Schlafend zur Lösung des Problems?

Schlafend zur Lösung des Problems?

Schlafen ist wichtig. Darin sind sich die meisten einig. Aber warum genau? Was passiert beim Schlafen in unserem Gehirn? In einer Studie wurden nun die Auswirkungen des Schlafes auf die Gedächtnisbildung und die Kreativität untersucht. Mit einem überraschendem Ergebnis.

In der Klausur sitzend, die Fragen vor der Nase. So schwierig zu beantworten, trotz der letzten, durchgelernten Nacht. Und im Hinterkopf keimt der Gedanke, dass es vielleicht doch sinnvoller gewesen wäre, stattdessen früh ins Bett zu gehen.

Das wäre es in der Tat gewesen. Denn Schlaf stärkt neu gebildete Gedächtnisspuren. Wenn ich in den Tagen vor der Klausur neuen Stoff lerne, also neue Informationen aufnehme, zum Beispiel “Auxine sind Pflanzenhormone”, dann entstehen im Gehirn neue Verknüpfungen von Nervenzellen. Diese neuen Gedächtnisspuren werden im Allgemeinen stabiler, je häufiger ich ein Thema wiederhole. Aber nicht nur das: sie werden auch, ganz ohne unser bewusstes Zutun, im Schlaf gestärkt. Und je stärker die Gedächtnisspur desto besser kann ich mich in der Klausur daran erinnern, dass Auxine zu den Pflanzenhormonen gehören.

Lösungen finden im Schlaf

Die positive Auswirkung des Schlafes auf die Gedächtnisbildung ist seit längerem bekannt und nachgewiesen. In einer neuen Studie der Uniklinik Freiburg wurden nun weitere Funktionen des Schlafes untersucht, unter anderem ob Schlaf auch die Kreativität fördert.

Den Teilnehmenden wurden drei Wörter vorgelegt, zu denen sie ein viertes finden mussten, dass jeweils mit allen verbunden werden konnte, etwa: “Flocke-Eule-Besen” mit der Lösung: “Schnee”, da sich daraus “Schneeflocke – Schneeeule – Schneebesen” ergibt.

Was genau hat das mit Kreativität zu tun? Bei dem Wort “Kreativität” denkt man doch eher an bunte, phantasievolle Bilder oder besonders originelle Ideen. Was in der Studie gemessen wurde, war nicht direkt Kreativität im Sinne von “phantasievoll gestalten”.

Prof. Dr. Christoph Nissen, Geschäftsführender Oberarzt an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Freiburg und Leiter der Studie, erklärt: “Kreativität ist ein einmaliger Vorgang der wissenschaftlich schwer zu erfassen ist. Deswegen werden Aufgaben mit Lösungsstrategien, die auch für Kreativität nötig sind, entwickelt.”

“Assoziatives Denken” mit Aha-Erlebnis

Gemessen wird in der Studie also nicht die Kreativität direkt, sondern das “assoziative Denken” im Gegensatz zum “analytischen Denken”. “Analytisches Denken” ist zum Beispiel sich zu überlegen, dass “1+4+6=11” ist. Dagegen ist das “assoziative Denken” die Wörter “Flocke”, “Eule” und “Besen” mit dem Wort “Schnee” in Verbindung zu bringen.

Das “assoziative Denken” geht häufig mit einem “Aha-Erlebnis” einher. Das heißt, wir können nicht genau erklären, wie wir zu der Lösung “Schnee” gekommen sind, sondern sie taucht mehr oder weniger plötzlich mit einem “Aha” in unserem Kopf auf. Wichtig ist, dass wir beim “assoziativen Denken” aus bekannten Gedankengängen hinausgehen. Das bedeutet, um auf das Lösungswort “Schnee” zu kommen müssen wir unsere Gedächtnisspuren neu organisieren.

Genau das passiert auch bei der herkömmlichen Vorstellung vom kreativen Denken, dem “phantasievoll sein”: Wir entwickeln etwas Neues, indem wir über bekannte Strukturen hinausdenken. Dabei werden die Gedächtnisspuren in unserem Gehirn neu organisiert.

Schlaf stärkt die Erinnerungen…

Bisher wurde allgemein angenommen, dass Schlaf dieses “Hinausdenken”, also die Neu-Organisation von Gedächtnisspuren unterstützt. In der durchgeführten Studie wurde dies nun überprüft, dabei kam es zu einem überraschenden Ergebnis.

Die Teilnehmenden bekamen hintereinander 60 Wortgruppen des Typs “Flocke-Eule-Besen” gezeigt. Dazu sollten sie innerhalb von 10 Sekunden das gesuchte Lösungswort finden. Sobald sie meinten die Antwort zu wissen, erfuhren sie, ob diese richtig oder falsch war. Danach ging ein Teil der Teilnehmenden schlafen und ein anderer Teil blieb die ganze Nacht wach.

Am nächsten Morgen wurden den Teilnehmenden die gleichen Wortgruppen erneut vorgelegt. Die Gruppe, die in der Nacht geschlafen hatte, konnte sich schneller und an mehr bereits zuvor richtig gelöste Wortgruppen erinnern. Der Schlaf hatte also die neuen Erinnerungen gestärkt.

…aber nicht die Kreativität

So weit so gut, dieses Ergebnis entsprach den Erwartungen. Die Überraschung lag darin, dass die Gruppe der Teilnehmenden, die zwischen den Experimenten geschlafen hatte, nicht besser darin war, eine Lösung für die am Abend vorher ungelöst gebliebenen Wortgruppen zu finden. Im Gegenteil, der Gruppe, die die Nacht wach verbracht hatte, fiel es leichter die Aufgaben zu lösen.

Der Schlaf hatte die Fähigkeit assoziativ, also “kreativ”, zu denken nicht erhöht. Eher scheint es, dass der Schlafentzug sich positiv auf diese Art des Denkens ausgewirkt hat. Dieses Ergebnis widerspricht nun dem, was bisher angenommen wurde. Aber bedeutet das jetzt, dass ich, wenn ich also die Nacht vor der Klausur durchlerne, nicht unbedingt die richtigen Antworten parat habe, dafür aber kreative Alternativen?

Ganz so einfach ist es nicht. Die Studie zeigt, dass die Stärkung von Gedächtnisspuren und deren Neu-Organisation voneinander unabhängige Prozesse sind, denen im Schlaf unterschiedliche Bedeutung zukommt. “Noch ist man aber dabei zunächst die Grundlagen des Lernens zu verstehen und aufzuschlüsseln”, erklärt Prof. Nissen.

Die Studie gibt damit nur einen ersten Hinweis darauf, wie Schlaf mit assoziativem Denken und damit Kreativität zusammenhängt. Vor der Klausur ist es also weiterhin ratsamer die Nächte durchzuschlafen und die vorhandenen Gedächtnisspuren zu stärken.

Quelle:
Maier, Nissen, "Schlaf, Gedächtnisbildung & neuronale Plastizität" in: Schlaf 2/2015
Landmann et al., "The reorganisation of memory during sleep" in: Sleep Medicine Reviews 18 (2014), S. 531-541

Foto: Katharina Krumpholz
Veröffentlicht am 3. Mai 2016

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