Lehrer sein – aber wie?

Lehrer sein – aber wie?

Im sechsten Semester geht es für die meisten Lehramtsstudierenden ins Praxissemester und damit das erste Mal vor die Klasse. So auch für die Geschichts-, Englisch- und Sportstudentin Alessa. Sie erzählt von zu vielen Kevins, die Entwicklung der eigenen Lehrerpersönlichkeit und wie aus anfänglicher Nervosität, Gelassenheit wurde.

Mein erstes Mal vor der Klasse erinnert mich an eine Szene aus „How I met your mother“. Dabei hält Ted Mosby seine erste Architekturvorlesung. Bevor er den Saal betritt denkt er darüber nach, dass die erste Vorlesung  je nach der Art des eigenen Auftretens darüber bestimmt, was für eine Art von Dozent man ist. Entweder man ist eher der kumpelhafte, der Superstrenge oder der pädagogisch überkorrekte Dozent. Ted Mosby wechselt bei seiner ersten Vorlesung zwischen diesen verschiedenen Rollen im Sekundentakt.

Auch mir geht es so. Am Anfang versuche ich ein bisschen kumpelhafter zu sein – lehne mich lässig am Tisch an und lache als sich ein Schüler mit Klebeband einen Schnurrbart klebt. Im Hinterkopf habe ich dabei meinen Dozenten aus dem Erziehungswissenschaft-Seminar:„Sie müssen eine Beziehung zu ihren Schülern aufbauen.“

Mit steigendem Lärmpegel und nachdem der Schüler anfängt, sich einen Hitlerbart aus Klebeband zu basteln, werde ich ein bisschen nervöser und reagiere ziemlich streng. Aber darf ich als Praktikantin Strafarbeiten verteilen? Und das gleich in der ersten Stunde? Verdammt – wie passt das denn jetzt wieder in die Beziehung, die ich doch mit den Schülern aufbauen muss? Auch das Ermahnen gestaltet sich schwierig, da ich die Namen nicht kenne. Zwar haben die Schüler Namensschilder – ich bezweifle allerdings, dass die komplette erste Reihe  Kevin heißt. Auch Siegfried, Adelheid und Don Juan erscheinen mir eher ungewöhnliche Namen für eine neunte Klasse.

Beim Tafelanschrieb fragt mich ein Schüler wieviel Platz sie dafür im Heft brauchen. „Ähm weiß ich jetzt auch nicht, aber ich würde vorschlagen ihr schreibt dann einfach auf der nächsten Seite weiter wenn die Seite voll ist?!“

Auf der Heimfahrt muss ich das Radio ausmachen, weil es mir zu laut ist. Dabei ziehe ich ein eher ernüchterndes Fazit über meine erste Unterrichtsstunde. Und frage mich: Kann ich das überhaupt –  Lehrer sein?

Am nächsten Tag habe ich Seminar. Obwohl wir eine super Dozentin haben, quatsche ich zu oft mit einem Kumpel neben mir. Nachmittags ist aber auch echt eine Zeit am Tag, an der man sich nicht mehr so gut konzentrieren kann. Bei der Gruppenarbeit erstellt meine Gruppe ein Arbeitsblatt mit dem Titel: Der lässige Luther und die Reformation. Die meiste Zeit der Arbeitsphase sind wir damit beschäftigt, uns Alliterationen für unsere eigene Namen zu suchen, googeln Adjektive für jeden Anfangsbuchstaben und bearbeiten ein Bild von Luther, indem wir ihm eine Zigarette in den Mund einfügen – ist ja schließlich der lässige Luther.

Abends aber denke ich darüber nach, dass ich mich eigentlich den ganzen Tag ähnlich wie meine Schüler verhalten habe, obwohl ich die Dozentin kompetent fand. Ich komme zu der Erkenntnis, dass man als Lehrer nicht alles persönlich nehmen darf. Manchmal hängen Unterrichtstörungen von ganz anderen Umständen ab wie der Tageszeit oder dem persönlichen Umfeld. Meine Mitpraktikantin sagte einmal zu mir: „Man darf von Schülern nichts erwarten.“ Und sie hat Recht damit. In meinen ersten Unterrichtsstunden war ich mit einer Erwartungshaltung von totaler Stille und Schülern als Arbeitsmaschinen ausgegangen. Dabei hilft es, sich in Erinnerung zu rufen wie man selbst als Schüler war.

Mittlerweile habe ich schon mehrere Unterrichtstunden gehalten. Ich mache mir keine Gedanken mehr darüber, ob ich nun eher der kumpelhafte oder strenge Lehrer sein soll. Wenn es mir zu laut ist reagiere ich, wenn nicht, dann nicht. Diese Natürlichkeit kommt auch bei den Schülern besser an.

Zudem ist mir bewusst geworden, dass ich eine Klasse mögen muss, um vor ihr gut unterrichten zu können. Dabei hilft es mir, jeden Schüler einzeln zu betrachten. Gerade in der neunten Klasse können pubertierende Jungs und Mädels in der Masse manchmal anstrengend sein. Doch an jedem Einzelnen kann man etwas finden, was einem sympathisch ist.

Am Anfang meines Praxissemesters hatten ein paar Verwandte gefragt, warum ich mir das eigentlich antun will – Lehrer werden bei der verzogenen Jugend heutzutage. Inzwischen kann ich genügend Momente aufzählen, derentwegen ich Lehrer werden will. Wie zum Beispiel in einer Englischstunde letzte Woche, in der ich mich von den Schülern mit dem Lob „Ihr habt heute echt gut gearbeitet!“ verabschiedet habe und  mich in der ersten Reihe eine Schülerin anlächelt und sagt „Danke Sie auch!“.

Das Praxissemester

Das gymnasiale Lehramtsstudium wird von Studierenden, die ihr Studium spätestens zum Sommersemester 2015 angefangen haben, mit Staatsexamen abgeschlossen.

In der Regelstudienzeit von zehn Semestern ist im sechsten Semester ein Praxissemester in einem allgemeinbildenden Gymnasium oder einer beruflichen Schule vorgesehen.

Seit dem Wintersemester 2015/16 wurde die Prüfungsordnung des Lehramtsstudiums von Staatsexamen auf Bachelor/Master umgestellt.

Foto: Wanda Kubicek
Veröffentlicht am 22. Juni 2016

Empfohlene Artikel