Kreative Freiräume

Kreative Freiräume

Gerade einmal 23 Prozent der Wähler stimmten im Juni 2016 für die Einführung des Bedingungslosen Grundeinkommens in der Schweiz. Warum die Volksabstimmung für die Befürworter dennoch kein Rückschlag ist und was sie sich von einem solchen System überhaupt erhoffen, hat Frederik Prof. Dr. Neumärker von der Uni Freiburg gefragt.

Herr Neumärker, Sie sind Ordnungspolitiker und Experte für das Bedingungslose Grundeinkommen. Was ist das Bedingungslose Grundeinkommen genau?

Mit dem Bedingungslosen Grundeinkommen versucht man, den Menschen eine auskömmliche Einnahmequelle zu generieren, die ihnen unabhängig von dem, wer sie sind und was sie machen, genug Freiraum gibt, um an der Gesellschaft teilhaben zu können. Das bisherige System ist ja eines, das man als „Fordern und Fördern“ bezeichnen kann. Förderung ist an das Erfüllen bestimmter Forderungen gebunden. Derzeit bekommt man nur unter bestimmten Voraussetzungen Unterstützung, beispielsweise Arbeitslosenhilfe. Im Alter erhält man Rente.

Das Bedingungslose Grundeinkommen integriert diese zwei Säulen des Sozialstaats. Jeder Bürger und jede Bürgerin bekommt, unabhängig von Faktoren wie Alter und Erwerbstätigkeit, jeden Monat einen festgelegten Betrag überwiesen. Der muss natürlich hoch genug sein, um das Existenzminimum abzusichern.

Was erhoffen sich die Befürworter konkret vom Bedingungslosen Grundeinkommen?

Die Idee ist, dass man Freiräume schafft, in denen die Menschen kreativ tätig werden können. Man muss nicht grundsätzlich Arbeit annehmen, die man gar nicht ausführen möchte, nur um die Existenz zu sichern. Niemand muss mehr eine Stelle annehmen, die sehr schlecht bezahlt ist.

Mit dem Bedingungslosen Grundeinkommen wird auch der Beitrag des Einzelnen zur Gesellschaft gestützt: Wer kein Lohneinkommen bezieht, kann trotzdem freiwillig ehrenamtlich arbeiten. Man ist nicht davon abhängig, dass man reich ist und dann zusätzlich noch ohne Lohn tätig werden kann. Wenn ich ehrenamtlich arbeiten möchte, kann ich das tun, weil ich weiß, dass meine Existenz gesichert ist.

Zusätzlich werden durch die zunehmende Automatisierung bald viele Berufe und Stellen überflüssig. In Finnland ist diese Entwicklung noch ein bisschen weiter fortgeschritten als hier. Deshalb wird dort gerade eine Art Feldexperiment durchgeführt. In einigen Orten wird ein Bedingungsloses Grundeinkommen bereits ausgezahlt. Das macht man, weil das gegenwärtige System dort nicht mehr richtig funktioniert. Man kann fordern und fördern so viel man will, viele Menschen finden einfach keine Stelle mehr. Abgesehen vom Bedingungslosen Grundeinkommen, hat man keine wirklichen Gegenmaßnahmen parat.

Und dieses Einkommen soll jeder von Geburt an bekommen?

Im Prinzip ja. In der Schweiz wurde das gestaffelt. Kinder sollten circa 500 Franken bekommen, Erwachsene 2.000 bis 2.500 Franken. Das hört sich sehr hoch an, man muss aber bedenken, dass die Grenze für gesellschaftliche Teilhabe in der Schweiz höher zu veranschlagen ist als in Deutschland.

Würden die Menschen dann noch arbeiten gehen?

Die klassische Ökonomik unterstellt, dass die Leute immer fauler werden, je mehr Geld sie ohne Gegenleistung bekommen. Sie denken, dass sie ja auch ohne Arbeitsaufwand finanziell gut dastehen. Die Argumentation beim Bedingungslosen Grundeinkommen ist etwas anders: Es kann durchaus sein, dass bestimmte Menschen keine Lust haben zu arbeiten, wenn sie ohnehin Geld bekommen. Die große Mehrzahl der Leute arbeitet aber gerne. Sie wollen aber auch einen Job, der zu ihnen passt. Einen bei dem sie sich einbringen können, unabhängig davon, ob sie gezwungen sind zu arbeiten, um irgendwie über die Runden zu kommen oder nicht. Das soll das Bedingungslose Grundeinkommen den Menschen ermöglichen.

Wenn man das hört, drängt sich natürlich die Frage auf: Wie finanziert sich ein solches System?

Sobald man Altersvorsorge und Arbeitslosenversicherung mit in das System integriert, lässt sich massiv Geld einsparen. Zum Beispiel bei den ganzen Bedingtheitsprüfungen, dort wo heute überprüft wird, ob sie alle Anforderungen erfüllen, um eine bestimmte Leistung in Anspruch nehmen zu können. Ein Großteil dieser Verwaltung ist nicht mehr nötig.

Wenn dann noch ein Teil des Einkommensteueraufkommens dazukommt, lässt sich das System finanzieren. Es gibt aber auch andere Ansätze, die eine Finanzierung über die Mehrwertsteuer vorschlagen.

In der Schweiz fand eine Volksabstimmung über das Bedingungslose Grundeinkommen statt. 77 Prozent der Wähler stimmten gegen die Einführung. Warum stieß die Idee dort auf so große Ablehnung?

Nach der Abstimmung wurden wissenschaftliche Befragungen durchgeführt, in denen nach Gründen für Gegenstimmen gefragt wurde. Der Hauptgrund waren Zweifel, ob das vorgeschlagene System bei der angestrebten Einkommenshöhe wirklich finanzierbar ist. Dieser Aspekt war der große Casus knacksus in der Schweiz. Der Satz wurde für Erwachsene mit 2.500 Franken monatlich sehr hoch angesetzt.

Beim ersten Versuch hätte ich das so nicht gemacht. Viele Leute haben das als nicht finanzierbar wahrgenommen.

Die Überlegung hinter den hohen Sätzen war natürlich, dass man, wenn man das Konzept schon umsetzt, es richtig macht. Man wollte nicht nur das Existenzminimum garantieren, sondern auch Teilhabegerechtigkeit. Die Leute sollten beispielsweise auch mal ins Kino gehen können. Hätte man aber beispielsweise 1.500 Franken pro Monat vorgeschlagen, hätten vielleicht auch mehr Menschen für die Einführung gestimmt. Der Hauptgrund für die Ablehnung war also nicht das Konzept an sich, sondern eben Vorbehalte bezüglich der Finanzierbarkeit.

Ist das Referendum in der Schweiz ein Rückschlag für die Idee des Bedingungslosen Grundeinkommens?

23 Prozent Zustimmung hört sich erstmal nach nicht viel an, die Befürworter waren aber nicht unglücklich damit. Für einen brutalen Umbau des Sozialsystems ist das schon eine ansehnliche Zahl. Auch ich persönlich sehe das Referendum nicht als Rückschlag. Tatsächlich glaube ich, dass das Konzept des Bedingungslosen Grundeinkommens Zukunft hat, weil es auf Aspekte eingeht, die das gegenwärtige System ignoriert.

Gibt es in Deutschland Bestrebungen das Bedingungslose Grundeinkommen einzuführen?

Viele in Deutschland sagen: „Wäre ja toll wenn das ginge“. Das Ganze wird ein bisschen ins Utopische gerückt. Aber Götz Werner, der DM Gründer, kämpft beispielsweise aktiv für die Einführung des Bedingungslosen Grundeinkommens. Er möchte das System über die Mehrwertsteuer finanzieren.

Von Seiten der Grünen gab es ebenfalls Vorstöße in diese Richtung. Sogar die FDP übernahm in den 90er Jahren mit der Negativen Einkommensteuer mal eine Idee, die in eine ähnliche Richtung ging. Viele Interessengruppen sind aber dagegen, teilweise auch solche, von denen man das gar nicht vermuten würde: Beispielsweise Gewerkschaften oder auch Teile der SPD. Gerade die sozial Denkenden, würden gewisse Handlungsmöglichkeiten verlieren, sollte das Bedingungslose Grundeinkommen eingeführt werden.

Der Mindestlohn als Errungenschaft der SPD würde beispielsweise wegfallen. Auch die Beamten in der entsprechenden öffentlichen Verwaltung sind demgegenüber natürlich eher negativ eingestellt, ihre Arbeitsplätze würden ja größtenteils überflüssig. Die zentrale Problematik ist auch hierzulande tatsächlich die politische Durchsetzungschance der Idee. Deswegen finde ich die Art, wie man in Finnland vorgeht, wo das Experiment neben dem altbekannten System parallel läuft, höchst interessant und vielversprechend.

Woher kommt die Idee des Bedingungslosen Grundeinkommens eigentlich?

Die Idee ist ziemlich alt. Natürlich kommt es darauf an, welche Konzepte man bereits als Bedingungsloses Grundeinkommen auffasst. Es hat schon im 19. Jahrhundert Sozialphilosophen gegeben, die gesagt haben, man müsse durch eine Negativ-Steuer den Sozialstaat implementieren. Mit der Negativ-Steuer gibt der Staat Geld an die Menschen aus, statt es einzuziehen. Das wurde damals vor dem Hintergrund der industriellen Ausbeutung gedacht. Seit dieser Zeit ist die Idee nicht tot zu kriegen.

Faszinierend für mich als Ordnungspolitiker ist, dass nicht nur linksliberale Philosophen wie Van Parijs, sondern eben auch Liberal-Konservative teilweise schon in den 60ern über das Thema geschrieben haben.

Was halten Sie persönlich von der Idee? Bietet das Konzept Antworten auf die drängenden Fragen der Zeit?

Für mich ist das Bedingungslose Grundeinkommen eine interessante Alternative für eine moderne Soziale Marktwirtschaft. Der soziale Kit innerhalb der Gesellschaft und auch die Zustimmung der Bevölkerung zum sozialen System lassen sich damit steigern. Die, die sozial unten stehen, bleiben dabei, weil sie ein gewisses Einkommen garantiert haben.

Natürlich ist das Bedingungslose Grundeinkommen ein Verteilungsinstrument, die finanzielle Last wird ja über Steuern deutlich stärker von den Bessergestellten getragen. Vermutlich lässt sich die größer werdende Schere zwischen Arm und Reich dadurch aber nicht substanziell verringern. Das Grundeinkommen sichert hauptsächlich nach unten ab.

Prof. Dr. Karl Justus Bernhard Neumärker

Grundeinkommen Neumärker

… ist Professor für Wirtschaftspolitik und Direktor der Abteilung für Wirtschaftspolitik und Ordnungstheorie an der Uni Freiburg.

Info

Die Crowdfunding-Aktion „Mein Grundeinkommen“ zahlt einzelnen Menschen in Deutschland bereits versuchsweise ein Bedingungsloses Grundeinkommen aus. Mehr Infos gibt es hier: www.mein-grundeinkommen.de

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Fotos: Frederik Eikmanns
Veröffentlicht am 27. Juni 2016

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