Beistand auf der Balkanroute

Beistand auf der Balkanroute

Sie wollen Geld für Hilfsgüter sammeln, um damit die Flüchtlinge, die im Winter auf der Balkanroute nach Europa unterwegs sind, zu unterstützen: Balkans Relief ist eine gerade gegründete Initiative für Flüchtlingshilfe von Studierenden aus verschiedenen europäischen Ländern und den USA. Simone hat mit den Mitbegründern James und Julia, die in Freiburg studiert, gesprochen.

Hallo James, hallo Julia. Ihr habt vor zwei Wochen mit Freunden Balkan Reliefs gegründet. Mit eurer Initiative wollt ihr Flüchtlingen auf der Balkanroute helfen und benötigt dafür Spendengelder. Warum sollte man eure Initiative unterstützen?

James: Ich hatte ein Treffen mit dem Roten Kreuz in Dobova in Slowenien und habe festgestellt, dass größere Organisationen nicht so flexibel sind, wie wir. Sie haben eine große Infrastruktur, lange Entscheidungswege, sie müssen mit Regierungen verhandeln. Das alles benötigt viel Zeit, besonders in Osteuropa, wo es viel Bürokratie gibt.

Mit dem Geld, das uns zur Verfügung gestellt wird, können wir genau dort sein, wo wir gebraucht werden. Mit unserem Netzwerk aus Freiwilligen in Serbien und Mazedonien werden wir die Hot Spots und Krisengebiete identifizieren. Wir erfahren, ob es ein Mangel an Kinderkleidung oder Essen oder Decken oder Hygieneartikeln gibt. Wir wissen was die freiwilligen Helfer vor Ort genau benötigen.

Julia: Dass wir keine offizielle Organisation sind hat außerdem den großen Vorteil, dass wir sämtliches Geld für Hilfsgüter ausgeben können. Alle Verwaltungskosten und Ausgaben für Organisation werden die Freiwilligen aus eigener Tasche bezahlen. Jeder gespendete Euro und jeder gespendete Cent wird ausschließlich für existenziell benötigte Hilfsgüter verwendet.

Wie ist die Idee zu Balkans Relief entstanden?

Julia: Wir waren schon seit Wochen und Monaten sehr betroffen über die Situation – die Medien berichten darüber, manchmal kennt man Menschen die Menschen kennen, die auf der Balkanroute unterwegs sind. Der finale Moment für mich war, als ich die Talkshow „Günther Jauch“ gesehen habe in der der professionelle und sehr erfahrene Stern-Journalist Jans-Ulrich Jörges über seine Erlebnisse auf dem Balkan berichtet hat.

Er war im Flüchtlingscamp der slowenischen Gemeinde Brežice an der kroatisch-slowenischen Grenze, wohin auch James in den vergangenen Tagen gereist ist. Als Jörges über die Situation berichtete konnte er nur schwer seine Tränen zurückhalten. Er sagte er könne die Bilder nicht vergessen. Er sagte es sei die „Vorhölle Europas“. Er sprach davon, dass die Menschen nicht einmal Wasser hätten. Das war der Moment in dem ich dachte, das kann nicht sein. Nur ein paar Kilometer entfernt passiert dies, es ist nur um die Ecke, es ist Europa und diese Menschen leiden dort und wir könnten helfen, also sollten wir das auch.

Was hast du dann gemacht?

Julia: Ich nahm Kontakt zu Jörges auf, kontaktierte verschiedene Zeitungen um herauszufinden ob sich die Situation verändert hat. Vielleicht hatte sich ja durch das Medieninteresse bereits etwas verbessert. Jörges antwortete mir und sagte Hilfe sei definitiv nötig. Ich sprach mit James und der hatte bereits mit Freunden in London viel über die Situation gesprochen. Wir alle hatten das Gefühl wir müssen etwas tun – jetzt.

James: Es war der Punkt erreicht an dem wir nicht mehr nur dasitzen und darüber sprechen konnten, was wir tun könnten und wie wir es tun könnten. Also beschlossen wir es zu wagen. Wir brauchen Geld, wir brauchen eine Plan, wir müssen die Lage vor Ort begutachten, wir müssen hart arbeiten. Das haben wir jetzt gemacht.

Vor zwei Wochen habt ihr losgelegt.

James: Am 29.10. haben wir unsere Facebook-Präsenz online gestellt, ebenso die Fundraising-Seite. Und in nicht einmal zwei Wochen konnten wir 1.500 Euro sammeln. Außerdem waren wir vor Ort. Es war bisher eine sehr arbeitsreiche Zeit mit wenig Schlaf, aber es läuft gut.

James, du warst gerade auf dem Balkan. Du wolltest dir selbst ein Bild von der Lage machen?

James: Ich bin heute Nacht zurückgekommen. Es gab mehrere Gründe auf den Balkan zu reisen. Erstens wollten wir verstehen, was genau vor sich geht und wie genau wir erreichen können, was wir uns vorgenommen haben. Deshalb war das Ziel, mit Menschen vor Ort zu sprechen. Zweitens ging es darum herauszufinden, wie wir die verschiedenen Güter bereitstellen können.

Wir haben Lieferanten gefunden und werden bald veröffentlichen können, welche Hilfeleistungen für welche Geldbeträge verfügbar sind. So bekommen Spender eine Vorstellung davon, was genau mit ihrem Geld erreicht werden kann. Außerdem konnten wir Kontakte zu meist unabhängigen Freiwilligen oder Gruppen knüpfen und haben so ein Netzwerk vor Ort geschaffen. Einer unserer wichtigsten Kontakte ist die Gruppe „Are you Syrious?“, die von einem kroatischen Ehepaar im August gegründet wurde und die über vier Lagerhäuser und 150 freiwillige Helfer überall auf dem Balkan verfügen.

Wie hast du nun Situation an der slowenisch-kroatischen Grenze in Brežice erlebt?

James: Ich habe im Ortsteil Dobova am Bahnhof gearbeitet. Dort ist die Situation inzwischen einigermaßen unter Kontrolle. Das bedeutet aber immer noch, dass es schrecklich ist. Die Menschen kommen um zwei Uhr morgens an. Sie wissen nicht wo sie sind, sie haben keine wintergerechte Kleidung, kein Essen, kein Wasser. Diese Güter werden inzwischen aber hauptsächlich durch private Spenden zur Verfügung gestellt. Ich habe mit freiwilligen Helfern vor Ort bei deren Verteilung an die Flüchtlinge geholfen.

Ich habe zwar eine relativ kontrollierte Situation gesehen aber es ist hektisch, chaotisch und aufreibend für jeden vor Ort. Es kommen sechs oder sieben Züge am Tag an mit über tausend Menschen pro Zug und das ist nur ein Grenzübergang in einem Land auf der Balkanroute.

Man muss sich nur einmal die Bilder von der österreichischen Grenze anschauen um zu sehen, wie schlimm die Dinge dort laufen, um dann wiederum zu realisieren, dass dies die beste Situation ist, der die Flüchtlinge auf ihrem Weg gegenüberstehen. Überall südlich von dort sind die Umstände noch wesentlich schlechter.

Wo genau soll Balkans Relief nun helfen?

James: Große Probleme gibt es in Serbien und Mazedonien. Es gibt viele warmherzige Menschen in Westeuropa und eine Zahl von Freiwilligen, die Essen und Hilfe zur Verfügung stellen möchten. In Serbien und Mazedonien werden diese Hilfsgüter unbedingt benötigt, weil die aus Westeuropa nicht ankommen.

An den Grenzen Kroatiens endet die EU, das bedeutet die Zollvorschriften sind sehr streng. Um effektiv zu sein werden wir eine Woche vor Bereitstellung der Hilfsgüter einen definitiven Plan erstellen, wo genau es hingeht und was genau benötigt wird. Dann werden wir nach Serbien, eventuell nach Mazedonien reisen und die Güter vor Ort selbst von Lieferanten beziehen.

Wer engagiert sich außer euch beiden noch in der Initiative?

James: Wir sind ein Netzwerk von Freunden aus ganz Europa und den USA. Im Fundraising-Team sind wir knapp 20 Personen. Das Team, das auf den Balkan reisen wird ist klein, vielleicht drei oder vier Studierende. Die genaue Größe ist abhängig von der Höhe des Geldes, das unsere Unterstützer uns zur Verfügung stellen und wie viel Kapazität wir haben. Wenn die Güter dort sind, wo sie sein sollten, dann werden Freiwillige vor Ort übernehmen und die Verteilung betreuen.

Alle aus dem Team teilen einen ähnlichen Ethos. Wir sind keine professionellen Katastrophenhelfer, aber wir wissen was vor sich geht. Wir werden helfen, wo wir können.

Wie lässt sich euer Engagement mit dem Studium vereinbaren?

Julia: Da wir erst am Anfang stehen, gibt es gerade sehr viel Arbeit. Wir versuchen so viele Menschen wie möglich zu erreichen. Es ist sehr stressig, aber das ist es definitiv wert. Wir können außerdem auf ein großes Netzwerk von guten Freunden zählen, die uns unterstützen und täglich unser Vorhaben weiter tragen.

Die Hilfsgüter-Aktion soll nicht nur einmalig stattfinden. Was plant ihr für die Zukunft?

James: Dieses Thema wird uns alle weiterhin beschäftigen. Der Winter kommt. Die Menschen brauchen weiterhin lebenswichtige Güter, Essen, Kleidung, Babynahrung, Decken, Medikamente, Hygieneartikel, Wasser. Wir müssen also klug vorgehen, wenn wir uns überlegen, wie wir weiter Güter zur Verfügung stellen können. Wir müssen unseren Unterstützern berichten, was wir erreichen konnten, was passiert und was in Zukunft getan werden kann. Und hoffentlich bekommen wir Mittel um auch in Zukunft lebensrettende Hilfeleistungen bereitstellen zu können.

Infobox

Julia Winkler studiert Politik- und Islamwissenschaft an der Universität Freiburg. Sie traf James Bonham während eines Auslandssemesters in Ramallah. Er studiert an der Londoner Universität Goldsmiths Internationale Beziehungen.

Weitere Informationen und die Möglichkeit zu spenden gibt es unter folgenden Links:

www.youcaring.com/balkansrelief

www.facebook.com/balkansrelief/

Das Interview wurde auf englisch geführt und später übersetzt. Die Autorin war von der Initiative so beeindruckt, dass sie nun selbst Teil des Fundraising-Teams in Freiburg ist.

Foto: Simone Rehm
Autoren:
Veröffentlicht am 18. November 2015

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