Zur Vorlesung in die Kirche? Richtig gelesen. Schon bald werden in einer Kirche Vorlesungen gehalten.

Tagtäglich überqueren ganze Fahrradfahrerscharen die Kreuzung am Friedrich-Ebert-Platz im Stühlinger, darunter auch viele Medizin-Studierende auf dem Weg in die Hörsäle und ins nahe Uniklinikum. Dabei passieren sie auch die Lutherkirche. Dieses Gebäude hat die Evangelische Kirche dem Uniklinikum Freiburg im März dieses Jahres offiziell zur Nutzung in Erbpacht überlassen.

Große Gebäude zur christlichen Selbstvergewisserung sind nicht mehr nötig, sagt Dr. Regina Schiewer, Vorsitzende der Stadtsynode des Evangelischen Kirchenbezirks Freiburg, in einer Pressemitteilung. Gründe dafür seien Veränderungen im Bereich des kirchlichen Selbstverständnisses und Handelns. Ganz im Gegensatz zur Evangelischen Kirche haben Medizinische Fakultät und Universität viel Bedarf an großen Räumen für die Lehre, daher kam das Angebot der Kirche nur gelegen.

„Die medizinische Fakultät hatte bisher keinen großen Hörsaal, in den eine ganze Jahrgangskohorte von etwa 400 Studierenden reinpassen würde“, sagt der leitende ärztliche Direktor und Vorstandvorsitzende der Uniklinik Prof. Dr. Jörg Rüdiger Siewert. In der Lutherkirche wird das kein Problem mehr sein: Bis zu 460 Plätze sollen in dem Multifunktions-Hörsaal geschaffen werden. Im Keller des Gebäudes werden außerdem studentische Arbeitsplätze und eine Bibliothek eingerichtet.

Aber nicht nur die Mediziner sollen von dem Hörsaal im ungewöhnlichen Ambiente profitieren: Da die Sanierung des Kollegiengebäudes II anstehe, habe auch die Uni großes Interesse daran, den Hörsaal mit zu nutzen, sagt Siewert. Außeruniversitäre Veranstaltungen sind in der Lutherkirche nicht geplant, seien aber grundsätzlich möglich, zum Beispiel könnten dort Kongresse stattfinden. Allerdings brauche man dafür auch Nebenflächen, diese seien in der Lutherkirche nicht vorhanden.

„Raum-im-Raum“ für das Kirchengebäude

Die Lutherkirche wurde im 2. Weltkrieg zerstört und 1952 neu aufgebaut. Welche Bausubstanz verwendet wurde, wisse allerdings niemand. Daher sollen die Wände nicht angebohrt werden – um zum Beispiel Sitzbänke anzubringen –, die Statik des Gebäudes könne dem vielleicht nicht standhalten, sagt Siewert.

Für den Innenraum haben Architekten daher eine „Raum-im-Raum“ Lösung entworfen, welche das Mauerwerk nicht belastet. Konkret heißt das, der Hörsaal wird wie ein zweiter Raum in den Kirchenraum eingepasst. Wie das aussehen wird, kann man auf dem Fotomodell erahnen. Das Außenbild der Kirche bleibt erhalten.

Die Kosten für den Einbau des Hörsaals schätzt Siewert auf drei bis vier Millionen Euro. Sollten diese Kosten nicht von Klinik und Universität getragen werden können, wird ein Sponsor gesucht. „Es kann sein, dass der Sponsor dann Ansprüche hat. Das Gebäude bleibt natürlich die Lutherkirche, aber der Innenraum könnte dann BMW- oder Mercedes-Auditorium heißen“, sagt Siewert, nicht ganz ohne Schmunzeln.

Bevor das Kirchengebäude zu universitären Zwecken genutzt werden kann, sind allerdings noch bauliche und formelle Maßnahmen nötig, zum Beispiel muss noch ein Bauunternehmen gesucht werden. Außerdem ist die Entwidmung des Kirchengebäudes in seiner Funktion als Gottesdienstraum eine Bedingung für die Nutzung. Gottesdienste werden dann nicht mehr gehalten, die Kirchenglocken sollen aber weiterhin benutzt werden.

Danach wird das Unternehmen ‚Kirche wird zum Hörsaal‘ wahrscheinlich schnell voranschreiten, denn wie Siewert bekräftigt, drängt die Zeit. Die Bauarbeiten beginnen voraussichtlich im Herbst, so dass vielleicht schon im Frühjahr 2016 die ersten Vorlesungen in der Lutherkirche gehalten werden können.

Info

Durch eine Entwidmung wird der Status einer öffentlichen Sache beendet, im Fall einer Kirchenschließung wird hierfür meist ein Gottesdienst gehalten.

Adresse Lutherkirche: Lutherkirchstraße 1, 79106 Freiburg, direkt an der Straßenbahnhaltestelle der Linie 5, Friedrich-Ebert-Platz im Stühlinger

Fotos: Kirche außen: Hanna Stern

Kirche innen: Pressestelle Uniklinik

Veröffentlicht am 29. Juli 2015