Als Studentin auf der Berlinale

Als Studentin auf der Berlinale

Lena hat die diesjährige Berlinale als akkreditierte Fachbesucherin des aka-Filmclubs erlebt. Für uniCross berichtet sie von Schlafmangel, schnarchenden Sitznachbarn und ihren persönlichen Empfehlungen.

Der erste Tag

Berlinale

… ist für mich ziemlich verwirrend. Es fängt damit an, dass ich – gegen halb neun Uhr morgens – auf der Suche nach dem Berlinale Service Center bin. Es hieß, man bekomme dort seinen Ausweis ausgehändigt. Erst danach kann man sich für Tickets des Folgetages anstellen. Ich habe einen Stadtplan, ich stehe vor dem Berlinale Palast und weiß nicht wohin.

Ich frage jemanden, der aussieht, als sei er mit von der Partie. Er schickt mich ins nächste Gebäude – wo ich nach langer Raumsuche in ein weiteres Gebäude geschickt werde. Um dort hinein zu kommen, hätte man sich eigentlich anstellen müssen. Das ist eine Schlange, die sich schon vor sechs Uhr morgens im Gebäude bildet, und wenn das Gebäude voll ist, draußen fortsetzt.

Erst um halb neun, wenn die Ticket-Schalter öffnen, bewegt sich die Schlange, und die Leute von draußen können nach und nach ins Gebäude rein. Was ich meine, ist: Die Schlange ist ziemlich lang. Mich allerdings winkt ein Berlinale-Mitarbeiter ins Gebäude, ohne dass ich die Schlange überhaupt bemerkt habe. Weshalb er das getan hat, ist unklar.

Gut für mich: Dadurch kann ich meinen Ausweis abholen und noch vor 9 Uhr am Ticket-Counter landen und dadurch zwei Tickets für Wettbewerbsfilme für den Folgetag ergattern. Nicht so lustig ist es für einen meiner Filmclub-Kollegen, der mich vor seiner Nase ins Gebäude hat laufen sehen. Er stand zu diesem Zeitpunkt schon seit einer Stunde draußen in der Kälte.

Tag zwei der Berlinale

Es ist kalt und noch nicht einmal richtig hell. Mein Kollege, mit dem ich mich hier verabredet habe, sagte mir, man habe gute Chancen, im Gebäude warten zu können, wenn man um halb sieben hier ist. Das hört sich gut an, denn zu Beginn der Berlinale liegen die Temperaturen noch deutlich im Minusbereich. Wir werden allerdings nicht eine Minute zu früh ins Gebäude gelassen. Trotz Tee, den ich vorsorglich mitgebracht habe, und zweier Handwärmer frieren wir schrecklich. Unsere Zehen sind taub, als wir endlich drin sind.

Eine besondere Premiere

Sonntagnachmittag, 8. Februar. Ich bin spät dran, renne in den Berlinale Palast. „Wo genau muss ich eigentlich hin?“, frage ich das Personal. Ich solle weiterlaufen und werde dann vom Rest des Personals weitergeleitet. „Wo ist der zweite Rang?“, frage ich also die nächste Mitarbeiterin. „Da müssen Sie noch fünf Stockwerke weiter“, sagt sie lächelnd.

Hechelnd komme ich oben an, drei Minuten vor Beginn der Vorstellung. Ein alter Herr muss seine fünf Jacken wegräumen, damit ich mich setzen kann. Die Vorstellung beginnt dann erst eine Viertelstunde später. Ich kam, ohne zu wissen, dass es die Premiere des Films ist. Ein Redner fordert das Publikum auf das Filmteam zu begrüßen – da ich im zweiten Rang sitze, sehe ich nur, wie sich die Zuschauer unten umdrehen. Ein Filmteam sehe ich von meinem Platz aus nicht.

Nach der Vorstellung wird das Filmteam zum Glück noch einmal auf die Bühne gebeten. Der Film – „Mr. Holmes“ mit Ian McKellen, der auch Gandalf in „Herr der Ringe“ spielte – war grandios, und die Zuschauer hören nicht auf zu klatschen. Wie die Filmemacher nun dafür gewürdigt werden, treibt mir fast die Tränen in die Augen. Ein einzigartiger Moment.

Wenn die Schlange nicht verschwinden will

Das Berlinale Service-Center. Dort hat man sich für Tickets als Akkreditierter angestellt.

Die Berlinale kann man entweder als normaler Besucher erleben oder als akkreditierter Fach- beziehungsweise Pressebesucher. Akkreditiert heißt, dass man einen Ausweis bekommt, der es einem ermöglicht, die Tickets umsonst zu bekommen. Man zahlt nur eine Pauschale. Als Fachbesucher muss man in einem Kinobetrieb arbeiten – in meinem Fall ist es das Unikino -, als Presseakkreditierter im journalistischen Bereich.

Als akkreditierter Fachbesucher hat man drei Möglichkeiten, während der Berlinale in die Vorstellungen zu gehen. Möglichkeit eins: Man stellt sich früh morgens in die Schlange und hofft, für all seine Wünsche Karten zu bekommen. Möglichkeit zwei: Man schläft aus und stellt sich später in die Schlange, wohl wissend, dass nicht mehr viel übrig sein wird. Möglichkeit drei: Man holt sich gar keine Karten, sondern stellt sich überpünktlich in die „Badge-Schlange“ vor dem jeweiligen Kino – die Schlange für Akkreditierte ohne Ticket.

Je nach Kontingent – also entweder, wenn eine Vorstellung sowieso nicht ausverkauft ist oder wenn Leute, die ein Ticket haben, nicht kommen – werden dann der Reihe nach Leute aus dieser Schlange noch ins Kino gelassen. Dies geschieht aber üblicherweise nicht vor Vorstellungsbeginn. Das heißt, man muss warten und bangen. Wenn es blöd läuft, steht man lange an und kommt am Ende doch nicht rein. Ich wähle die meiste Zeit diese Variante, weil ich absolut kein Frühaufsteher bin. Mit sehr hoher Erfolgsquote. Wenn man dann ins Kino gelassen wird, freut man sich auch umso mehr.

Einmal allerdings klappt es nicht. Ich will in „I am Michael“ gehen – ein Film über Michael Glatze, einen ehemals Homosexuellen, der sich dann der Kirche zugewandt und von seiner homosexuellen Identität abgewandt hat. Ich bin extra eine Stunde vorher am Kino, aber diese Idee hatte nicht nur ich. Mindestens zwanzig Leute stehen bereits vor mir an. Einige Wenige werden tatsächlich reingelassen, doch dann wird noch vor Start der Vorführung verkündet, dass die Vorstellung ausverkauft sei, wir könnten gehen.

Zu blöd nur, dass sich die Schlange keinen Zentimeter bewegt. Alle schauen nur die Ansagerin mit großen, treuen Augen an. Niemand will aufgeben. Alle wollen den Film sehen. Erst etwa zehn Minuten nach Vorstellungsbeginn wird den meisten klar, dass hier wohl nicht mehr viel passieren wird. Trotzdem: Die ungläubigen Blicke des Kinopersonals, als niemand auf ihre Ansagen reagierte, waren köstlich.

Die Kinos

Jedes Kino auf der Berlinale ist einzigartig – wenn man vom Cinemax und Cinestar absieht. Ein Highlight ist das Kino International, ein Kino aus DDR-Zeiten. Es hat eine gewölbte, wellenartige Decke und hinter seinem dunkelblauen Vorhang versteckt sich ein weiterer, goldener Vorhang.

Der Berlinale Palast ist das luxuriöseste Kino – für den Rest des Jahres ist es das Theater am Potsdamer Platz. Es hat außer den Sitzen in der unteren Ebene noch zwei Ränge mit äußerst bequemen Sesseln, die roten Wände und der rote Vorhang tauchen den Raum in warmes Licht. Hier fühlt man sich am meisten als Teil eines ganz besonderen Events.

Der Friedrichstadt-Palast ist das Kino mit den meisten Sitzplätzen auf der Berlinale – 1.900 Besucherinnen und Besucher passen rein. Obwohl auch dieser Saal sehr eindrücklich ist, sitzt es sich hier nicht bequem. Beinfreiheit ist nicht vorhanden, die Lehnen sind hart und nicht beweglich. Getoppt wird das noch durch den kalten Luftzug, der durch die Lüftungen oberhalb der Sitzlehne bläst. Länger als 90 Minuten sollte der Film, den man hier schaut, möglichst nicht dauern.

Das perfekte Gegenbeispiel sind die Sessel im Zoo-Palast. In ihnen kann man sich so weit nach hinten lehnen, dass wachbleiben zur echten Herausforderung wird.

Menschliche Begegnungen

Insgesamt sind meine Sitznachbarn auf der Berlinale meist Schnarcher, Zappelphilipps oder beides. Mit letzterem meine ich jemanden, der es eine halbe Stunde lang nicht schafft, still zu sitzen, was mich schier verrückt macht. Dann schläft der Sitznachbar ein und schnarcht so laut, dass sich andere umdrehen.

Amüsant ist ein Amerikaner, der auf meine Cola deutet und fragt, wo denn hier ein Mc Donald’s sei. Als ich ihm sage, dass es genau gegenüber des Berlinale Palasts einen gebe, ist er mir unheimlich dankbar.

Einmal steht vor dem Kino anstelle einer Schlange ein Pulk von Leuten. Da man aber nur einzeln abgezählt reingelassen wird, denke ich mir, dass das zu Schwierigkeiten führen könnte. Also frage ich eine Frau neben mir, ob es hier eine Art Reihenfolge gebe. Die taffe Berlinerin, deren Kurzhaarschnitt und grimmiger Blick den Eindruck machen, als sei mit ihr nicht zu spaßen, antwortet: „Naja, wär halt jut, wenn ma sich vielleicht nich janz vorne hinstellt, wa. Kannst aber gerne wat formieren hier, wenn’de willst“.

Ein großer Herr mit Bodybuilder-Figur mischt sich ein: „Ja, also letztes Mal gab’s hier Ausschreitungen.“ Als ich dann noch von weiter hinten einen aufgeregten Amerikaner höre, wie er sagt „Oh my God, this is not a cue, this is a crowd! It’s crowd-cueing! That’s not good!“, wird mir doch etwas mulmig. Am Ende verläuft dann aber doch alles gewaltfrei.

Meine Empfehlungen

Mein absoluter Favorit der Berlinale ist oben genannter „Mr. Holmes“ von Bill Condon. Es geht um den alten Sherlock Holmes, der sich trotz verschlimmernder Demenz versucht, an seine Vergangenheit zu erinnern – genauer gesagt, weshalb er seinen Job als Detektiv aufgegeben hat und aufs Land gezogen ist. Während er der Wahrheit immer näher kommt, zeichnet sich ein Bild eines Mannes, der ganz anders ist als alle Klischées, die wir über ihn kennen. Ein sehr berührender Film, der sich Zeit lässt und sich fernhält von jeglichem Pathos oder unechten Emotionen.

Ebenfalls sehenswert ist der Film „Als wir träumten“ von Andreas Dresen, der jetzt in den Kinos anläuft. Ein Porträt einer Gruppe von Jugendlichen, die in der DDR geboren wurden und nach dem Mauerfall ihre Jugend erlebten. Die neugewonnene Freiheit bringt allerdings nicht nur Schönes mit sich, den Jugendlichen wird bald klar, dass der Fall der Mauer nicht alle Probleme löst. Der Film basiert auf dem Roman von Clemens Meyer.

Fazit

Der Berlinale Palast von außen - hier war der rote Teppich

Der Berlinale Palast von außen – hier lag der rote Teppich.

Nach zehn Tagen Berlinale bin ich mit meinen Kräften ganz schön am Ende. Das frühe Aufstehen, das ständige Planen und Umplanen des persönlichen Programms, das Hechten von Kino zu Kino. Aber es hat sich definitiv gelohnt. Nur die enorme Bandbreite an Filmen ist etwas überwältigend.

Egal wie voll man seinen Tag auch stopft, man wird immer nur einen geringen Teil des Angebots sehen. Trotzdem ist es eine Ehre, als Mitglied eines Unikinos hier sein und sich zwischen all den anderen Fachbesuchern und Journalisten tummeln zu dürfen. Besonders gefallen hat mir auch, dass man hier nach jedem Film applaudiert. Das ist eine völlig neue Art, Kino zu erleben: Es geht hier nicht um Konsum, sondern um eine Form von Kunst.

Info

Die Berlinale ist ein internationales Filmfestival in Berlin, das jährlich zehn Tage lang stattfindet, dieses Jahr vom 5. bis 15. Februar 2015. Es zählt neben Filmfestivals in Cannes oder Venedig zu den weltweit wichtigsten. Jedes Jahr konkurrieren Filme der Kategorie „Wettbewerb“ um den Goldenen Bären sowie weitere Silberne Bären. Der diesjährige Gewinner des Goldenen Bären ist der Film „Taxi“ von Jafar Panahi.

Fotos: Lena Prisner
Autoren:
Veröffentlicht am 3. März 2015

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