Senioren starten durch

Senioren starten durch

Im Rekordalter von 102 Jahren absolvierte Ingeborg Syllm-Rapoport im Frühjahr dieses Jahres ihre Doktorandenprüfung. Auch in Freiburg hat wahrscheinlich jeder schon einmal den Hörsaal mit Senioren geteilt – und sich vielleicht gefragt, was genau sie eigentlich an der Uni machen.

Ingeborg Syllm-Rapoport konnte ihren Doktortitel 1938 nicht ablegen, weil die Nationalsozialisten der Jüdin die Prüfungszulassung verweigerten. Doch nicht jeder Studierende im fortgeschrittenen Alter promoviert oder strebt überhaupt einen Abschluss an. Die meisten der Seniorenstudierenden hier in Freiburg sind nicht regulär eingeschrieben, sondern nehmen das Angebot eines Gasthörerstudiums wahr. Ohne Immatrikulation können dabei ausgewählte Veranstaltungen aus nahezu allen Fachbereichen besucht werden.

Neben Vorlesungen haben die Gasthörenden die Möglichkeit, an verschiedenen Seminaren und Übungen teilzunehmen. Das vielfältige Themenspektrum reicht von Platons Philosophie über Sprachkurse bis hin zu Gesundheitsmanagement. Zwar ist auch ein Vollstudium im Rahmen der üblichen Zulassungsbedingungen möglich – lediglich für das Fach Medizin gilt eine Altersgrenze von 55 Jahren. Die Mehrheit entscheidet sich aber für eine Teilnahme außer Konkurrenz. „Ich kann meinen Interessen nachgehen und die nicht so faszinierenden Dinge einfach weglassen“, freut sich Gasthörer Ulrich, der seit einiger Zeit den Ruhestand genießt, über seine Freiheiten.

Interesse an Vielfalt

Die Senioren müssen nicht den üblichen Semesterbeitrag von 145 Euro zahlen, für sie fallen 50 Euro Verwaltungsgebühr an. In jedem Semester nehmen nach Angaben des Service Center Studium 500 bis 650 Gasthörende teil, etwa zwei Drittel sind zwischen 61 und 80 Jahren alt. Für welche Veranstaltungen sich die mehrheitlich männlichen Seniorenstudierenden entscheiden, wird nicht erfasst.

Die Möglichkeit des Gasthörerstudiums ist in Paragraph 64 des Landeshochschulgesetzes festgeschrieben. Aber auch unabhängig davon hat die Uni großes Interesse daran, eine Vielfalt an Studierenden mit ihrer Lehre anzusprechen. „Natürlich begrüßen wir, dass nicht nur ‚Standard-Studierende‘ das universitäre Angebot wahrnehmen, sondern zum Beispiel auch Menschen jenseits des klassischen Studierendenalters“, sagt Christina Schoch, die Leiterin des Service Center Studium.

Bereicherung statt Generationenkonflikt

Auch wenn die jüngeren Studierenden den Senioren gerade in ohnehin schon überfüllten Vorlesungen oft ein wenig skeptisch gegenüber stehen, können besonders beim engeren Kontakt in Seminaren Vorurteile abgebaut werden. In den Diskussionen und Arbeitsgruppen profitieren beide Seiten von den unterschiedlichen Perspektiven und der vielfältigen Lebenserfahrung. Dieser rege Austausch findet auch bei den Dozierenden Zuspruch. „Die Älteren lesen oft Texte, die über den Kursinhalt hinausgehen, und die ich selbst noch nicht kenne“, bewundert Norwegisch-Dozentin Hildegunn Aarbakke die Einsatzbereitschaft der Gasthörenden.

Nicht nur für Senioren interessant

Neben den Senioren öffnet die Uni auch für viele andere Interessierte, wie beispielsweise Flüchtlinge, ihre Pforten. Die Prorektorin für Studium und Lehre, Prof. Dr. Besters-Dilger, hält dies für einen guten Weg, das hiesige Unileben kennenzulernen und die Sprachkompetenz zu vertiefen, was mit Sicherheit einen lohnenden Beitrag zur Integration leisten kann.

Auch jüngere Menschen, die sich noch nicht für ein Studium entschieden haben, nutzen das Angebot des Gasthörerstudiums. So kommt eine vielfältige Studierendenschaft zusammen, deren Mitglieder sich an den unterschiedlichsten Punkten ihres Lebens befinden.

Zwar kann die Uni nicht mit einer über hundertjährigen Doktorandin aufwarten, dafür aber mit vielen anderen Seniorenstudierenden, die den Studienalltag bereichern.

10 Dinge, die ältere Studierende niemals sagen würden

1. Ich habe den ganzen Abend prokrastiniert und konnte deshalb nicht für die Klausur lernen.
2. Meine Follower brauchen mich, ich hab keine Zeit für die Uni.
3. Ich hab mir nur schnell den Text fürs Referat durchgelesen, bin gestern noch im Bermuda-Dreieck gestrandet.
4. Siehst du die da hinten? Die kenn‘ ich von Tinder.
5. Warte, davon hab ich vorhin ‘nen Screenshot gemacht.
6. Meine Mitbewohner haben nach der Party am Wochenende immer noch nicht aufgeräumt.
7. Das hat er zumindest gestern noch bei Facebook gepostet.
8. YOLO.
9. Kein Problem, wenn der Dozent überzieht. Notfalls renne ich eben zur Straßenbahn.
10. Das kann ich immer noch machen, wenn ich alt bin.

Video

“Senioren im Hörsaal – eine Begegnung”

Seniorenstudium an der Uni [3:00 min.]

Audio

Mehr Infos

Interessiert? Das Programm des Gasthörerstudiums, weitere Informationen und das Anmeldeformular stehen hier bereit: www.weiterbildung.uni-freiburg.de

Zulassungsvoraussetzungen? Einfach anmelden – danach erhält man die Gasthörerbescheinigung per Post und kann die Veranstaltungen besuchen. Wenn nötig, erhalten die Gasthörenden auch einen Zugang zur Lernplattform ILIAS.

Über Freiburg hinaus? Der Akademische Verein der Senioren in Deutschland ist die bundesweite Anlaufstelle zum Thema Seniorenstudium. Informationen unter www.avds.de

Update Oktober 2015 zum Gasthörerstudium für Flüchtlinge

Das Gasthörerstudium der Universität Freiburg steht Flüchtlingen offen. Es umfasst neben einem umfangreichen Angebot an Veranstaltungen unter anderem die kostenlose Nutzung des Sprachselbstlernbereichs der Universität. Dort können sich die Nutzerinnen und Nutzer mithilfe von Lernmaterialien und Computerprogrammen selbstständig mit Deutsch und anderen Fremdsprachen vertraut machen. Die Universität Freiburg erlässt Flüchtlingen im Wintersemester 2015/16 die Gebühren, die derzeit 50 Euro betragen.

Zu den Angeboten und Initiativen der Uni Freiburg für Flüchtlinge:
Refugees welcome

Eine Gemeinschaftsproduktion von Lea Gerstenberger, Klara Block (Fotos), Sophie Glawe, Josephine Mackensen, Sarah Ziegler im Rahmen des Seminars „Einführung in den crossmedialen Journalismus“ für Studierende der Medienkulturwissenschaft.

Seminarleitung, Redaktion: Silvia Cavallucci, Ragna Plaehn, Horst Hildbrand.

Veröffentlicht am 1. Oktober 2015

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