Über Satire

Über Satire

Seit Wochen geistert der deutsche Moderator Jan Böhmermann durch die nationalen Medien. Er hat mit seinem “Schmähgedicht” eine Debatte über Freiheiten, Kunst und Recht ausgelöst. Zita war auf der Suche nach deren Grenzen.

Nach seinem Ausflug durch nahezu die gesamte deutsche Medienlandschaft kehrte Jan Böhmermann am Donnerstag wieder zum Tagesgeschäft zurück. In der aktuellen Folge seiner Late-Night-Show, reagiert der Komiker auf den Trubel um sein „Schmähgedicht“ indem er, angeblich aus Angst vor weiteren Konsequenzen, nur Witze von Zuschauern vortrug.

Der deutsche Ai Weiwei

Böhmermann hat sich zuvor in einem Interview mit der ZEIT mit ironischem Unterton zu den Geschehnissen geäußert. Angela Merkel, so der Moderator, habe ihn „filetiert, einem nervenkranken Despoten zum Tee serviert und einen deutschen Ai Weiwei aus mir gemacht.“

Zuvor hatte er mittels eines vulgären „Schmähgedichts“ in seiner Show satirisch zu einem Vorfall Stellung genommen, bei dem der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan, politisch auf ein ihn betreffendes Lied der Satiresendung extra3 reagiert hatte. Während seines Vortrags betonte Böhmermann immer wieder, dass es sich um eine bewusst unangemessene Schmähung handle, die im Gegensatz zum extra3-Beitrag nicht durch die Kunst- und Meinungsfreiheit gedeckt sei, was unter Umständen zu einer Löschung des Sendungsausschnitts aus der ZDF-Mediathek führen könnte.

Das ZDF löschte das „Schmähgedicht“

Doch dabei sollte es nicht bleiben. Erdoğan verklagte den Komiker wegen seiner „Schmähkritik“. Warum Böhmermann allerdings Kanzlerin Merkel in der ZEIT derart scharf kritisieren würde, wurde erst deutlich als ein lang vergessener Paragraph der fünfziger und sechziger Jahre ins Rampenlicht der Diskussion rückte. Paragraph 103 Strafgesetzbuch (STGB) besagt, dass die Beleidung ausländischer Staatschefs strafbar ist, wie Prof. Dr. Stefan Ernst, Rechtsanwalt für Medienrecht und Lehrbeauftragter an der Hochschule für Medien in Offenburg, erklärt.

Das gelte allerdings nur, wenn die deutsche Regierung die Betroffenen zu einer Klage ermächtigt. Im Falle Böhmermann entschied sich die Bundesregierung im Sinne der Gewaltenteilung dafür, das Urteil der Justiz zu überlassen, betonte aber, den besagten Paragraphen in Bälde abschaffen zu wollen. Böhmermann sollte das allerdings in seinem Fall nicht mehr viel helfen.

Zwischen Freiheit und Schutz

Laut Medienrechtsexperte Ernst wird die weitere Beurteilung des Falls besonders in Hinblick auf die Paragraphen 185 bis 187 StGB in Abwägung zu Artikel 5 des Grundgesetztes erfolgen. Die Artikel des Strafgesetzbuches erklären Beleidigung, üble Nachrede und Verleumdung für strafbare Handlungen, während Artikel 5 das Recht der freien Meinungsäußerung und die Freiheit der Kunst festschreibt.

Inwiefern die verschiedenen Komponenten in Bezug auf eine Person des politischen Lebens gewichtet werden, die ihrerseits die Freiheiten aus Artikel 5 bewusst einschränkt, wird sich erst zeigen. Die Justiz wird in diesem Fall also zwischen Freiheit und Persönlichkeitsrechten abwägen müssen.
 

Böhmermann sagt Teilnahme an der Grimme-Preis-Verleihung ab, bei der er und sein Team geehrt werden sollte.

 
„Satire ist eine humoristische Form sprachlicher oder literarischer Aggression. Sie zeichnet sich durch Drastik und Grenzüberschreitung aus und dient unter anderem zur Selbstpositionierung. Dabei arbeitet sie mit Mitteln der Ironie und Übertreibung“, definieren Nicolas Detering und Johannes Franzen, beide Dozierende am Deutschen Seminar der Uni Freiburg den Begriff. Die Gattung der Satire hat ihre Ursprünge bereits in der Antike, in der der Begriff noch ziemlich frei als „Allerlei“ interpretiert wurde.

Eine besondere Funktion der Satire sei es allerdings schon seit der Antike gewesen, Kritik zu üben. „Gerade in nicht liberal westlichen Gesellschaften und auch in historischen Gesellschaften wie zum Beispiel dem deutschen Kaiserreich, musste man damit rechnen für bestimmte Arten der Kritik bestraft zu werden“, erklärt Johannes Franzen. Die Satire helfe dabei so etwas teilweise zu umgehen.

Aber auch in demokratischen Gesellschaften hat Satire ihre Funktion: „Durch ihre Form der Übertreibung, Visualisierung, der Überzeichnung ins Groteske, aber auch durch fiktionale Mittel kann die Satire auf bestimmte Phänomene aufmerksam machen, die womöglich sonst nicht in den Blick geraten“, sagt Germanist Nicolas Detering. Gerade diese Funktionen sichtbar zu machen, indem man sie noch erhöhe, sei ein Aspekt des Böhmermann-Gedichts. Tatsächlich hat Böhmermann eine solche Debatte ausgelöst. Seit der Wiedervereinigung wurde kaum so viel über Redefreiheit gesprochen wie jetzt.
 

Die Causa Böhmermann schlug sogar internationale Wellen, 
wie zum Beispiel in der amerikanischen Satire-Late-Night-Talk- und News-Show.

 
Neu ist die Diskussion um Meinungsfreiheit allerdings nicht. Anwalt Ernst nennt dabei den Präzedenzfall der Strauß-Karikaturen von 1987. Hier wurde der damalige bayerische Ministerpräsident auf vulgäre und sexuelle Weise dargestellt. Das Bundesverfassungsgericht entschied damals für Strauß und verurteilte den Karikaturisten zu einer Geldstrafe.

„Aus literarischer Sicht existieren Parallelen zu Böhmermanns ‚Schmähkritik’ schon in der Frühen Neuzeit”, erklärt Nicolas Detering. Majestätsbeleidigung habe es im späten 19. Jahrhundert auch gegeben. Es gab Skandale um Satiren, die es geschafft haben, so zu provozieren, dass es zu Protesten kam und bekannte Schriftsteller ins Gefängnis mussten. Der Sonderfall bei Böhmermann sei lediglich, dass es sich um das Staatsoberhaupt eines anderen Landes handle, das von außen versuche, in Deutschland Einfluss zu nehmen.

Satire spaltet

Doch nicht nur der türkische Präsident, auch Privatleute haben zu Hunderten Klage gegen den ZDF-Komiker eingereicht. Für die Satire-Experten der Uni kaum verwunderlich, denn: „Satire, die funktioniert, muss verschiedene Gruppen adressieren. Wenn alle den Witz verstehen und darüber lachen, dann ist es keine Provokation.“ Das heißt, es muss immer eine Gruppe von Adressaten geben, die den Witz nicht verstehen und eine Gruppe von Eingeweihten, die dadurch erhoben werden oder sich selbst erhöhen, dass sie den Witz verstehen.

Im Fall Böhmermann stehen den Klägern und der türkischen Regierung viele populäre Persönlichkeiten gegenüber, die glauben, Böhmermanns Witz verstanden zu haben. Sänger und Komiker Dieter Hallervorden oder Schauspieler Jan Josef Liefers unterstützen den Moderator im Zeichen der Kunstfreiheit.

Verletzung ist kontextabhängig

Dass Böhmermann so vehement verteidigt und geächtet werde, hänge, so die Germanistik-Dozenten, wohl mit der Drastik seines Gedichts zusammen. Doch auch diese ist nicht neu. So finden sich, laut Franzen, historisch verschiedene Konjunkturen, von dem, was als besonders verletzend wahrgenommen wird. „Im Verlauf des 18. und 19. Jahrhunderts hat eine Verrechtlichung der öffentlichen Meinung stattgefunden, das heißt, es gibt seitdem Paragraphen, die besagen, wie beleidigt werden darf und wie nicht. Vor dem Hintergrund können dann im späten 20. beziehungsweise frühen 21. Jahrhundert vor allem besonders drastische Beleidigungen provokativ wirken“, erklärt Detering. Hier wirkte also wiederum die Justiz im historischen Freiheitsdiskurs.
 

Für seine Satire ist Böhmermanns Show, das Neo Magazin Royale, bereits zweifach mit dem Grimme-Preis 
ausgezeichnet worden. Für das „Schmähgedicht“ ist er für den Grimme Online-Award nominiert.

 
In diesem Sinne führe Böhmermann also das deutsche Kabarett und die Art und Weise der politischen Satire in Deutschland vor, die als notorisch harmlos, gefällig und affirmativ gelte. „Böhmermann tritt mit seiner Schmähkritik in den Überbietungsgestus der Satire ein, der zeigen möchte, was wirkliche Provokation bedeutet und gleichzeitig diese Form von gefälliger politischer Satire ad absurdum führt“, erklärt Franzen. Dadurch, dass Satire als wichtiges soziales Kulturgut gelte, werde sie in gewisser Hinsicht kastriert und zu einer Art Hofnarrentum degradiert. Daher sei es wichtig, dass Satire Grenzen finde, die tatsächlich noch gefährlich seien, die es noch zu überschreiten lohne, wenn man provozieren möchte.

Doch ist Böhmermann das wirklich gelungen? Hat es hier die Kunst geschafft, effektiv zu kritisieren und das über die oberflächliche Botschaft des Gedichts hinaus? Für Anwalt Stefan Ernst sind diese Fragen unmöglich zu beantworten „Der Jurist darf bei der in Rede stehenden Frage keine Niveaukontrolle durchführen, es geht nicht darum, ob die Satire „gut“ oder „schlecht“ ist. Die Kunstfreiheit schützt beides.“ Viel mehr sei zu beurteilen, ob die Grenzen der Kunstfreiheit in den Persönlichkeitsrechten überschritten seien oder nicht.

Einigkeit herrscht hingegen bei den Literatur-Experten. Obwohl sich über den künstlerischen und humoristischen Wert von Böhmermanns Satire mit Recht streiten lasse, sei es dem Moderator gelungen, eine Debatte auszulösen, die durch den Effekt, den die Reaktion des Präsidenten ausgelöst habe, noch verstärkt wurde. „Böhmermanns Provokationsleistung war sehr erfolgreich. So viel Erfolg hat er sich selbst vielleicht überhaupt nicht ausgemalt“, resümiert Nicolas Detering.

Am Ende bleibt es dennoch ein Akt von Richtern und vor allem Rezipienten, die Debatte zu beurteilen. Denn in Deutschland ist jeder frei, dies zu tun.

Foto: Zita Zengerling
Veröffentlicht am 17. Mai 2016

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