Album der Woche: Kate Tempest – Let Them Eat Chaos

Album der Woche: Kate Tempest – Let Them Eat Chaos

Das neue Kate Tempest Album ist eine Platte, die mit ihrem politischen Bewusstsein den Finger schonungslos in offene Wunden legt und die Idee von Unschuld im Spätkapitalismus unverblümt und wortgewaltig als Märchen entlarvt. Auf “Let Them Eat Chaos” sind alle Teil eines Systems, in dem die Fähigkeit zur Empathie eine Schwäche darstellt – Ein ebenso schmerzhaftes wie wichtiges Album des aktuellen Popjahrs, und eines, das man besser nicht um 4.18 Uhr morgens alleine in seiner Wohnung hören sollte.

Construct a self and psyhcosis
And meanwhile the people are dead in their droves
But nobody noticed,
Well actually, some of them noticed,
You could tell by the emoji they posted.

(“Europe Is Lost”)

Über sanft pluckernde Electronica predigt Kate Tempest gleichzeitig nüchtern und entwaffnend empathisch von bedrückenden Einzelschicksalen, der Anonymität im urbanen Dickicht, von Existenzängsten und Schlafstörungen. Es ist keine dystopische Zukunftsvision, die die Londoner Musikerin und Buchautorin hier heraufbeschwört, sondern ein blankes Abbild der Realität. In dieser stehen die Protagonisten um 4.18 Uhr morgens übermüdet an Fenstern und klagen leise die Dunkelheit an:

Of all these people in all these houses,
Only these seven are awake.
They shiver in the middle of the night
Counting their sheepish mistakes.
Is anybody else awake?
Will it ever be day again?

(“Lionmouth Door Knocker”)

Die Schilderungen des Großstadtalltags bleiben auf dem neuen Kate Tempest Album jedoch nicht lediglich bedrückende Milieustudien. Die Künstlerin kontextualisiert die Misere, die sie als Resultat eines größeren politischen Scheiterns begreift. In ihren Songs quälen sich Young Professionals durch trostlose 9-5-Jobs, betäuben ihre Ängste mit Konsum und liegen abends dann apathisch in ihren Wohnungen. Ein Brief in der Post hat eine erneute Mietpreiserhöhung angekündigt und der erlösende Schlaf will und will nicht kommen. Ein Blick auf die Uhr: 4.18 Uhr.

von Julian Tröndle

Anlässlich des Kate Tempest Albums sendet uniFM am Dienstag, den 11. Oktober um 19.00 Uhr ein Motto-Soundcheck Spezial “Pop und Politik”, in dem die uniFM Musikredaktion über den Einfluss von Popmusik auf politische Diskurse diskutiert.

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Veröffentlicht am 9. Oktober 2016

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