Auf den Ernstfall vorbereiten

Auf den Ernstfall vorbereiten

Skitouren und Abfahrten im freien Gelände werden immer populärer. Doch die Gefahren in alpinem Gelände abseits der Pisten werden häufig unterschätzt. Aus diesem Grund bietet der AHS in seinem Winterprogramm „Lawinenverschüttetensuche“-Kurse an. Sabina war dabei.

Stille, ein atemberaubendes Bergpanorama, keine Lifte, keine Menschenmassen – nur unberührter Schnee. Was beim Tourengehen als Traum anfängt, kann von einem Moment zum anderen durch ein lautes „Wumm“ zum Albtraum werden. „Wer einmal miterlebt, wie eine Lawine losgeht, vergisst das nie mehr“, sagt Tobias Mathow. Er ist Förster und leitet Skitouren und Lawinenverschüttetensuche (kurz LVS)-Kurse des Allgemeinen Hochschulsports (AHS). „Das Risiko wird häufig einfach unterschätzt.“

Auch im Schwarzwald ist dieses Risiko sehr real. So kamen dort im Januar 2015 zwei Menschen bei Lawinenabgängen ums Leben. Wie wichtig ein gutes Risikomanagement ist, sollen Teilnehmende bei den sogenannten Lawinenverschüttetensuche-Kursen des AHS vermittelt bekommen. Während eines Theorieabends und eines Praxistags im Schnee lernen wir die systematische und effiziente Verschüttetensuche mit dem LVS-Gerät kennen.

Das handgroße LVS-Gerät ist bei der Suche nach Verschütteten unabdingbar. Tourengehende sollten deshalb immer ein solches Gerät bei sich tragen. Es kann sowohl Signale zur Suche senden als auch empfangen und hilft dadurch im Ernstfall Suchenden, Verschüttete schneller zu finden. Anhand dieser Signale findet die Ortung möglicher Verschütteter in einer Lawine statt. Neben dem LVS-Gerät sind eine Schaufel und eine Lawinensonde für die Suche von Verschütteten unabdingbar. Die Lawinensonde lässt sich wie eine Zeltstange zusammengepackt gut transportieren und im Notfall schnell aufbauen.

Die richtige Vorbereitung ist wichtig

An dem Theorieabend des Kurses lernen wir jedoch nicht nur die Geräte der Verschüttetensuche kennen. Schnell wird klar, dass eine gute Vorsorge schon mit der Wahl des Geländes, dem Einsehen aktueller Berichte zur Lawinengefahr und Kenntnissen über Lawinen beginnt. Denn zu einem Ernstfall sollte es am besten gar nicht kommen. Viele der Studierenden haben schon vor Kursbeginn Skitouren gemacht und sind nun überrascht, wie schnell die Lage unterschätzt werden kann. „Der Wunsch, die ersten Spuren in eine unberührte Schneefläche zu machen, ist oft größer“, sagt Tobias. Dabei werden Alarmsignale wie Fernauslösungen, spontane Lawinenabgänge oder Risse beim Betreten der Schneedecke häufig übersehen.

Sollte es zum Ernstfall kommen, ist es wichtig, trotz des ersten Schocks einen kühlen Kopf zu bewahren und zu beobachten: Wo wurde die Lawine ausgelöst? In welche Richtung ging sie? Wo ist die Person oder sind Personen verschwunden? Haben sie etwas verloren? Schaut vielleicht ein Körperteil aus den Schneemassen heraus? So können Verschüttete anschließend schnell und systematisch geborgen werden.

Routine für den Ernstfall

Einen solchen Ernstfall üben wir während des Praxistags im Schnee. Wir sind im Zastlertal hinter Oberried, es ist kalt und der Winter hat in den letzten Tagen eine 30 Zentimeter dicke Schneedecke auf die Wiese gezaubert. Noch liegt sie ruhig und friedlich dar, nur zwei Stunden später werden wir sie komplett zerwühlt haben. Doch zuerst erklärt Tobias, wie die Suche in der Praxis funktioniert. Gibt es nach Lawinenabgang keine optischen Hinweise auf den oder die Verschütteten, wird der betroffene Bereich systematisch nach dem Signal des LVS-Geräts, das die verschüttete Person am Körper trägt, abgesucht. Wurde ein Signal empfangen, nähert man sich diesem bis auf zehn Meter. Danach wird mit dem Gerät auf dem Boden ein Feld von etwa einen auf einen Meter ermittelt und markiert. Diese Stelle suchen wir mit der Lawinensonde systematisch ab. Dabei ermitteln wir auch, wie tief die verschüttete Person liegt. „Die Person sollte innerhalb von eineinhalb Minuten gefunden werden, denn das Graben macht unter Umständen wirklich Arbeit“, sagt Tobias.

Beim Überleben zählen die ersten 15 Minuten. Solange reicht einer verschütteten Person im Durchschnitt der Sauerstoff zum Atmen. Viele sterben in einer Lawine jedoch auch an mechanisch verursachten Verletzungen. Bei all dem Spaß, den die Suche in Kleingruppen nach dem im Schnee vergrabenem LVS-Gerät bringt: Diesen Aspekt darf und kann man nicht vergessen.

Immer und immer wieder werden die Geräte versteckt, wir suchen, orten und bergen das LVS-Gerät. „Wir machen das so oft, damit ihr euch im Ernstfall an diesem Schema entlanghangeln könnt. Dann könnt ihr jeden Schritt einzeln abhaken und habt einen kleinen Erfolg nach dem anderen“, sagt Tobias.

Jede Sekunde zählt

Nach der Mittagspause spielen wir zu siebt szenarisch einen Lawinenabgang durch. Wir müssen uns selbst organisieren. Wer übernimmt die Leitung? Wer setzt einen Notruf ab? Wer sucht? Wer baut Sonden und Schaufeln zusammen? Wir wissen nicht, wie viele Verschüttete es gibt. Drei Zweierteams mit je einer Person mit dem LVS-Gerät und einer Person mit Schaufel und Sonde laufen systematisch das Feld ab. Die Zeit läuft. Wir rennen den Hang hinauf, nach 20 Metern durch den tiefen Schnee fangen die Lungen an zu brennen, die Beine werden schwerer. Dann ist ein Signal gefunden: 32 Meter, 20 Meter, 10 Meter, jetzt sind wir auf den Knien und grenzen ein Feld von einem auf einen Meter ab. Stelle markieren, sondieren, graben. Das LVS-Gerät ist gefunden. Auch die anderen Teams haben jeweils ein Gerät geborgen. Noch einmal laufen wir das Feld auf der Suche nach möglichen weiteren Verschütteten ab. Nach zehn Minuten haben wir das Feld komplett abgesucht und insgesamt drei „Verschüttete“ geborgen. Wir freuen uns über den Erfolg. Doch dann heißt es wieder: Augen schließen, die LVS-Geräte werden versteckt und wir suchen sie von neuem.

Am späten Nachmittag sind alle müde, kalt ist niemandem mehr. Ob er selbst schon einen Ernstfall erlebt habe, frage ich Tobias Mathow auf der Heimfahrt. „Ich selbst glücklicherweise noch nicht, aber Bekannte von mir schon“, antwortet er. Alle sind sich einig, dass sie hoffen, die neugelernten Fertigkeiten in der Praxis nie werden anwenden müssen.

Der LVS-Kurs in der Bildergalerie (weitere Infos zum Skitourengehen gibt es unter der Galerie)

Info

Unter Skitourengehen versteht man das Besteigen von Bergen auf Skiern sowie die anschließende Abfahrt abseits präparierter Skipisten. Tourenski sind einem normalen Abfahrtsski sehr ähnlich. Sie besitzen eine Bindung, die sich für den Aufstieg an der Ferse öffnen lässt. Zusätzlich werden für den Aufstieg bestimmte Aufstiegsfelle an der Unterseite des Skis angebracht, die ein Abrutschen verhindern.

Der AHS bietet in seinem Winterprogramm neben LVS-Kursen auch Skitouren für Einsteiger und Fortgeschrittene an. Die Kurse finden in der Schweiz, bei guten Schneeverhältnissen aber auch im Schwarzwald statt.

Tourenski, Stöcke, Felle, LVS-Gerät, Schaufeln und Sonden können beim AHS ausgeliehen werden.

Aktuelle Lawinenlageberichte

gibt es hier:
Europaweit: avalanches.org
Lawinenwarndienst Bayern: lawinenwarndienst-bayern.de
Deutscher Alpenverein: alpenverein.de
Schweizer Lawinenbulletin: slf.ch

Fotos: Sabina Kist
Autoren:
Veröffentlicht am 9. Februar 2016

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