“Lyrik ist Freiheit”

“Lyrik ist Freiheit”

Lyrik klingt irgendwie … alt, verstaubt, nach Vergangenheit. Ein Trugschluss, denn auch heute erfreuen viele Lyrikerinnen und Lyriker ein großes Publikum. Einer davon ist Felix Schiller. uniONLINE hat mit ihm gesprochen.

Hallo Felix, du hast gerade neue Texte in dem Lyrikband “Lyrik von JETZT 3” veröffentlicht. Was ist Lyrik für dich?

Lyrik ist Freiheit. Für mich ist Lyrik im Moment die literarische Gattung, in der am meisten möglich ist und sich dadurch die einzelnen Texte sehr stark voneinander unterscheiden.

Für mich steht die rhythmisierte, musikalische Sprache im Vordergrund. Das würde ich aber nicht als objektive Antwort für jeden setzen wollen, denn es gibt gegenwärtig Leute, die überhaupt nicht rhythmisch schreiben und das kann trotzdem sehr gute Lyrik sein.

Lyrik kommt aus dem Griechischen und bedeutet “zum Spiel der Lyra gehörend”. Was macht gute Lyrik aus?

Für mich funktioniert Lyrik gut, wenn sie mich zum Denken anregt, wenn sie mich überrascht und wenn sie in mir eine Ahnung von Zusammenhängen klingen lässt. Naturlyrik zum Beispiel stellt klassischerweise das Verhältnis von Mensch und Natur, Einsamkeit und Überwältigung dar. Sowas finde ich gut, aber ich mag eher Lyrik, die sich in den gesellschaftlichen Diskurs stellt, die mit Vokabular arbeitet, mit dem wir uns sowieso die ganze Zeit unterhalten. Die versucht, gesellschaftliche Themen lyrisch produktiv zu machen.

Inwieweit zählen Songtexte, Englisch “lyrics”, wirklich zur Lyrik?

Ich finde, es gibt Songtexte, die unglaubliches lyrisches Potential haben. Das würde ich daran festmachen, wenn sie überraschende, schöne Bilder bringen. Ich denke, dass viele HipHop-Texte wirklich lyrisches Potential haben, “Ruhrpott-AG” etwa, die mit ganz vielen dunklen Metaphern arbeiten.

Daran anschließend, ist jedes Gedicht gleich Lyrik?

Ich glaube, dass das viele Leute noch koppeln, was auch völlig okay ist, weil die Gattung das in ihrer Tradition hervorgerufen hat. Ich bezeichne mich aber lieber als Lyriker statt als Dichter oder Poet. Das sind beides Worte, die so eine metaphysische Schwere mit sich tragen und das möchte ich eigentlich aus meiner Lyrik komplett raushalten.

Ich sage lieber Lyrik weil es von Lyra kommt, vom Gesang, von der Laute. Das trifft es für mich besser, weil ich das Musikalische wichtig finde, die rhythmisierte Sprache. Ich finde, es ein großes Kompliment, wenn die Leute sagen “Deine Texte fetzen“ oder „Deine Texte sind ein bisschen wie Rock’n’Roll”.

Kann man Lyrik lernen?

Das Schreiben oder das Lesen?

Das Lesen? Muss man Lyrik lesen lernen?

Ich finde problematisch, was in der Schule läuft. Dass man an Texte rangeht und sagt, es gibt da einen, vom Autor verschlüsselten Subtext, den man herausdestillieren muss, mit Methoden, die man erst lernen muss. Das finde ich unfassbar schrecklich.

Und das Schreiben?

Wenn man von Lyrik fasziniert ist, dann ist es sehr leicht, einfach loszuschreiben. Dieser Schritt ins Schreiben ist nicht so eine große Veränderung gegenüber dem Lesen. Man bewegt sich sozusagen im gemeinsamen poetischen Raum mit dem, was man liest und das denkt man einfach irgendwie weiter.

An wen oder was denkst du beim Schreiben?

Ich denke nicht an einen idealen Leser. Ich denke daran, ob es dem Idealbild, was ich von Texten habe, nahe kommt. Das Schreiben auch viel Aufarbeitung von Gefühlen. Eine Sprache zu finden für die Trauer, Verzweiflung und andere Gefühle, auch Freude, Lebensglück, das steht bei mir ganz klassisch im Vordergrund. Wenn sich Emotionen über Text übertragen, ist das das Tollste, was Texte hervorrufen können.

Wie bist du zur Lyrik gekommen?

Ich habe schon in der Schulzeit viel Lyrik gelesen, danach habe ich Literaturwissenschaften studiert und einfach weiter gemacht.

2010 haben zwei Kommilitoninnen, Ann-Christin Bolay und Carolin Löher, und ich zusammen mit dem Literaturbüro die zwischen/miete gegründet, eine Lesungsreihe in WGs. Dafür habe ich viele Lyriker getroffen, viele junge Lyriker gelesen, auch um zu wissen, wen wir einladen.

Und dann war das so ein Mischmasch aus Input von fremden Texten, sowieso drin sein in der poetischen Sprache und eben der Wunsch, selbst etwas von dem, was einem gerade durch den Kopf schwirrt, in diese kurze Form zu bringen.

Die zwischen/miete gibt es immer noch, wie ist das Projekt weitergegangen?

Wir haben sie 2013 an jüngere Leute abgegeben, nachdem wir gemerkt hatten, dass von uns nicht mehr so die Energie kommt. Die haben die Reihe nochmal weiterentwickelt. Erst letztens war eine Lesung mit Shida Bazyar, der Autorin von “Nachts ist es leise in Teheran”, bei der bestimmt 120 Leute waren.

Hast du in deinen Gedichten eine Botschaft an die Lesenden?

Ich fürchte, dass ich die habe, ich hätte sie aber gerne nicht. Ich finde, es macht meine Texte schlechter, dadurch, dass das noch im Hintergrund mitschwingt. Eigentlich würde ich lieber ein bisschen experimenteller arbeiten, allerdings geht da, finde ich, ganz viel verloren, von dem, was Lyrik für mich kann, nämlich ein Wissensspeicher, ein Kulturspeicher zu sein. Also in ganz kurzer, prägnanter Form ein gewisses Wissen über die Welt oder Erfahrungen zu konservieren.

Es gibt ganz viele Lyriker, die genau das überhaupt nicht wollen, aber für mich spielt es noch eine Rolle. Den Versuch, Emotionalität zu transportieren, möchte ich nicht aufgeben, allerdings möchte ich auch, dass man sich zurechtfindet im Gedicht und dieses nicht nur kontextlose Bilder aneinanderreiht.

Manche Leute sagen, Lyrik heutzutage sei „pseudo-deep“. Was sagst du dazu?

Das finde ich eine spannende Aussage! Kann schon sein. Andererseits finde ich, dass die Lyrik einer der wenigen Räume in der Gesellschaft ist, wo so etwas wie “Deepness” überhaupt möglich ist. Ich glaube, dass das, was die meisten Leute in der Lyrik suchen, genau eine Form dafür ist, sich “deep” mit Sachen auseinandersetzen zu können.

Manchmal steht dabei wirklich die Pose im Vordergrund. Es gibt sicherlich sehr junge Leute die dann sagen, „Ich bin jetzt Poet“ oder „Ich schreibe jetzt Lyrik“, um sich abzusetzen von anderen jugendlichen Subkulturen. Insofern gebe ich der Aussage schon Recht, aber es stimmt natürlich nicht bei sämtlicher Lyrik.

Außerdem kommt die Aussage “pseudo-deep” aus einer hierarchischen Position, im Sinne, der oder diejenige weiß, was heutzutage “deep” ist und was nicht. Also wenn er oder sie mir sagen kann, was wirklich “deep” ist und wie man es vermeidet, “pseudo-deep” zu sein, dann fände ich das sehr spannend.

Infos

Felix Schiller studierte Geschichte, Philosophie und Germanistik auf Lehramt in Freiburg. Er war Mitbegründer und von 2010 – 2013 Mitorganisator der Lesereihe zwischen/miete in Freiburger WGs und 2014 Finalist beim “open mike – Internationaler Wettbewerb junger deutschsprachiger Lyrik und Prosa”.

Seine neusten Texte veröffentlichte er 2015 in “Lyrik von Jetzt 3”. In dem von Max Czollek, Michael Fehr und Robert Prosser herausgegebenen Lyrikband finden sich Werke der Gegenwartslyrik von jungen Autorinnen und Autoren aus Deutschland, Österreich und der Schweiz.

Foto: Katharina Krumpholz
Veröffentlicht am 10. März 2016

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