Heute ganz sicher vielleicht

Heute ganz sicher vielleicht

Den Cafébesuch mit Freunden drei Mal verschoben und dann erst nicht erschienen. Eine typische Alltagsszene der Generation Maybe, die sich gerne alles offenhält. Samantha macht sich Gedanken darüber, was dahinter steckt: Eine völlige Verrohung unserer Moral oder bloße Überforderung?

Mit Kolumnen ist das ja so eine Sache. Als die Idee aufkam, dass ich eine Kolumne schreibe, war ich zunächst so aufgeregt und voller Vorfreude, dass mir schon gleich zahlreiche Themen, Ideen, Überschriften und Wortfetzen durch den Kopf schwirrten. Das leicht benommene Gefühl in mir rührte jedoch nicht daher, sondern, wie mir bald bewusst wurde, von der Tatsache, dass ich damit gleichzeitig eine langfristige Verpflichtung eingegangen war – was ich üblicherweise zu vermeiden versuchte.

Einen nächsten Stich versetze mir die Gewissheit, damit zusätzlich auch noch das Klischee der Generation Maybe zu bestätigen. So bezeichnet der Journalist und Buchautor Oliver Jeges gerne jene unter uns, die in den 80er Jahren geboren wurden. Oftmals werden wir auch unter den Synonymen „Generation Y/ Why“ oder „Twentysomething“ geführt – und niemals folgt etwas Schmeichelhaftes auf diese Bezeichnungen. Wir arbeiten nicht hart genug, haben keinen Mut mehr, nach Michael Nast fehlt uns nicht nur jegliche Bildung, er beschuldigt uns auch des unreflektierten Menschenkonsums während Tim Urban [in] der Welt erklärt, warum wir so unglücklich sind. Ich glaube … nein denke … nein vermute … spekuliere, dass das keine guten Aussichten sind – festlegen können wir uns im Übrigen auch nicht mehr.

Yes, no, maybe …

Heute werden Entscheidungen, ob beruflich oder privat, meist unverbindlich getroffen. Begonnen beim Kaffeetrinken mit Freunden, über den Wochenendausflug bis hin zur Reiseplanung oder Hochzeitseinladungen. Zusagen werden leichtfertiger vergeben als je zuvor, um bei nächster Gelegenheit wieder revidiert zu werden. Ich selbst erwische mich häufig dabei.

Mangelnde Moral oder bloße Überforderung

Doch woran liegt es, dass wir offenbar getreu des Mottos „Anything goes“ erst allerlei Termine sammeln, um wie Road Runner – meep meep – auf der Flucht vor Kojote Karl durch den Alltag zu hetzen, und dabei letztlich doch nur so zuverlässig zu sein wie die Deutsche Bahn? Ob per Whats App, Facebook oder reitendem Boten, von allen Seiten werden wir zu Veranstaltungen, Film- und Grillabenden oder Geburtstagen eingeladen.

Gleichzeitig gilt es für Familie, Freunde und die Beziehung da zu sein, Karriere zu machen und kosmopolitisch wie wir heute sind, internationale Beziehungen zu pflegen. Das alles unter einen Hut zu bekommen fordert Flexibilität, Spontanität und einen so großen Hut wie seinerzeit Preußlers Hörbe einen hatte – den man kurzerhand zu einem Rettungsboot umfunktionieren kann, wenn einem mal wieder alles über den Kopf zu wachsen droht.

Fear of missing out

Täglich, stündlich oder häufig sogar minütlich verhandeln wir unsere Termine neu, verabreden uns und sagen einst angesetzte Treffen ab, stetig angetrieben von großer Unsicherheit und der Fomo, der fear of missing out. Bereits der Spiegel berichtete über die erste Social Media Krankheit, hervorgerufen durch die zahlreichen Posts unserer Freunde und Bekannten, die uns Tag ein Tag aus zeigen, wie toll und spannend ihr Leben ist und was wir gerade verpassen. Stetiger Begleiter scheint dabei der Hashtag Yolo – you only live once – zu sein. Daher sind wir offenbar bei unseren Terminen zum System der Jäger und Sammler unserer Vorfahren zurückgekehrt, denn wer kann schon wissen, welche fabelhafte Möglichkeit sich morgen ergeben wird. Aus diesem Grund sprengen wir täglich die Kapazitäten unseres Terminkalenders um letztlich erschöpft von der komplexen Planung, häufig doch einfach davor kapitulieren zu müssen.

Münzfernsprecher vs. Handy

Unterstützt werden wir bei unseren ständigen Terminupdates von Internet und Smartphones – im übrigen Erfindungen jener Generationen, die uns stetig an den Pranger stellen. Generationen, die es offenbar leid waren Kartentelefone, Münzfernsprecher und Nummern aus Telefonbüchern zu suchen – unter C wie Café oder doch unter K wie Konditorei? Den Termin einfach wahrzunehmen, war da das kleinere Übel. Heute geht einem die Absage nicht nur viel schneller und unkomplizierter von der Hand, es ist zudem auch um einiges leichter fadenscheinige Ausreden in Form kryptischer Kurznachrichten aufzutischen.

Solange alle mitmachen, ist ja nichts dabei! Oder doch? Jeder hat diese eine Person im Freundeskreis, von der man weiß, dass sie einen letztlich doch versetzt. Doch obwohl wir es vorab wissen, fallen wir doch immer wieder darauf rein und ärgern uns – ob über diese Person oder uns selbst ist dabei nicht immer ganz klar.

Indem wir uns erst in letzter Sekunde festlegen, machen wir häufig nicht nur uns selbst das Leben schwer, sondern auch das unserer Freunde, Verwandten und Bekannten. Denn was dabei auf der Stecke bleibt ist nicht nur unsere Energie, sondern vor allem das gegenseitige Vertrauen. Ob der überflüssige Weg zum Café, die übrige Konzertkarte, der leergebliebene Platz auf einer Hochzeitsfeier, nicht jede Absage scheint moralisch gleich verwerflich zu sein, doch jede einzelne lässt unsere Glaubwürdigkeit bröckeln.

Doch wie können wir in Zukunft mit diesem Verhalten, das eine gesamte Generation betrifft, umgehen? Ich richte die Frage an dieser Stelle an die Generationen W und X, die zwar stetig den moralischen Zeigefinder heben um auf Defizite hinzuweisen, jedoch in den seltensten Fällen versuchen zu deren Lösungen beizutragen. Bis dahin können wir lediglich versuchen uns bewusster zu entscheiden, vereinbarte Termine wahrzunehmen, statt unsere Freunde mit qualmendem Bugs Bunny Fuß auf uns warten zu lassen und im Alltag ein bisschen mehr die Jomo – Joy of missing out – zu zelebrieren.

Samantha Happ findet wunderliche Dinge bemerkenswert und tut dies in ihrer Kolumne “Mein Senf” kund.

Samantha Happ findet wunderliche Dinge bemerkenswert und schreibt in ihrer Kolumne “Mein Senf” darüber.

 

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Heute ganz sicher vielleicht

Foto: Teaserbild: Samantha Happ; Autorinnenbild: privat
Autoren:
Veröffentlicht am 6. Juli 2016

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