Theaterprojekt Intensivstation

Theaterprojekt Intensivstation

Von heute Abend bis morgen Abend  schließt sich eine Gruppe junger Menschen in das Theater Freiburg ein. In dieser Zeit erarbeiten sie gemeinsam eine Aufführung, die am Samstag, 22.4.2016, um 19 Uhr, aufgeführt wird. Was genau hinter dem Projekt „Intensivstation“ steckt, hat uniCROSS von den Initiatoren Ina Annett Keppel, Michael Kaiser und Benedikt Grubel erfahren.

Dieses Wochenende findet zum dritten und letzten Mal das Theaterprojekt „Intensivstation“ statt. Um was geht es in dem Projekt?.

Benedikt Grubel: Bei dem Projekt „Intensivstation“ trifft eine Gruppe von jungen Leuten zwischen 21 und 35 Jahren, die wir vorher nicht kennen gelernt haben und die sich untereinander ebenfalls fremd sind, aufeinander. Innerhalb von 24 Stunden muss die Gruppe dann eine Performance auf die Beine stellen, die Samstagabend einem Publikum präsentiert wird. Das Thema wird Freitagabend nach Sonnenuntergang gelost.

Ihr schafft mit der „Intensivstation“ nur einen Rahmen, aber ihr habt letztendlich keine Kontrolle über das Ergebnis: Die Endperformance. Macht diese Unberechenbarkeit den Reiz des Projektes aus?

Michael Kaiser: Das Unkontrollierbare reizt uns tatsächlich an dem Konzept, aber das macht auch den Reiz für viele Teilnehmer aus. Sie begeben sich durch ihre Teilnahme in eine nicht alltägliche, eigentlich fast unmögliche Situation innerhalb von 24 Stunden eine Theaterperformance zustande zu bringen.

Das bedeutet für Viele erstmal die totale Überforderung. Hinzu kommt der Übermüdungszustand, weil man so gut wie nicht schläft. Ein weiterer Faktor ist das Unbekannte, die Gruppe kennt sich bis dato ja nicht. Man kann sich nicht auf Mechanismen oder bekannte Verhaltensmuster verlassen.

Normalerweise wächst man als Theaterensemble durch die intensive Probezeit über Monate zusammen. Selbst bei Improvisationen kennt man seine Mitspieler und weiß in etwa was einen erwartet. Bei der Intensivstation ist alles anders, da gibt es kein Sicherheitsnetz, keinen doppelten Boden. Man befindet sich ein Stück weit in einer Extremsituation.

Wollt ihr mit dem Projekt etwas Spezielles vermitteln?

 Ina Annett Keppel: Es geht uns um die Grenzerfahrung an sich. Darum, dass wenn man sich darauf einlässt am Ende ein Ergebnis steht, trotz aller Höhen und Tiefen. Das ist schon ein gewisser Selbstzweck, dass trotz der extremen Situation der Körper fähig ist, etwas zu zeigen. Und auch die Gruppendynamik hat eine gewisse Kraft.

Also versucht ihr auch die Teilnehmer aus ihrer Komfortzone rauszulocken?

Benedikt Grubel: Absolut. Aber auch für uns ist das Projekt immer wieder eine Herausforderung. Durch Müdigkeit und Verausgabung wird man sich teilweise fremd, entdeckt neue Seiten an sich. Dieser veränderte Blickwinkel ist auch ein typischer Theatermechanismus. Auch der Welt begegnet man anders. Was bei der Intensivstation in einem komprimierten Produktionsrahmen passiert.

Ina Annett Keppel: Durch die Übermüdung wird auch ein Zustand erreicht, in dem man auf eine bestimmte Art und Weise man selber ist und nichts anderes.

24 Stunden lang wird es wahrscheinlich auch schwer sein, sein wahres Ich ständig zu verstecken. Ist es auch eure Intention mit dem Projekt „Intensivstation“ Authentizität aus Menschen herauszulocken? Kann Theater denn eurer Meinung nach authentisch sein?

Benedikt Grubel: Theater kann mit den Inszenierungsmechanismen, die es im Alltag und auf der Welt gibt spielen und diese auch sichtbar machen. Aber ob das dann authentisch ist oder nicht ist so eine Frage. Aber den Zustand von Müdigkeit würde ich persönlich als authentisch beschreiben. Ich sehe dann nicht jemanden der versucht etwas zu sein, sondern jemand der einfach müde ist und der ist dann vielleicht auch nichts anderes als müde.

Ina Annett Keppel: Genau, oder man sieht den Kampf gegen die Müdigkeit, aber der ist auch real, der ist nicht gespielt.

Was reizt denn eure Teilnehmer daran an eurem Projekt teilzunehmen?

Michael Kaiser: Das ist natürlich extrem unterschiedlich und ich glaube jeder, der daran teilnimmt hat eine andere Motivation mitzumachen. Ganz viele Teilnehmer reizt tatsächlich diese Unmöglichkeit, das geht doch gar nicht, oder doch? Und wenn ja, wie? Viele haben auch Lust mal an einer Theaterproduktion teilzunehmen, häufig aber nicht die Zeit dazu. Die Intensivstation ist dann etwas, wo man die Theatererfahrung mal ausprobieren kann ohne sich viel Zeit dafür freischaufeln zu müssen und für diese kurze Zeit mal aus dem eigenen Alltag ausbrechen zu können.

Benedikt Grubel: Aber was ich auch interessant finde ist, dass bisher niemand ein zweites Mal bei der Intensivstation mitmachen wollte. Das liegt glaube ich nicht an der Intensivstation an sich, sondern an der Einmaligkeit der Erfahrung. Das Projekt ist eine Herausforderung und was man erlebt ist extrem, was die Erlebnisse einzigartig und nicht wiederholbar macht.

Ihr habt vorhin den Ausbruch aus dem Alltag und dadurch gewissermaßen auch aus gesellschaftlichen Normen als Beweggrund zum Mitmachen aufgeführt. Eine Bühne bietet zusätzlich Raum zur Selbstinszenierung. Inwiefern glaubt ihr, dass der Reiz zur Selbstdarstellung ebenfalls eine Rolle beim Teilnehmen spielt?

Benedikt Grubel: Es gibt schon eine Lust oder ein Interesse daran, auf der Bühne zu stehen. Dennoch verstehe ich unter Selbstinszenierung etwas anderes, da man sich in dem Projekt selbst als Person gar nicht so stark vermarkten kann. Man trifft auf eine Gemeinschaft und entwickelt etwas in dieser Gemeinschaft. Außerdem glaube ich, dass die Intensivstation diese Selbstinszenierungsmechanismen unterläuft, durch ihre Rahmenbedingungen. Der Zeitdruck lässt einem beispielsweise nicht viel Zeit zum Überlegen was man denn gerade darstellt und es ist auch schwer dauerhaft Müdigkeit zu überspielen.

Ina Annett Keppel: Selbstinszenierung hat auch mit einem Ideal zu tun, dem man nahe kommen möchte. Bei unserem Projekt hat man weder die Zeit noch die Kapazitäten dazu ideal zu sein. Nach 24 Stunden ist man nicht mehr frisch und schön. Ich denke eher, dass es praktisch in die andere Richtung geht, dass die Intensivstation das herauslockt was man eben ist.

Benedikt Grubel: Die Präsenz zwischen Publikum und Schauspielern ist etwas anderes, als wenn wir jetzt über Selbstinszenierung im Kontext von Selfies oder sozialen Medien reden. Dort werden Bilder häufig intensiv vorbereitet, um eine scheinbare Perfektion zu erzeugen.

Michael Kaiser: Genau, die Kontrolle spielt dabei auch eine zentrale Rolle. Ich habe die Möglichkeit ein Selfie 50- Mal zu machen bis es wirklich perfekt ist. Bei uns ist das so nicht möglich. Im schlechtesten Falle hat man nicht einmal mehr die Zeit sich die Haare nochmal zu richten, bevor die Show beginnt. Alles ist extrem eng getaktet. Die Generalprobe folgt unmittelbar auf die Hauptprobe. In unserem Format ist man eher zum Gegenteil gezwungen: Die Kontrolle abzugeben.

Also anders als beim Film, in dem man mehrere Takes hat, um eine Szene perfekt auszuführen, gibt es beim Theater nur eine Aufführung bei der alles passen muss.

Ina Annett Keppel: Und ich habe als Teilnehmer gar nicht die Möglichkeit mich selbst in einem gewissen Licht zu präsentieren wie bei einem Selfie. Es gibt wenig was ich als Teilnehmer selber entschieden habe. Ich habe mir weder meine Mitspieler ausgesucht noch die Missionen, die ich zu erfüllen habe.

Michael Kaiser: Was noch hinzukommt: Ohne jetzt zu viel zu verraten. Es gibt von unserer Seite auch permanent Mechanismen, die störend wirken. Es ist nicht so, dass wir alles durchlaufen lassen und wenn die Show dann mal steht, sondern wir haben immer noch ein Ass im Ärmel, das wir an einer bestimmten Stelle ausspielen und Auflagen machen, die vieles wieder in Wanken bringen.

Info

Karten für die Vorstellung der Intensivstation gibt es über eine Hotline, die erst am Freitag ab 19 Uhr freigeschalten wird. Ihr findet die Hotlinenummer auf dem Blog des jungen Theaters: http://www.theaterlabor.net/category/aktuelles/ und auf der uniFM Facebook Seite.

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Foto: Simeon Boveland
Veröffentlicht am 22. April 2016

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