Ein Tag auf Arabisch

Ein Tag auf Arabisch

Schon seit zwei Monaten ist Simone jetzt in den Palästinensischen Autonomiegebieten und studiert an der Universität Birzeit. Zeit für ein Update und einen Einblick in den nun eingekehrten Alltag, der schon sehr früh morgens beginnt.

6.30 Uhr: Mein Wecker klingelt. Der Tag beginnt hier früh für eine schlafverwöhnte Freiburger Studentin.

7.42 Uhr: Ich habe die offiziellen Uni-Busse verpasst, die um halb acht morgens noch nicht so bevölkert sind, wie der Platz, auf dem ich jetzt stehe, und von dem die quietschgelben Sammeltaxis abfahren. Die sicher über 150 Studentinnen und Studenten, die hier mit mir warten, entdecken ihre animalischen Triebe, sobald eines der Gefährte aufkreuzt. Es gibt nur sieben Sitzplätze, manchmal mit Sicherheitsgurt ausgestattet, und zumeist einem gutmütigen Fahrer, der dem Chaos gelassen entgegenblickt.

Sind die raren Plätze besetzt, schlägt er die Tür vor den Nasen der noch wartenden Massen zu. Dementsprechend ist der Kampf um einen der Sitzplätze auch besonders heftig – Ellenbogeneinsatz erlaubt und nichts für friedliebende, zarte Seelen.

7.50 Uhr: Der gutmütige Fahrer rast inzwischen mit einem Affenzahn durch Vororte Ramallahs in Richtung Universität. Straßenstände, an denen Möbel verkauft werden, mit Graffiti überzogene Mauern, eindrucksvolle Wolkenkratzer und unbedeutende Häuschen ziehen vorbei. Auf einer Baustelle entsteht eine Moschee und täglich warte ich darauf, dass sie ihre goldene Kuppel aufgesetzt bekommt, die schon seit Tagen vollendet vor der Baustelle glänzt, wie ein überdimensionaler Helm, den ein Riese dort versehentlich hingelegt hat.

8 Uhr: Schnell hetze ich an den Sicherheitswärtern vorbei, die das Tor zur Uni bewachen, danach an den Studierenden, die Hamas-Flyer verteilen, an den pinken Bankautomaten der „Bank of Palestine“ und an einigen Studierenden, die sich offensichtlich sehr über meine Eile freuen und mir schon von Weitem wissend entgegen grinsen. Mein Unterricht beginnt nämlich offiziell um acht, also jetzt.

9 Uhr: Der Arabischunterricht ist in vollem Gang. Drei Stunden Amiyya stehen auf dem Stundenplan. Amiyya ist der in Palästina gesprochene arabische Dialekt. Er unterscheidet sich so sehr vom Hocharabischen, dass ich im Anfängerkurs sitze, obwohl ich in Deutschland ja bereits Arabischunterricht hatte. Oftmals kommt es mir so vor, als erlernte ich hier zwei Sprachen.

Der Lehrer steht vor der Klasse und konjugiert Verben. Er ist etwa 1,65 Meter groß, hält die Hände vor seinem Bäuchlein gefaltet und runzelt seine Stirn bis hinauf zu seinem sehr hohen Haaransatz. Aber er lächelt dabei. Geboren ist er in Gaza, was er uns immer wieder stolz erzählt. Generell weiß man inzwischen recht viel Persönliches voneinander. Arabische Konversation ist einfach vorwitzig indiskret und weder der Beziehungsstatus noch die gesamte Familiengeschichte sind tabu.

„Now. Repeat!“, fordert der Lehrer die Klasse auf und spuckt dabei beide Wörter aus, als ob er froh wäre, wenn er diese fremdartigen englischen Vokabeln endlich los wäre. Es erschallen eine Vielzahl mehr oder weniger arabischer Wörter in zig verschiedenen Akzenten und Betonungen. Die meisten Amerikaner sprechen breit und voll, die Koreanerin verschluckt die Hälfe ihrer Wörter und die vier Deutschen im Kurs klingen vermutlich für alle anderen recht barsch. Die Teilnehmer des „Palestine and Arab Studies Program“ lernen nicht nur etwas über die arabische Welt, sondern begeistern sich zunehmend auch für die Kulturen ihrer Kommilitonen aus aller Herren Länder.

11 Uhr: Endlich Mittagspause! Drei Stunden Unterricht sind sehr lang und machen hungrig. Die Auswahl an Cafeterien auf dem Campus ist riesig. Der Großteil des Sortiments gibt keinerlei Hinweis darauf, wo auf dem Erdball es seinen Ursprung hat. Pizza, Pommes und belegte Baguettes stehen hoch im Kurs. Aber man findet auch Maqluba, ein palästinensisches Reisgericht mit Huhn, das wortwörtlich umgestülpt bedeutet oder Manakisch, Fladenbrote, die mit der in der Region sehr beliebten Gewürzmischung Za’atar und Olivenöl bedeckt sind.

Der Duft von starkem arabischen Kaffee, der mit Kardamom gekocht wird, liegt über dem ganzen Campus. Beliebt bei müden Studierenden sind jedoch auch die farbenfrohen Tüten voll mit Instantkaffee von Nescafé und Schwarztee mit frischer Pfefferminze.

Teigtaschen

Manakisch und mit weißem Käse oder Spinat gefüllte Teigtaschen in der Uni-Kantine.

12 Uhr: Der Unterricht für Hocharabisch beginnt und das bedeutet normalerweise zwei Stunden pralle Grammatik. Hocharabisch ist mit seinen tausendundeinen Ausnahmen auch für manchen Muttersprachler eine echte Herausforderung. Modernes Standardarabisch ist mehr oder weniger eine pure Schriftsprache.

Im Alltag hört man es kaum, außer in den Nachrichten. Deshalb versucht unsere junge Lehrerin regelmäßig den Unterricht mit arabischen Gedichten und Sprichwörtern zu versüßen à la „Das Auge sieht, aber der Arm ist zu kurz.“ Bei solch lyrischem und Gedanken anregenden Ohrenschmaus nimmt man dann eine weitere Grammatikausnahme billigend in Kauf.

14 Uhr: Nach geschlagenen fünf Stunden Sprachunterricht folgt jetzt noch ein Seminar. Ein ehemaliger Politiker, der selbst acht Jahre im Gefängnis saß, spricht abwechselnd über die Palästina-Frage, also der Frage nach der palästinensischen Identität, über einen palästinensischen Staat und den Konflikt mit Israel sowie über modernes und zeitgenössisches arabisches Gedankengut. Dabei vermischt er schon mal eigene Weltanschauungen und wissenschaftliche Erkenntnisse.

Und so bleibt nur, seinen ausschweifenden, bildreichen und emotionalen Reden zu lauschen, seine Meinung mit eigenen Standpunkten abzugleichen, diese dabei weiterzuentwickeln und die Seminare als Ausgangspunkt für eigene Recherchen zu nehmen.

Arabisch

Das Bild ist nicht seitenverkehrt. Arabisch schreibt man von rechts nach links.

16 Uhr:  Offiziell ist der Unterricht nun zu Ende. Bevor der Campus um 17 Uhr geschlossen wird, hat man jetzt noch eine Stunde Zeit für außerunterrichtliche Aktivitäten. An der Uni gibt es Sportangebote, politische Parteien, Lesekreise, eine Umwelt-AG oder Gruppen, die Studierende mit Handicap unterstützen. Jeder Student und jede Studentin muss Sozialstunden ableisten, um den Abschluss an der Universität zu erlangen. Manche treffen sich dafür mit den internationalen Studierenden und lernen mit ihnen mindestens vier Stunden pro Woche Arabisch.

Meine Konversationspartnerin hört sich fast täglich eine identische Geschichte in gebrochenem Arabisch an – nämlich was ich den vergangenen Tag gemacht und gegessen habe. Mittwochs und donnerstags haben die Teilnehmer des „Palestinian and Arabic Studies Program“, kurz die PAS-Studierenden, Dabke-Tanzstunden. Dabke ist der palästinensische Volkstanz, der bei allen Hochzeiten getanzt – oder besser gesagt gehüpft – wird. Vorstellen kann man sich den vergnüglichen, aber anstrengenden Spaß als eine Mischung aus bayrischem Schuhplattler und irischem Steptanz zu arabischer Musik.

17 Uhr: Eine müde, aber ausgelassene Gruppe mit internationalen und palästinensischen Studierenden, die vom wilden Hüpfen rote Gesichter haben, verlässt die Turnhalle und macht sich auf den Heimweg. Die Atmosphäre erinnert an das Ende eines langen Schultages und die Witze, die nun gemacht werden, an Kindergarten.

Niemand will wahrhaben, dass noch mindestens eine Stunde Zeit für die Hausaufgaben aufgebracht werden muss und man verabredet sich wider besseres Wissen auf ein Bier danach in einer der mehr oder weniger versteckten Bars in Ramallah. Das Aufstehen morgen um 6.30 Uhr wird mir wieder sehr schwer fallen.

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Yallah Yallah nach Ramallah

Fotos: Simone Rehm
Autoren:
Veröffentlicht am 18. November 2014

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