Hilfe in Freiburg

Hilfe in Freiburg

Die religiöse Gruppe der Jesiden wird von der Terrorgruppe „Islamischer Staat“ im Nordirak verfolgt, misshandelt und ermordet. Das Staatsministerium Baden-Württemberg reagierte und hat 1.000 traumatisierte jesidische Frauen und Kinder aufgenommen, 200 von ihnen werden in Freiburg psychosozial betreut.

Jesidische Männer werden vom IS umgebracht, Kinder und Frauen verschleppt, missbraucht und gefoltert. Die Vereinten Nationen werten die Vorgehensweise der Terrorgruppe „Islamischer Staat“ als Völkermord, der 74. Genozid in der Geschichte der Religionsgemeinschaft. Vor diesem Hintergrund hat Baden-Württemberg mit dem „Sonderkontingent für besonders schutzbedürftige Frauen und Kinder aus dem Nordirak“ Kinder und Frauen aus dem Nordirak aufgenommen, die psychosozial betreut werden.

Die Jesidinnen, die nach Baden-Württemberg kamen, hatten es geschafft aus der Gefangenschaft des IS in die kurdisch besetzten Gebiete im Nordirak zu flüchten. „In den Flüchtlingscamps nahm das Team aus Stuttgart mit ihnen Kontakt auf“, sagt Jennifer Hillebrecht. Sie arbeitet in der Abteilung für Rehabilitationspsychologie und Psychotherapie der Uni Freiburg und koordiniert mit ihren Mitarbeiterinnen Tina Zeiss und Anna Borchert das Projekt in Freiburg. Gemeinsam leiten sie die medizinische und psychotherapeutische Versorgung der Frauen und Kinder in die Wege.

Therapeutische Betreuung in Baden-Württemberg

Die Verfolgung durch den IS führte zu einem kollektiven Trauma der Religionsgemeinschaft. Die Jesidinnen sind neben den traumatischen Erfahrungen wie Vergewaltigungen und Gefangenschaft auch durch die Flucht belastet. Da in den Flüchtlingscamps im Nordirak keine psychotherapeutische Versorgung vorhanden ist, soll den Frauen in Baden-Württemberg der Zugang zu solchen Angeboten ermöglicht werden.

Ein Team unter dem leitenden Psychologen Prof. Dr. Dr. Jan Ilhan Kizilhan, von der Dualen Hochschule Baden-Württemberg Villingen-Schwenningen, hat in den Camps Jesidinnen für das Projekt ausgewählt. Entscheidend für die Ausreise war, dass sich die Frauen in Gefangenschaft des IS befunden hatten, sie medizinisch reisefähig waren und dass sie sich in Deutschland gut integrieren könnten. „Auch war die Ausreise nach Deutschland nur möglich, wenn die Familie zustimmte“, sagt Hillebrecht.

Erschwerte Ausreise

Viele der Jesidinnen haben keine Ausweispapiere mehr, was eine Ausreise zusätzlich erschwerte. Ihre Identität musste daher durch ein männliches Familienmitglied bestätigt werden. Dies ist durch die Abwesenheit der Männer, von denen man oft nicht weiß wo sie sich befinden, aber fast nicht machbar gewesen. Außerdem befürchteten die Frauen, dass die Ausreise einen Austritt aus der Religionsgemeinschaft zur Folge haben könnte. Das Team aus Deutschland sorge dafür, dass erstmals alle Ausreisenden vom geistigen Oberhaupt der Jesiden, dem Baba Sheikh, verabschiedet wurden. „Dieser sichert ihnen zu, dass sie trotz der Ausreise ein Teil der Religionsgemeinschaft bleiben“, sagt Hillebrecht.

Ihre Kinder konnten die Jesidinnen nach Deutschland mitnehmen. Es kommt jedoch auch vor, dass sich die Mütter noch in Gefangenschaft des IS befinden oder die Kriterien des Projekts nicht erfüllen. „In diesen Fällen ist es oft so, dass zum Beispiel die Tante das Sorgerecht schon im Irak übernimmt, damit das Kind mitgenommen werden kann“, sagt Hillebrecht.

Unterkünfte in Deutschland bleiben geheim

Nach ihrer Ankunft in Stuttgart wurden sie von den Zuständigen der jeweiligen Städte abgeholt und direkt in ihre Unterkünfte gebracht. Deren Standorte werden aus Sicherheitsgründen geheim gehalten, da weiterhin eine Gefahr von Seiten des IS befürchtet wird.

In Freiburg werden die Frauen und Kinder von verschiedenen Gruppen der Stadt, wie etwa der Caritas, des Universitätsklinikums sowie Ärzten betreut. Die Kommunikation wird über Dolmetscher hergestellt. „Es gibt eine Kombination aus Sozialarbeit und psychologischer Betreuung“, sagt Prof. Dr. Dr. Jürgen Bengel, Leiter der Abteilung für Rehabilitationspsychologie und Psychotherapie der Uni Freiburg. Sozialarbeiter und Sozialarbeiterinnen sind im Alltag Ansprechpartner der Frauen. Sie versuchen, den Frauen bei der Orientierung in der Umgebung zu helfen. Auch vermitteln sie Sprachkurse, kümmern sich um die Vermittlung von Schulen für die Kinder und stellen notwendige Arztkontakte her. „Wichtig ist, dass der Alltag organisiert und stabile, Vertrauen gebende Beziehungen geschaffen werden“, sagt Bengel. Sozialer Austausch und stabile Strukturen seien wichtig bei der Traumabewältigung.

Jennifer Hillebrecht koordiniert zusammen mit Tina Zeiss und Anna Borchert Projekt in Freiburg.

Ein erster Teil der Frauen befindet sich mittlerweile zusätzlich in ambulanter Therapie. Bei der traumatherapeutischen Behandlung kooperiert das Institut für Psychologie mit der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie sowie der Klinik für Psychotherapie und Psychosomatik im Kindes- und Jugendalter des Universitätsklinikums Freiburg.

Die Betreuung soll helfen, Normalität wiederherzustellen. Die Frauen und Kinder erleben in Deutschland einen Kulturschock, doch obwohl dieser die Jesidinnen zunächst belasten kann, wäre eine Rückkehr in den Nordirak aussichtsloser. Laut Prof. Dr. Dr. Jan Ilhan Kizilhan würden 95 Prozent der Frauen dort nicht überleben.

Die jesidischen Frauen und ihre Kinder werden im Projekt 15 Monate betreut. Nach dieser Zeit besteht für die Frauen und Kinder die Möglichkeit, ihre Aufenthaltsgenehmigungen in Deutschland zu verlängern und einen Antrag auf Familiennachzug zu stellen.

Info

Die Jesiden (kurdisch Êzîdî) sind eine, meist kurdisch sprechende, religiöse Minderheit. Weltweit gibt es mehr als eine Million Jesiden, deren ursprüngliche Hauptsiedlungsgebiete im Irak, Syrien und der Türkei liegen. Die meisten leben heute im Nordirak, aber inzwischen befinden sie sich auch in Europa, den USA, Kanada und Australien. Nach Deutschland sind inzwischen mehr als 80.000 Jesidinnen und Jesiden ausgewandert.

Das Jesidentum ist eine monotheistische Religion, deren Geschichten meist mündlich weitergegeben werden. Baba Sheikh – „der Vater des Scheich“ – ist der Titel des geistigen Oberhaupts. Der wichtigste Pilgerort der Jesiden ist der Tempel in Lalisch in der Autonomen Region Kurdistan, wo sich zwei den Jesiden heilige Quellen und die Grabstätten von Scheich Adi ibn Musafir, dem bedeutesten Heiligen der Jesiden, befinden.

Eine zentrale Bedeutung in den jesidischen Glaubensvorstellungen hat Melek Taus (auch Tausî Melek) – der „Engel Pfau“ –, dessen Symbol ein blauer Pfau ist. Nach der jesidischen Mythologie wollte er sich selbst zu Gott erheben und fiel deswegen in Ungnade. Nachdem er dies bereute und in der Hölle büßte wurde ihm seine Schuld vergeben. Seither dient er Gott als Stellvertreter in der Welt sowie als Ansprechpartner der Gläubigen. Durch die Verehrung dieser Figur, in der ein Teil der islamischen Glaubensgemeinschaft eine Ähnlichkeit zum islamischen Teufel erkennt, werden die Jesiden als Teufelsanbeter verstanden. Die Ablehnung durch den Islam führte immer wieder zur Verfolgung und Diskriminierung der Jesiden. Dies macht sie auch zur Zielscheibe der Kämpfer der Terrorgruppe „Islamischer Staat“.

Quelle: Prof. Dr. Jan Ilhan Kizilhan: Wer sind die Êziden?, Verlag für Wissenschaft und Bildung, 2013.

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Illustration Teaser: Sabina Kist
Foto: J. Hillebrecht
Autoren:
Veröffentlicht am 6. April 2016

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