Dunkle Tage in der Ville Lumière

Dunkle Tage in der Ville Lumière

Viele Studierende der Uni Freiburg sind gerade für ein Semester im Ausland. Neele ist in Paris. Wie sie die Attentate und die Tage danach erlebte, hat sie für uniCross aufgeschrieben.

“Als ich an diesem Abend nach Hause komme, ist der Blick aus meinem Fenster der gleiche wie immer – und doch komplett anders. Eine Woche ist es her seitdem diese schrecklichen Ereignisse Paris erschüttert haben. Der Eiffelturm, der sonst golden strahlt und mich jeden Abend daran erinnert, dass ich in meiner Traumstadt studiere, ist nur noch zu erahnen.

Ich besuche gerade eine Freundin aus Freiburg in Bordeaux. Es ist das erste Mal seitdem ich in Paris lebe, dass ich die Stadt verlasse. Eine Woche zuvor war mein vierundzwanzigster Geburtstag. Meine Mama und meine Schwester waren gekommen, um mein neues Lebensjahr mit mir zu feiern. Wir saßen im Restaurant, zogen durch die Stadt und atmeten das Leben ein. Am Dienstag ging ich noch mit Freunden auf ein Konzert, tanzte unbeschwert.

An diesem Freitag, dem dreizehnten, sitze ich bei einem Glas Rotwein mit meiner Freundin in ihrer Wohnung in Bordeaux und diskutiere über das französische Unisystem. Als ich nach dem Essen auf mein Handy schaue bin ich verunsichert: Freunde aus Paris sind an diesem Abend im Stade de France um sich das Fußballspiel Deutschland – Frankreich anzusehen. „Geht es euch, die im Stadion sind gut?“, schreibt eine Freundin in die Whatsapp-Gruppe „Parisiennes IV“. Was hat das zu bedeuten? In diesem Moment fange ich an zu googeln und sollte die ganze Nacht nichts anderes tun.

In dieser Nacht erreichen mich von überall besorgte Anrufe und Nachrichten: Statt wie noch eine Woche zuvor mir zu meinem Leben zu gratulieren, fragen Freunde, Verwandte und Familie jetzt ob noch alles in Ordnung sei. Nachdem ich endlich eingeschlafen bin wache ich mehrmals auf. Sind draußen Terroristen? Schießen sie in die Wohnung? Aus Angst wird Panik.

In den nächsten Tagen wird mir immer klarer, dass ich ich nicht mehr sicher fühle und dass ich trotz der Ereignisse meinen Traum von Paris nicht bereit bin kampflos aufzugeben.

Ich entscheide noch ein paar Tage in Bordeaux zu bleiben, abzuwarten wie sich die Situation entwickelt. Meine Freunde in Paris sind mutiger: Alle haben beschlossen in Paris zu bleiben. Einige waren schon auf dem Weihnachtsmarkt. Sie gehen abends aus in Clubs zum Feiern. Ob sie keine Angst haben? Nein, sie sind sehr betroffen, aber Angst spüren sie nicht.

Auch die Pariser zeigen keine Angst. Die Uni geht ganz normal weiter. Keiner spricht das, was passiert ist, an. In einer Gruppenarbeit sollen wir eine Filmszenen erarbeiten. Die anderen lachen, machen Scherze. Ich lache mit, auch wenn ich innerlich lieber weinen möchte.

Die Pariser erlebe ich in diesen Tagen als sehr stark. Das macht Mut und hilft. Und doch die Metros sind leerer als sonst. Die Menschen schweigen. Zwei junge Männer sitzen eng beieinander. Einer hat seinen Kopf auf die Schulter des anderen gelegt. Er beginnt lautlos zu weinen. Der andere nimmt ihn in den Arm und tröstet ihn.

Liebe ist stärker als Hass. Und wer liebt ist frei. Solange es Liebe und Freiheit gibt – wird es auch Hass und Terror geben. Aber die Pariser zeigen, dass sie weiter leben. Lieben. Tanzen. Das Leben genießen. Und ich hoffe mehr denn je, dass ich es ihnen nach tun kann.”

Neele studiert Frankomedia und verbringt gerade ein Auslandssemester in Paris.


Foto: privat

Veröffentlicht am 24. November 2015

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