Flüchtlingen helfen

Flüchtlingen helfen

Die Initiative Schlüsselmensch vermittelt und betreut Patenschaften zwischen Flüchtlingskindern und jungen Erwachsenen. Die „Schlüsselmenschen“ sind häufig Studierende, die Kinder aus dem Flüchtlingswohnheim St. Christoph am Rande der Stadt in die Gesellschaft integrieren möchten.

Das Flüchtlingswohnheim St. Christoph befindet sich am Stadtrand Freiburgs, zwischen Flughafen, Möbelhäusern und dem TÜV. Jemand hat Wäsche aufgehängt über dem Industriezaun, der das Gelände des Wohnheims eingrenzt.

Auf dem Ascheplatz daneben kicken zwei Jungs. Eine Frau mit Kopftuch steht am Treppengeländer eines Wohncontainers und schaut ihnen dabei zu.

„Fast alle Wohnheime liegen mitten im Industriegebiet. Das ist eine ziemliche Isolation, aus der es schwierig ist, herauszukommen“, erklärt Lisa, die im Organisationsteam der Initiative Schlüsselmensch ist. Sie studiert Deutsch, Politik und Geschichte auf Lehramt an der Uni Freiburg.

Die Initiative Schlüsselmensch vermittelt Patenschaften zwischen Flüchtlingskindern und jungen Erwachsenen, überwiegend Studierenden. Die „Schlüsselmenschen“ möchten der Isolation von Flüchtlingskindern entgegenwirken.

„Wir haben über 40 aktive Patenschaften“, erzählt Lisa. Nicht jedes Kind, das im Flüchtlingswohnheim am Flugplatz wohnt, habe einen Paten. Aber in jeder Familie gebe es zumindest ein Kind mit Pate. „Das ist unser Anspruch“, sagt Lisa.

Vielfältiges Programm für Patenkinder

Lisa ist nicht nur im Organisationsteam, sondern schon seit anderthalb Jahren Patin. Ihr Patenkind heißt Leonela, ist neun Jahre alt und besucht die dritte Klasse.

Lisa und Leonela versuchen, sich einmal in der Woche zu treffen. Sie backen Pizza zusammen, machen einen größeren Ausflug oder bearbeiten gemeinsam Leonelas Hausaufgaben.

Für alle Patinnen, Paten und Patenkinder organisiert die Initiative Schlüsselmensch jährlich Aktivitäten. Für 2015 ist ein Spieleturnier geplant, ein Ausflug in den Hochseilgarten, ein Tag im Maisfeldlabyrinth, ein Sommerpicknickfest, Bowling und Lebkuchenhäuser basteln zu Advent.

Die Initiative hat zahlreiche Kooperationspartner: Der DLRG bietet einmal wöchentlich kostenlose Schwimmkurse für die Patenkinder an. Der CinemaxX stellt Freikarten zur Verfügung, das Stadttheater verkauft ermäßigte Eintrittskarten und das Akademische Orchester erlaubt ihnen den Proben beizuwohnen.

Leonelas Position gegenüber dem Engagement der Schlüsselmenschen ist unmissverständlich. Von all ihren Unternehmungen mit Lisa gefiel ihr am besten: „Alles!“.

Wilhelm-Oberle-Stiftung unterstützt die Schlüsselmenschen

Die Initiative Schlüsselmensch entstand 2011 aus einer Hausaufgabenbetreuung von Studierenden für Flüchtlingskinder. Schnell konnte die Wilhelm-Oberle-Stiftung als finanzieller Unterstützer akquiriert werden. Die Hausaufgabenbetreuung gebe es aber immer noch ehrenamtlich, erklärt Lisa.

Die Wilhelm-Oberle-Stiftung ist mit einem Stiftungskapital von 14 Millionen Euro die größte private Stiftung im Großraum Freiburg. Sie fördert Personen, die aufgrund ihres Alters, ihrer sozialen Situation oder einer materiellen Notlage auf Hilfe Dritter angewiesen sind.

Die Stiftung bezahlt alle Kosten, die bei den zahlreichen Ausflügen der Schlüsselmenschen und ihren Patenkindern anfallen. „Von der Butterbrezel bis zur Fahrkarte“, resümiert Lisa. „Das ist eine große Hilfe.“

Initiative Schlüsselmensch gegen sichere Herkunftsländer

„Die Patenschaften sind die eine Säule des Vereins, die andere Säule ist das Orga-Team“, erörtert Lisa. Das Organisations-Team beinhaltet 15 Studierende, die die Patenschaften vermitteln und als Ansprechpartner fungieren. Sie engagieren sich aber auch politisch.

Im Juli 2014 forderte die Initiative Schlüsselmensch alle Bundestagsabgeordneten in einem offenen Brief dazu auf, Bosnien-Herzegowina, Serbien und Mazedonien nicht zu sicheren Herkunftsländern zu erklären.

Lisa Fremdling von der Initiative Schlüsselmensch

Lisa und Leonelas jüngerer Bruder Leo, während Leonela sich hinter dem Sofa versteckt.

Roma würden in den genannten Staaten systematisch ausgegrenzt und diskriminiert, argumentiert die Initiative. Der Begriff des sicheren Herkunftslandes sei geradezu absurd. Die Einstufung zu sicheren Herkunftsländern hätte zur Folge, „dass die Asylanträge in einem verkürzten Verfahren als unbegründet abgelehnt werden könnten“.

Die Schlüsselmenschen mussten allerdings einen Rückschlag einstecken, denn heute gelten die genannten Herkunftsländer als sicher.

Der Fall Ametovic

Lisa betont immer wieder, wie sehr ihr ihre Arbeit als Schlüsselmensch gefällt. Der kulturelle Austausch fände in beide Richtungen statt. „Ich werde immer gleich zum Essen eingeladen, kriege einen Tee oder was anderes zu trinken“, erzählt sie.

Das Einzige, was manchmal mühselig sein könnte, sei die Kommunikation, weil die Deutschkenntnisse der Kinder nicht ganz perfekt seien. „Aber mit Händen und Füßen klappt dann doch immer alles.“

Ein unschönes Erlebnis ihrer Arbeit sei allerdings der Fall Ametovic gewesen.

Noch im Dezember 2014 machte Dean Ametovic das Seepferdchen-Schwimmabzeichen mit der Unterstützung der Schlüsselmenschen. Im Januar 2015 wurde er mit seinen fünf jüngeren Geschwistern nach Serbien abgeschoben. Viele Menschen waren fassungslos.

Die Initiative Schlüsselmensch hat eine Petition für ein sofortiges Wiedereinreise- und Rückkehrrecht für die Familie Ametovic gestartet. Die Petition läuft noch bis zum 26.7.2015. Bisher haben etwa 7.500 Menschen unterschrieben, 32.000 Unterschriften sind das Ziel.

„99 Prozent der Bewohner des Flüchtlingwohnheims leben in einer Kettenduldung“, erklärt Lisa. Von einer Kettenduldung spricht man, wenn die Duldung regelmäßig verlängert wird.

Leonelas Familie habe bisher Glück gehabt und noch keinen Abschiebebescheid erhalten. „Sie leben trotzdem in Angst. Das sind menschenunwürdige Lebensverhältnisse.“

Info

Die Webseite der Initiative Schlüsselmensch: initiative-schluesselmensch.org

Fotos: Hanno Müller

Autoren:
Veröffentlicht am 13. Mai 2015

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