Fußball verbindet?

Fußball verbindet?

Fußballfans die jubelnd mit Deutschlandflagge posieren: Für viele Zeichen eines freundlichen und weltoffenen Stolzes auf die eigene Mannschaft. Auch ansonsten wird Fußball als verbindend und integrativ wahrgenommen. Aber stimmt das wirklich? Prof. Dr. Nina Degele berichtet im Interview von den negativen Seiten des Fußballs.

Frau Prof. Degele, Sie  forschen zum Thema Fußball und Ausgrenzung. Wer grenzt wen aus im Fußball?

Nicht zuletzt diejenigen, die Fußball konsumieren, grenzen aus. Das sind Fans, Zuschauende und auch Amateurspielerinnen und Amateurspieler. Es stimmt zwar, dass beim Gucken und beim Spielen ein Gemeinschaftsgefühl hergestellt wird, aber das ist nur möglich, indem bestimmt wird, wer dazugehört und wer nicht.

Wenn sich Fans mit einem Team identifizieren, spielt eine Rolle, wer zu dem Team gehört und vor allem was das entscheidende Element ist, das über die Zugehörigkeit zum Team entscheidet. Da kommt dann zum Beispiel zum Tragen, dass Fußball von Männern dominiert und definiert wird. Für Frauen war es schwierig, überhaupt einen Fuß in die Tür zu bekommen. Zwischen 1954 und 1970 war es ihnen sogar ganz verboten Fußball zu spielen.

Eine andere Form von Ausgrenzung basiert darauf, dass sich Männer im Fußball darüber definieren, dass sie richtige Männer sind. Das bedeutet hier natürlich, dass sie heterosexuelle Männer sind. Ein klassisches Beispiel ist das Verhalten von Spielern nach einem Tor: Sie jubeln, umarmen sich und liegen übereinander. Das könnte jenseits des Fußballkontextes durchaus als schwul verstanden werden. In diesem Zusammenhang wird es das aber nicht – so lange Fußball als heterosexuelles Terrain gilt.

Dass schwule Spieler im Fußball nach wie vor nicht selbstverständlich sind, haben wir ja spätestens mit Thomas Hitzlsperger gemerkt: Die Tatsache, dass sein Coming-Out so großes Aufsehen erregt hat und das zu einem Zeitpunkt zu dem er nicht mal mehr aktiver Spieler war, zeigt, dass Homosexualität alles andere als normal ist im Fußball.

 Wie wurde das Verbot von Frauenfußball damals begründet?

Da Begründungen waren teilweise ganz lustig: Es hieß, Fußballspielen wäre schlecht für die Eierstöcke und damit für das Fortpflanzungsvermögen. Das sei überhaupt nicht der richtige Sport für Frauen, die sollten lieber Gymnastik machen. Frauen hätten ja die Ausdauer auch gar nicht.

Später gab es Vorschläge, dass Frauen mit kleineren Bällen, auf kleineren Feldern und mit  kürzerer Zeit spielen sollten. Aufgehört hat die Streiterei dann, als Brustschutz für die Spielerinnen gefordert wurde. Da ist es dann ziemlich albern geworden. Diese Argumente werden teilweise bis heute angeführt: Mit ähnlicher Begründung war bis zu den letzten Olympischen Spielen ja auch das Skispringen für Frauen verboten.

Wie äußert sich Nationalismus als ausgrenzendes Element im Fußball?

Das beste Beispiel lässt sich momentan in Frankreich beobachten: Menschen, bei denen man sich streiten kann, ob man diese Hooligans als Fans bezeichnen will. Mit Fußball hat das letztlich gar nicht mehr viel zu tun. Der Sport ist für sie eigentlich nur ein Vehikel, um randalieren zu können. Ein anderer Aspekt liegt darin begründet, dass Fußball starke nationale und nationalistische Wurzeln hat. Die Abgrenzung gegenüber anderen Nationen macht es überhaupt erst möglich, ein Wir-Gefühl herzustellen.

Gutes Beispiel dafür ist der Weltmeistertitel 1954, das sogenannte Wunder von Bern. Das wird ja oft als die eigentliche Nationenwerdung von Deutschland bezeichnet. Damals haben die deutschen Männer ganz unverhofft die WM gewonnen. Sie waren grade erst als Verlierer aus dem Krieg zurückgekehrt und das eigene Image war schlecht. Der Sieg in Bern war eine Möglichkeit sich richtig gut deutsch und männlich zu fühlen.

Insofern ist es sehr naheliegend, den Sport auf Nationalismus zu beziehen. Länderspiele sind dafür prototypisch, natürlich soll es da erstmal ums Spiel gehen, aber dahinter werden noch andere Rivalitäten ausgetragen. Gerade die EM in Frankreich zeigt das wieder gut.

Ebenfalls bemerkenswert ist der militärische Hintergrund von Fußball. Das zeigt sich zum Beispiel an der verwendeten Sprache. Flanke, Schuss und so weiter. Es ist ein militärisches Vokabular, das hier anzutreffen ist.

Welche Rolle spielt der Fußball für Rechtsradikale?

Fußball ist für Rechtsradikale eine von vielen Möglichkeiten, sich zu inszenieren und Gewalt auszuüben. Der Sport bietet ein Feld, um die eigenen Ideologien und Parolen unters Volk zu bringen. Gutes Beispiel ist die Aktion Hooligans gegen Salafisten in Köln. Ich vermute, dass da keine tiefgreifende politische Überzeugung dahinter steht, sondern, dass eher eine willkommene Gelegenheit gefunden wurde, um Krawall zu machen und öffentlich zu zeigen: Wir sind da und können zuschlagen.

Es gibt ja kaum eine sichtbarere Bühne für öffentliche  Äußerungen als Fußball. Schauen Sie sich an, wie viel Berichterstattung zur EM lief. Fußball ist über den Sport hinaus eine ganz zentrale Komponente in der öffentlichen Wahrnehmung. Die EM ist ja auch für viele interessant, die sich eigentlich nicht rasend für Fußball interessieren.

Prof. Degele

Nina Degele ist Professorin für Soziologie an der Universität Freiburg und forscht unter anderem zu den Themen Körper und Sport sowie zur Soziologie der Geschlechterverhältnisse.

Seit 2006 lässt sich eine Art Party-Patriotismus beobachten. Bei Turnieren prägen Deutschlandflaggen das Stadtbild. Wie bewerten Sie das?

Ich bin aus einer Generation, für die so etwas erstmal obszön ist. Außerdem habe ich Schwierigkeiten mit der Abgrenzung vom Nationalismus: Das eine soll ein fröhlicher Party-Patriotismus sein, das andere ist der böse Nationalismus. Ich sehe die klare Grenze nicht. Verläuft sie da, wo die Leute Steine schmeißen? In meinen Augen wird da Patriotismus mit einer Fröhlichkeit kaschiert, von der ich nicht glaube, dass sie durchhaltbar ist. In dem Moment, wo das Ganze nicht mehr mit Erfolg verbunden werden kann, die deutsche Nationalmannschaft beispielsweise grottenschlecht spielt, läuft niemand mehr fröhlich mit Nationalflagge rum.

Wenn Leute beim Public Viewing mit ihren Deutschland-Fahnen und -Trikots grölen und dabei unheimlich lustig sind, dazwischen aber “Sieg! Sieg!”, schreien sobald ein Tor fällt, dann finde ich das nicht schön. Ich finde das auch nicht ungefährlich. Ich sehe die Gefahr, dass diese Menschen in ihrer ganzen „Freude“ auch Autos oder Fensterscheiben kaputt schlagen, sollte Deutschland die EM gewinnen. Um zu zeigen, dass sie besser sind als die Anderen, die bezwungen wurden.

Rechnen sie damit, dass sich diese Probleme verschärfen?

Dadurch, dass Fußball eine große Bühne bietet, bilden sich gesellschaftliche Trends dort ab. Wenn in der Gesellschaft insgesamt ein Rechtsruck zu beobachten ist, wie in Deutschland und Europa allgemein, dann spiegelt sich das auch im Fußball wider. Fußball ist eben eine willkommene und praktische Bühne um solche politischen Tendenzen zu praktizieren. Wenn dieser Rechtsruck – Stichwort Pegida und AfD – in Deutschland weitergeht, dann wird das auch im Fußball immer deutlicher sichtbar werden.

Gibt es in anderen Sportarten ähnliche Probleme?

Grundsätzlich ist das ein Problem dass es auch in anderen Sportarten gibt. In Deutschland ist aber hauptsächlich der Fußball betroffen. Weil das der Nationalsport schlechthin ist, wird Ausgrenzung dort am deutlichsten. Wären andere Mannschaftssportarten ähnlich erfolgreich, hätte man solche Probleme wahrscheinlich auch da.

Zu Beginn der EM hat der AfD Politiker Alexander Gauland hat mit abwertenden Äußerungen über den Spieler Jérôme Boateng für Entrüstung gesorgt. Wie ist das Verhältnis der Fans zu Spielern mit Migrationshintergrund?

Das ist sehr erfolgsabhängig. Wenn solche Spieler in der Nationalmannschaft etwas für Deutschland gewinnen, sind sie akzeptiert. Solange sie erfolgreich sind, nimmt man auch einen schwarzen Spieler mit. Der ist dann verkraftbar. Wenn das Team aber erfolglos ist, sind diese Spieler sehr schnell Prügelknaben, die es nicht gebracht haben.

Wird Diskriminierung von den Vereinen und dem DFB denn bekämpft?

Es gibt durchaus Bemühungen gegen Ausgrenzung vorzugehen, gerade gegen Homophobie. Inwiefern das wirklich ernsthaft umgesetzt wird, weiß ich aber nicht. Der DFB hat im Moment ja viele andere Probleme.

In niedrigeren Ligen, gibt es gemischte Erfahrungen: Einige Vereine leisten erfolgreich sehr gute Integrationsarbeit zum Beispiel in Bezug auf Geflüchteten. Andere tun in diesem Bereich nichts. Ich finde, insbesondere der DFB könnte hier mehr Farbe bekennen und von seinen Einkünften in Millionenhöhe mehr Geld für Integrationsarbeit ausgeben.

Haben Sie sich Spiele der Europameisterschaft angeschaut?

Ja, ich habe mir einige Spiele angeschaut. Zusätzlich gebe ich im Moment ein Seminar, bei dem Studierende Fans in Kneipen oder beim Public Viewing zu Ausgrenzung befragen. Ich bin schon gespannt darauf, was sie in den nächsten Wochen zusammentragen werden.

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Fotos: 
Teaser: Samantha Happ
Prof. Degele: Uni Freiburg

Veröffentlicht am 20. Juli 2016

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