-Studierende

So schlecht gefällt es Studierenden also nicht in ihrer Wohnung.

Der größte Teil ist immerhin zufrieden. Am schlechtesten schneidet noch die Untermiete ab, gefolgt vom Wohnheim.

Deutsches-Studentenwerk„Das Zweibettzimmer ist in den Studentenwohnheimen kaum mehr zu finden. Nur 1 % der Wohnheimbewohner
teilt sich ein Zimmer mit einem Kommilitonen“

Projektbericht: “Wohnen im Studium”, Deutsches Studentenwerk

Zu zweit in einem Zimmer wohnen? Das möchte wohl kaum jemand gerne.

Welche Wünsche haben die Studierenden genau in Sachen Wohnung? Was ist ihnen wichtig?

Was-ist-Studierenden-wichtig-beim-Wohnen

Folgt man diesen Zahlen, so hat sich das Studierenden-Wohnhaus “The Fizz“ nur den Wünschen der durchschnittlichen Studierenden angepasst. Die wollen:

Ruhe, Platz und gute Ausstattung.

Schickt uns eure besten WG-Geschichten, erzählt etwas über eure schlimmsten Erfahrungen oder was eure Wohnung besonders macht! Texte, Bilder, Videos – wir freuen uns auf eure Erlebnisse.

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Extras

Horst-LiederDas komplette Interview mit Horst Lieder, Betreiber des “The Fizz”
(Zum Öffnen klicken)

Herr Lieder, Sie bauen inzwischen schon das zweite „The Fizz“ in Freiburg. Es scheint eine große Nachfrage zu geben. Sind die Studierenden eigentlich anspruchsvoller geworden wenn es ums Wohnen geht? Stirbt die klassische WG mit tropfendem Wasserhahn aus?

Das glaube ich nicht. In der Community der WG-Bewohner gibt es immer noch Überzeugungstäter, die gar keine andere Wohnform haben wollen. Es gibt aber auch eine Anzahl von Studierenden die sagen: Einmal WG und dann nie wieder. Die nutzen das also eher als Durchgangssituation.

Es kann eben manchmal schwierig sein in der WG eine einheitliche Vorstellung zu entwickeln, zum Beispiel beim Sauberkeitsstandard. Da gibt es dann doch einige, die es Vorziehen alleine zu wohnen.

Wie kamen sie auf die Idee Studentenwohnhäuser mit etwas mehr Annehmlichkeiten zu errichten?

Wir haben uns angeschaut, wie es im internationalen Bereich läuft. Es gibt Länder, wie die USA, in denen die private Entwicklung und der Betrieb von Studentenwohnhäusern seit 20 Jahren ein Thema ist.

Wie sehen denn die typischen Studierenden aus, die bei Ihnen einziehen? Die Mieten von bis zu 700 Euro kann sich sicher nicht jeder leisten …

Unser Angebot richtet sich – vom Budget her gesehen – an den unteren Rand des oberen Drittels. Das sind Studierende, die etwa 1000 Euro im Monat zur Verfügung haben. Die Internationalen Studierenden kommen dagegen meist mit noch etwas mehr Geld an, je nach Herkunftsland.

Bei uns wohnen nicht die klassischen BAföG-Bezieher, sondern Studierende mit starkem finanziellem Rückhalt im Elternhaus. Ich selbst hätte mir eine solche Wohnung nicht leisten können, da ich BAföG bezogen habe während des Studiums.

Unsere Wohnhäuser sind auch auf den Bachelor-Studiengang zugeschnitten. In dem es eben nicht mehr so einfach ist, nebenher Geld zu verdienen. Man muss sich mehr aufs Studium konzentrieren. Darum haben wir Konzepte wie die Gruppenarbeitsräume oder die auf Ruhe ausgelegten Einzelappartements eingebaut.


In den Freiburger Medien wurde durchaus auch kritisch über das „The Fizz“ berichtet. Woher kommt diese Kritik?

Ich habe die Kritik teilweise verfolgt. Das „The Fizz“ wird gerne in eine Luxus-Ecke gedrängt. Ich finde Luxus sieht aber noch einmal ganz anders aus.

Einige Dinge wie ein Concierge wirken durchaus luxuriös …

Dieser hat eben bestimmte Aufgaben. Bei uns wohnen Studierende, die zum ersten Mal alleine wohnen. Diese Selbstständigkeit wollen wir etwas unterstützen. Es ist dabei für viele hilfreich, jemanden zu haben, an den sie sich wenden können.

Es hilft auch den Eltern, wenn sie einen Ansprechpartner haben, um zu erfahren, wie das im Haus abläuft. Bei deutschen Studierenden kommen immer öfter die Eltern zu der Wohnungsbesichtigung mit.

Warum haben sie kein „normales“ Wohnheim gebaut, zum Beispiel mit Wohngemeinschaften?

Bei WGs kommen immer einige Probleme auf den Vermieter zu: Wer kümmert sich um Nachmieter? Gibt es eventuell einmal Leerstand? Ökonomisch gesehen ist das ein heikles Thema. Bei kleinen Häusern mit 3 bis 4 WGs ist das ja kein Problem. Aber wenn es sich um 100 oder gar 200 WGs handelt ist das ein ganz anderes Thema.

Ich weiß, dass die WG eine beliebte Wohnform ist. Aber wir fahren eben ein anderes Konzept. Wir haben natürlich vorher geprüft, was die bevorzugte Wohnform ist. Als wirtschaftliches Unternehmen müssen wir auch an den Gewinn denken.

Sie haben selbst in Freiburg studiert. Wo haben sie eigentlich gewohnt?

Ich hatte zuerst ein Zimmer in Kirchzarten bei einer Familie zur Untermiete. Später habe ich dann in einer 1,5 Zimmer Souterrain-Wohnung gewohnt, gegen Nachhilfestunden. Danach bin ich mit meiner damaligen Freundin in eine kleine Wohnung in Freiburg gezogen.

Bild-Stefan-Kaufmann-foto-privatDas komplette Interview mit Prof. Stefan Kaufmann
(Zum Öffnen klicken)

Professor Dr. Stefan Kaufmann lehrt und forscht an der Universität Freiburg im Fachbereich Soziologie. Dabei beschäftigt er sich unter anderem mit Räumen der Gesellschaft.


Herr Professor Kaufmann, das Wohnheim „The Fizz“ wird von den Betreibern als „pulsierende und kreative Begegnungsstätte“ bezeichnet. Wie sehen Sie als Soziologe solche Darstellungen?

Im Prinzip sind solche Beschreibungen eine Fortsetzung des Trends der Intimisierung beim Wohnen. Intimisierung bedeutet hierbei die Trennung von Öffentlichkeit und Privatem. Das heißt: In meiner Wohnung drücke ich mich aus, sie ist auf meine Lebensbedürfnisse zugeschnitten. Mit allen Formen der Lebensstildifferenzierung die es gibt. Dass „The Fizz“ mit bestimmten Eigenschaften wirbt, mit denen man sich zeitgenössisch identifiziert, überrascht mich nicht. Das ist Werbung.

Welche Bedürfnisse haben Studierende, wenn es um die eigene Wohnung geht?

Dazu kann ich wenig sagen. Mich interessiert eher die Frage, wie sich in Wohnungsformen der Wandel von Gesellschaftsstrukturen abbildet. Damit entwickeln sich auch die Bedürfnisse an das Wohnen.

Soziale Unterschiede drücken sich zum Beispiel im Wohnraum aus …

Selbstverständlich, das ist ja eine schlichte Alltagserfahrung. Einkommen und sozialstrukturelle Lage korrelieren mit der Wohnungsgröße. Bestimmte Wohnviertel gelten als bessere Wohnviertel, andere als weniger privilegiert.

Prägt die Wohnform mit allen Annehmlichkeiten oder Problemen denn die eigene Persönlichkeit?

Natürlich wird man durch Räume geprägt, der soziale Habitus wird durch Wohnformen mitbestimmt, er drückt sich auch in ihnen aus. Dabei muss man aber die Dauer beachten, in der jemand in einer Wohnung lebt. Wenn wir von Studierenden sprechen, so glaube ich nicht, dass diese Zeit und ihre Wohnformen besonders prägend sind. Natürlich nimmt man gewisse Erfahrungen mit. Aber ich denke, die generellen Lebenspfade sind, zumindest was den räumlichen Habitus betrifft, schon abgesteckt, bevor jemand in eine improvisierte WG oder in ein schickes Appartement zieht.

Aber das Studium ist doch die Zeit, in der die wichtigsten Weichen gestellt werden!

Ja, es ist schon ein wichtiger Abschnitt. Es ist aber die Frage, ob die Wohnung eine Person grundsätzlich verändern kann. Es hängt auch viel mit der Bedeutung zusammen, die man der Wohnung zuspricht. Viele ziehen in eine WG, weil sie sich nichts anderes leisten können. Andere sehen es als bewussten Ausdruck eines Lebensstils. Das spielt alles eine Rolle.

Entscheidend ist meines Erachtens, dass sich die Bedeutung einer WG radikal verändert hat. Die WGs sind erst nach 1968 entstanden, das war eine Protestform gegen das klassische bürgerliche Leben. Eine Entprivatisierung des Wohnens. Heute ist das Leben in einer WG nur eine von vielen Wohnformen. Es ist meist klar, dass nach der WG eine eigene Wohnung kommt. Das war lange Zeit anders, die WG war ein Lebenskonzept. Die WG ist zwar auch heute für viele eine Erfahrung, die sie bewusst eingehen. Doch diese beschränkt sich eben auf eine bestimmte Lebensphase.

Dabei wollen doch viele Studierende lieber alleine wohnen. Nicht nur in den „The Fizz“ -Wohnheimen gibt es nur Einzelappartements. Auch das neue Wohnheim des Studierendenwerks in der Händelstraße besteht zu 70 Prozent aus Einzelwohnungen. Begründet wird dies mit der Nachfrage der Studierenden. Stirbt die klassische WG bald aus?

Das ist schwierig zu sagen, da müsste man sich die Daten und die Trends genauer anschauen. Tatsächlich wohnen die meisten Studierenden in WGs, nämlich 26 Prozent. Die „The Fizz“-Betreiber bauen sicher auch aus ökonomischen Gründen Einzelwohnungen: Sollten mal keine Studierende reinwollen, dann werden sicher Singles einziehen. Diese Lebensform verbreitet sich ja immer mehr.

Horst Lieder, der Betreiber des „The Fizz“, meint dazu, dass Wohnheime seiner Qualität international schon lange Standard seien. Liegt Deutschland hier zurück?

Ich denke, das liegt eher daran, dass das Studieren in Deutschland vergleichsweise noch sehr günstig ist. In anderen Ländern ist es durch Studiengebühren deutlich teurer. Dass Studieren finanziell gesehen eher Luxus ist, schlägt sich dann eben auch in den Wohnungen nieder.

Quellen (Zum Öffnen auf den Text klicken)

“Wohnen im Studium”: Ergebnisse einer Online-Befragung im März und April 2009 im Auftrag des Deutschen Studentenwerks. Online verfügbar unter:

http://www.studentenwerke.de/de/content/wohnen-im-studium-2009

Studie “Hohe Mietbelastung für Studierende in Nordrhein-Westfalen” von Studitemps. Online verfügbar unter:

https://studitemps.de/presse/pressemitteilungen/2014/

Hinweis: Bei den Daten in diesem Bericht ist Freiburg nicht aufgelistet. Die Daten für Freiburg wurden aber ebenfalls von Studitemps im Rahmen der Studie ermittelt, aber nicht in den Projektbericht eingetragen. Die verwendeten Mietkosten für Freiburg stammen daher aus folgender Quelle:

http://fudder.de/artikel/2014/03/20/so-teuer-wohnen-studierende-in-freiburg-im-vergleich-mit-anderen-uni-staedten/

 Autorinnen / Autoren: Felix Klingel, Hanno Mueller, Sophie Aschenbrenner, Robert Wolf, Marie Hopermann, Michael Kuhn und Wolfgang Weismann.

Veröffentlicht am 12. März 2014

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