Die Fastnacht als Lebensgefühl

Die Fastnacht als Lebensgefühl

Unsere Tutorin Samantha hat sich in die Fastnacht verabschiedet. Sie ist Mitglied der Narrenzunft Schwenningen und freut sich das ganze Jahr über auf die fünfte Jahreszeit. Jessica hat mit Samantha über ihre Begeisterung für den Brauch, Narrenhäser und Vorurteile gesprochen. Außerdem: Fastnacht oder Karneval?

Seit 22 Jahren ist Samantha in der Schwenninger Narrenzunft aktiv. Ihre Mutter ist damals, als sie fünf Jahre alt war, mit ihr und ihrer Schwester eingetreten. Seither ist Samantha eine der „Fastnachtsverrückten“, wie sie es selbst beschreibt.

samantha

Samantha ist Fasnetsfan.

Samantha, ist deine ganze Familie in der Zunft aktiv?

Ursprünglich waren es meine Mutter, meine Schwester und ich, die als Moosmulle gelaufen sind. Die Moosmulle gibt es seit 1971 und wird nur von Frauen getragen. Beschützt wird sie von den drei Mooshexen.

Heute bin nur noch ich übriggeblieben. Ab und zu packt es meine Mutter aber doch, dann ist sie ganz närrisch und läuft den kleinen Umzug in Schwenningen mit.

Meine Schwester läuft schon lange nicht mehr mit. Mein Vater kann das alles gar nicht nachvollziehen und versucht sich meistens vor uns und dem ganzen Fastnachtstrubel zu verstecken.

Mein Opa hat die fünfte Jahreszeit geliebt. Er war auch in der Narrenzunft Schwenningen als Schantle, der „schändliche Kerl“, aktiv und außerdem in zahlreichen Vereinen in Schwenningen sozial sehr engagiert. Er und seine Freunde haben mich oft als Kind auf die Fasnet mitgenommen, das war immer etwas ganz Besonderes und ich habe viele tolle Erinnerungen an diese Zeit. Heute laufe ich im Häs meines Opas, das ist eine große Ehre und erfüllt mich natürlich mit Stolz.

Wie läuft der Beitritt in eine Zunft ab?

Der Beitritt an sich ist eigentlich ganz einfach, zumindest bei uns in der Narrenzunft. Man muss nur ein Formular ausfüllen, unterschreiben und eben jedes Jahr den Mitgliedsbeitrag bezahlen.

Gibt es nicht so etwas wie Aufnahmerituale?

Ein Aufnahmeritual gibt es bei uns in der Narrenzunft nicht. Allerdings kenne ich das von anderen Zünften, die ihre neuen Mitglieder „taufen“. Man bekommt dann meistens einen verrückten Spitznahmen und gelegentlich muss man als neues Mitglied eine Art Aufnahmeritual über sich ergehen lassen. Wie das aber letztlich aussieht, hängt von der jeweiligen Zunft ab.

Was begeistert dich an der Fastnacht?

Die Fasnet kommt genau zur rechten Zeit, nämlich dann, wenn langsam der Winterblues einsetzt und das ganze Grau zu nerven beginnt.

Ich finde es schön zu sehen, wie die Stadt in eine Art Ausnahmezustand fällt und die Menschen ihren fest verplanten und oft stressigen Alltag zurücklassen, um sich des Lebens zu freuen. Denn ähnlich wie damals beim Sommermärchen in Deutschland rücken die Menschen in dieser Zeit etwas näher zusammen und es spielt keine Rolle mehr, ob man alt oder jung, reich oder arm ist, denn alle feiern gemeinsam.

Außerdem ist es die einzige Zeit im Jahr, in der man ausgelassen zu Schlagermusik tanzen darf ohne gesellschaftlich geächtet zu werden.

Manche Menschen sind der Meinung, Fastnacht sei eine Ausrede, um sich daneben benehmen zu können. Was hältst du davon?

Ich denke, das Vorurteil kommt nicht von ungefähr, aber auch hier wird leider, wie viel zu oft in unserer Gesellschaft, zu sehr generalisiert.

Sicherlich gibt es Personen, die die Fasnet nur als Anlass dafür nehmen, übermäßig viel Alkohol trinken zu können. Ich möchte auch nicht behaupten, dass die Fasnet ein Fest der Abstinenz ist. Aber im Großen und Ganzen sind es einzelne Personen, die negativ aus der Masse hervorstechen und solche Vorurteile bestätigen.

Gerade als Hästräger hat man eine Verantwortung seinem Verein gegenüber. Sobald man ein Häs trägt steht nicht mehr das Individuum im Fokus, sondern die närrische Figur, die man darstellt. Und wenn man sich als Hästräger danebenbenimmt, wird das eben häufig gleich auf die ganze Zunft oder gar die ganze Fasnet übertragen. Das ist nicht nur rufschädigend, sondern kann sogar das Fortbestehen von Zünften und Fasnetsbräuchen maßgeblich bedrohen.

Der Schantle, der "schändliche Kerl", dessen Maske schadenfroh lächelt.

Der Schantle, der “schändliche Kerl”, dessen Maske schadenfroh lächelt.

Das Häs besteht aus Kostüm und Maske, die man sich selbst besorgt.

Ich besitze mehrere Häser. Eines ist das Schantle Häs von meinem Opa und das andere ist mein Moosmulle Häs. Von den Moosmulle Häsern haben wir inzwischen eine kleine Sammlung Zuhause hängen, anhand derer man mein Wachstum verfolgen kann. Unsere ersten Häser hat meine Mutter sogar selbst genäht.

Schon seit einer Weile spare ich auf ein weiteres Häs, nämlich den Schwenninger Hansel, ein handbemalter Weißnarr, der wunderschön ist.

Grundsätzlich kann sich jeder, der Mitglied der Narrenzunft ist, ein Häs kaufen. Manche Häser sind allerdings so beliebt, dass deren Verteilung durch die Zunft geregelt wird und man sich erst eine Genehmigung einholen muss.

Ein Häs kostet schnell mal mehrere tausend Euro. Warum investiert man so viel Geld in die Verkleidung?

Darüber habe ich mir noch nie so explizit Gedanken gemacht, da die Fasnet seit meiner Kindheit fester Bestandteil meines Lebens ist und es für mich nie eine andere Option gab.

Vielleicht kann man die Fasnet als Hästräger auch als Lebensgefühl betrachten. Durch die Freude, die sie einem jedes Jahr aufs Neue bereitet, rücken die Kosten für das Ganze eher in den Hintergrund.

Außerdem kauft man sich ja nicht jedes Jahr ein neues Häs, viele werden über Generationen weitergegeben.

Was geht für dich während der Fastnacht gar nicht?

Aus meiner Sicht sollten Personen, die sich bewusst daneben benehmen wollen, doch lieber zuhause bleiben und ein gutes Buch lesen.

Was aber weder an der Fasnet noch zu irgendeiner anderen Zeit in unserer Gesellschaft akzeptiert und geduldet werden darf ist Rassismus, Diskriminierung und Gewalt sowohl allgemein als auch ganz konkret auf aktuelle Ereignisse bezogen.

Ich bin der Meinung, dass gerade die Fasnet die perfekte Zeit ist, um Vorurteile über Bord zu werfen, scheinbar unüberbrückbare Differenzen zu überwinden und eine Willkommenskultur zu leben. Vor allem, was die letzten Ereignisse in Villingen-Schwenningen betrifft, wie das Werfen einer Handgranate auf eine Flüchtlingsunterkunft, wünsche ich mir nichts sehnlicher, als eine friedvolle und „glückselige Fasnet 2016!“

Info

Auf der Website der Schwenninger Narrenzunft findet ihr die Beschreibung der Figuren

Das Moosmulle
Die Mooshexe
Der Schantle
Der Hansel
Der Hölzlekönig

Mehr über die Zunft erfahrt ihr auf der Website www.nz-schwenningen.de

Fastnacht oder Karneval? Wie heißt es denn nun?

In Deutschland gibt es zwei Ausprägungen fastnächtlichen Feierns: Die schwäbisch-alemannische Fastnacht, auch Fasnet genannt und den rheinischen Karneval.

Beide Formen gehen auf die landwirtschaftlichen Übergangsriten vom Winter zum Frühling zurück. Ihre entscheidende Prägung erhielten Fasnacht und Karneval im Mittelalter als letzte Möglichkeit, vor der Fastenzeit nochmals üppig zu essen und zu trinken und ausgelassen zu feiern.

Die romanische Bezeichnung „Karneval“ entstand aus dem Ausdruck „carnis levamen“ (= Wegnahme des Fleisches), die germanische Benennung „Fastnacht“ meint den Vorabend der Fastenzeit.

Durch den kirchlichen Gedanken, dass die Fastnacht im Gegensatz zur Fastenzeit eine gottferne Zeit sei, in welcher der Teufel los ist, kamen zunächst Teufelsfiguren auf. Mit der Zeit trat an die Stelle des Teufels mehr und mehr die Figur des Narren. Bis heute haben sich Festelemente wie Schellen, Fuchsschwänze und Hahnenfedern gehalten.

Der rheinische Karneval in Köln als bürgerlich gesittete Fastnacht kennzeichnet sich durch aufwändige Umzüge, die häufig unter einem aktuellen Motto stehen. Im schwäbisch-alemannischen Gebiet hingegen setzten sich die Formen der früheren Fastnacht mit Holzmasken und Totalverkleidung durch.

Als Auftakt der närrischen Tage gilt allgemein der Donnerstag vor Fastnacht, in Süddeutschland als “Schmutziger Donnerstag” bezeichnet, im Rheinland auch mit dem Namen “Weiberfastnacht” belegt. Einen weiteren Höhepunkt bilden die letzten beiden Tage vor dem Aschermittwoch, der Rosenmontag und der Fastnachtsdientag, an dessen Abend die Fastnacht vielerorts symbolisch verbrannt wird. Am Aschermittwoch, dem Beginn der Fastenzeit, kehrt wieder Ruhe ein.

Interview: Jessica Kiefer
Quelle Fastnacht / Karneval: Onlineportal Folklore Europea: Feste und Bräuche in Euorpa der Uni Freiburg
Fotos: privat
Veröffentlicht am 4. Februar 2016

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