Das Geheimnis des Uniturms

Das Geheimnis des Uniturms

Wer auf dem Unigelände seinen Blick gen Himmel schweifen lässt, kann sich dem Anblick des Uniturms nicht entziehen. Was kaum einer weiß: Hier oben befinden sich ehemalige Gefängniszellen für Studenten. Das Einsitzen im Karzer wurde aber schon lange vor seiner Abschaffung nicht mehr als Strafe empfunden.

Die Einrichtung des Karzers im Uniturm ist knapp bemessen. Rechts ein schmales Bett, links ein Schrank, hinter dem eine Treppe auf eine erhöhte Ebene führt.

Auf der Ebene stehen ein Schreibtisch und eine Waschschüssel. Über und über haben ehemalige Insassen die Wand mit Verbindungswappen und anderen Zeichnungen verziert.

Auch eine mächtig anmutende Zeichnung eines Klosetts prangt hier – eine ironische Anspielung auf das tatsächliche Fehlen einer Toilette.

Dass Universitäten einen eigenen Karzer hatten, ist nichts Ungewöhnliches, schließlich verfügten sie noch bis ins 19. Jahrhundert über eine eigenständige Gerichtsbarkeit.Doch dass sich in diesen zwei Räumen im Uniturm ehemals Gefängniszellen für Studenten befanden, wusste bis Anfang der 2000er Jahre noch niemand.

Zufällige Entdeckung

Nur einem Zufall ist die Wiederentdeckung zu verdanken: Dr. Dieter Speck, Leiter des Uniarchivs, fand eine alte Postkarte, die herzliche Grüße aus dem Unikarzer übermittelte. „Zwar hatten wir schon einige Aufzeichnungen, in denen von einem Karzer berichtet wurde, aber wir konnten nie rekonstruieren, wo er sich befunden haben sollte”, berichtet er. Auf Grundlage der Postkarte machte er sich nun erneut auf die Suche nach dem Ort – und wurde im Uniturm fündig.

Nachdem die Uni aus dem alten Gebäude an der Bertoldstraße ins neue, heutige KG I umgezogen war, wurde 1911 im Turm der Winterkarzer eingerichtet. 1912 folgte der Sommerkarzer, der über keine Heizung verfügte und deshalb nur in der warmen Jahreszeit benutzt wurde.

Als Speck die Räume entdeckte, dienten sie noch als Büros der Romanistik. Zum Jubiläum der Universität 2007 wurden sie dann wieder als Karzer hergerichtet und sind seitdem auch zu besichtigen.

Übliche Delikte: Trunkenheit und Prügelei

Der bekannteste und kurioseste Insasse des Karzers war Walter Stegmüller, der auch König des Zufalls genannt wurde. Nachdem er kurz zuvor noch als 3000. Student der Uni Freiburg feierlich durch die Stadt geleitet und von der Universitätsleitung geehrt wurde, war er 1911 wegen Trunkenheit und Prügelei zufällig auch der erste Insasse des Winterkarzers im neuen Unigebäude.

Dieses Ereignis feierte er gebührend mit seinen Kommilitonen in der Zelle, wie Berge von Flaschen auf einigen Aufnahmen beweisen.

Denn – und das mag überraschen: Im Karzer war Besuch erlaubt. Der Aufseher duldete exzessive Partys. „Vermutlich wurde er regelmäßig bestochen”, erzählt Speck. So gehörte das Einsitzen hier bald mehr zum guten Ton unter den Studenten, diente dem Prestigegewinn und war keine wirkliche Strafe.

Genau das möchte auch die Wandschrift Ferdinand Gasters’ sagen: „Carcerem delectat” – “Genieße den Karzer”.

Natürlich war die Karzerstrafe nicht von vornherein so positiv konnotiert: In Freiburg existierte sie seit der Gründung der Universität 1457 und wurde noch bis zur Abschaffung aller Universitätsgerichte im Deutschen Reich 1879 als schwerer Eingriff in die persönliche Freiheit empfunden. 1920 wurde die Karzerstrafe in Freiburg abgeschafft – gegen den erklärten Willen des AStA.

Die Wände erzählen Geschichten

„Alkoholkonsum, Schlägereien und Frauengeschichten waren die häufigsten Ursachen für die Inhaftierung”, sagt Speck. Davon berichten auch die Bilder und Schriften an den Wänden des Karzers: Ein Bierkrug, viel zu groß für den kleinen Mann. Ein zornentbrannter Polizist mit ausgestrecktem Zeigefinger. Die Bar, an der die schöne Dame sitzt.

Häufig blieben die Studenten gleich mehrere Tage hier. Genug Zeit also, um ihre Geschichte farbenfroh an den Wänden zu hinterlassen. So dichtet auch Walter Stegmüller an der Wand:

“Es war in einer schönen Nacht,
Da war ich etwas munter.
Ich trank und sang und wischte auch
Eins dem Polyphen runter.
Nun sitz ich hier bei Wein und Bier
Bigott, und es gefällt mir hier.”
 

„Die Inhaftierung von Studenten war vor allem die Folge von Wettstreits zwischen den Verbindungen“, erzählt Speck. In kleineren Universitätsstädten waren damals bis zu sechzig Prozent aller Studenten Mitglied einer Burschenschaft.

Das mag auch erklären, warum Frauen, die seit 1900 in Freiburg studieren durften, niemals im Karzer eingesperrt wurden. Frauenverbindungen gab es in dieser Zeit zwar schon, doch Duelle, auf übermäßigen Alkoholkonsum und Pöbeleien gegründet, galten als „unweiblich“. Frauen mögen so wenig Grund für eine Inhaftierung gegeben haben.

Einsicht durch Ausblick

Über eine Treppe, die sogenannte Jakobsleiter, geht es zum Sommerkarzer hinauf. Wenn man auf den Stuhl am Fenster steigt, genießt man von hier einen wunderschönen Blick auf die Stadt und den Schlossberg.

Ein besserer Ort für das Strafeabsitzen als der Uniturm hätte sich wohl nicht finden lassen. Sollten die Studenten also einsichtig werden durch Ausblick? Trotz allem: Der Karzerstrafe von damals trauert heute wohl keiner mehr nach.

Selber schauen

Video von uni.tv freiburg

Info

Das Uniseum bietet auf Nachfrage für einen Pauschalpreis von 45 Euro Gruppenführungen durch die Karzer an. Mehr Infos unter

www.uniseum.uni-freiburg.de/karzer1

Fotos: Geesche Oetken
 
Veröffentlicht am 23. Oktober 2014

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