Um Mitternacht im Hörsaal

Um Mitternacht im Hörsaal

Wie sich Beschimpfungen in Poesie verpacken lassen, was eine Zahn-OP und das Werkeln im Baumarkt gemeinsam haben und wie Professoren ihren Spieltrieb ausleben – all das konnten die Besucherinnen und Besucher der ersten Freiburger „Langen Nacht der Universität“ am 18. November 2015 lernen.

Die ganze Nacht? Die Bestürzung ist groß als wir unseren Freunden von unserem Vorhaben erzählen, die Nacht im Hörsaal zu verbringen und jede Stunde bis morgens um 7 Uhr einer anderen Vorlesung zu lauschen. Warum wir uns so etwas antun wollen. Ob wir am nächsten Tag nicht zur Uni müssen. Und Kissen sollen wir mitnehmen, schließlich tue einem schon nach einer normalen Vorlesung im Audimax der Hintern weh.

Wir lassen uns nicht abschrecken und sind am Mittwochabend pünktlich um 18.30 Uhr bei der ersten Vorlesung. Ausgerüstet mit Kissen, Cola und Gehirnfutter in Form von Keksen sind wir bereit für 12 Stunden Horizonterweiterung.

Zu Beginn des Abends ist die Motivation groß: Das Audimax ist gut gefüllt, das Publikum breit gefächert. Ein älteres Ehepaar erzählt, dass es auf dem Heimweg vom Theater noch schnell vorbeischauen wollte. Es sind Schülerinnen und Schüler da, die den ‚Tag der Offenen Tür’ an der Uni besuchten und ihn einfach bis in die Nacht ausdehnen.

Lena, Schülerin am Walter-Eucken-Gymnasium, sagt: „Ich bin hier, um Eindrücke zu sammeln und zu sehen, welche Studienfächer später für mich interessant sein könnten.“ Einige Studierende sind wegen bestimmter Dozierender gekommen, einige aufgrund eines bestimmten Themas. Wieder andere legen einen kurzen Zwischenstopp ein, bevor es in die nächste Bar geht.

Einblick in verschiedenste Fachbereiche

Bei der “Langen Nacht der Universität” steht die Interdisziplinarität im Vordergrund. Sie bietet eine Möglichkeit „über den Tellerrand hinauszuschauen“, wie es Prorektor Prof. Dr. Gunther Neuhaus in seiner Begrüßung betont. Es geht darum, einen Einblick in verschiedene Fachbereiche und Denkanstöße über sein eigenes Studium hinaus zu bekommen.

Die Dozierenden halten Vorträge aus den Bereichen ihrer Paradedisziplinen. Und es gibt einiges zu lernen: Prof. Dr. Dr. Rainer Schmelzeisen aus dem Fachbereich Zahnmedizin weist in seinem Vortrag „Schöne Gesichter: Von der Forschung in die (Gesichts¬)Chirurgie“ darauf hin, dass es in Behandlungszimmern von Zahnärzten nicht viel anders zugeht als in manchem Baumarkt. Sein anschauliches Bildmaterial von zahnmedizinischen Operationen löst beim ein oder anderen im Publikum einen verzerrten Gesichtsausdruck aus.

Dr. Anne Holzmüller aus dem Fachbereich Musikwissenschaften bringt ein wenig Opernstimmung in den Hörsaal, als sie von „Der iPod Culture und ihrem Wert für die historische Musikwissenschaft“ erzählt. Um Mitternacht wird es gruselig: Alexander Heinemann aus der Archäologie spricht über „die untote Antike im Spiegelkabinett des Unterhaltungskinos“.

Power Point- Karaoke zum Mitmachen

Ob es an Heinemanns schaurigen Filmausschnitten oder doch an der späten Stunde liegt – ab Mitternacht beginnt sich der Hörsaal zu leeren. Prof. Dr. Karl Justus Bernhard Neumärker freut sich aber, dass der „Hardcore-Kern“, wie er es nennt, noch da ist und versucht voller Begeisterung, uns den „Neuen Ordoliberalismus“ näherzubringen. Spätestens jetzt lässt auch bei uns die Konzentration nach.

Der Gratis-Kaffee, der ein Stockwerk höher angeboten wird, kann da ein wenig Abhilfe schaffen. Für Energie sorgen darüber hinaus belegte Brötchen, Waffeln, Kuchen und Crêpes.

Um 4 Uhr morgens ist es dann Zeit für eine kleine Überraschung: PowerPoint-Karaoke! Freiwillige aus dem Publikum versuchen, ihnen unbekannte PowerPoint-Folien zu erklären. So probieren sich Geisteswissenschaftler an Themen aus den Naturwissenschaften und umgekehrt. Das war im Programm zunächst nicht vorgesehen. “Wir wollten eigentlich alle Slots vollkriegen mit Dozierenden”, sagt Tanja, eine der drei Organisatorinnen. Als dies nicht möglich war, entschieden sie sich dazu, das Publikum in die Veranstaltung miteinzubeziehen. Wir finden: Ein bisschen Abwechslung zu den frontal gehaltenen Vorträgen tut gut!

Endspurt mit Prügel-Poesie und Bauklötzen

Bei Prof. Dr. Harald Hillebrecht aus dem Fachbereich Chemie lernen wir, dass auch Professoren einen ausgeprägten Spieltrieb besitzen. Hillebrecht lebt diesen morgens um 5 Uhr aus, indem er mit Bauklötzen „spielt“ und es damit schafft, uns einige wichtige Chemiegrundlagen zum Thema „Symmetrie“ zu vermitteln.

Als Alexander Estis um 6.15 Uhr mit dem letzten Vortrag beginnt, sind Publikum und Aufnahmefähigkeit dünn gesät. Doch sein Vortrag über „Schimpftliteratur (nicht nur) des Mittelalters“ reißt uns aus den Gedanken an das Bett zu Hause. Hier eine kleine Kostprobe des Spruchdichters Kelin, frei übertragen von Alexander Estis: „Ein Affe, eine Rotznase, ein Narr, ein Rindvieh, das bist du, und zudem völlig blind.“

Das Thema der Vorlesung hat Estis ganz bewusst gewählt: “Es ging darum etwas zu finden, das auch möglichst einprägsam ist für ein Publikum, das es nicht gewohnt ist, sich mit philologischen Problemen auseinanderzusetzen. Wenn man sich die Schimpfliteratur einmal ansieht, existieren eben sehr viele gepfefferte und witzige Stücke und darum habe ich das Thema einfach als richtig empfunden, auch um die Leute aufzuwecken.”

Die Veranstalterinnen hoffen auf eine zweite Lange Nacht

Die drei Hauptorganisatorinnen Daniela, die Chemie studiert, Ute, die Biologie studiert sowie Soziologie- und Philosophie-Studentin Tanja sind zufrieden mit der „Langen Nacht“: “Es gab sehr interessante Vorträge, die Dozenten waren alle sehr begeistert und haben die Begeisterung auch rübergebracht. Ich persönlich habe viel daraus mitgenommen!”, sagt Tanja, die die „Lange Nacht“ auch moderierte.

Eine zweite „Lange Nacht der Universität“ ist im Gespräch. Da die Organisatorinnen nächstes Jahr schon ihren Abschluss machen, hoffen sie auf Studierende, die die „Lange Nacht“ weiterführen.

Und wir hoffen mit ihnen. Denn auch wenn unser Sitzfleisch nach der langen Nacht beinahe taub ist und wir uns sehnlichst ins gemütliche Bett wünschen, hat es sich gelohnt! Die „Lange Nacht der Universität“ hat gehalten was sie versprochen hat: Einen Blick über den eigenen Hörsaal hinaus.

Und so war die “Lange Nacht”

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Interview mit den Veranstalterinnen: Kaffe und gute Dozierende

Fotos: Farina Kremer & Jessica Kiefer

Veröffentlicht am 27. November 2015

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