Liebesgrüße aus der Ferne

Liebesgrüße aus der Ferne

Der Sommer ist vorbei, die letzten verspäteten Postkarten trudeln im Briefkasten ein –  mit ihnen eine frische Meeresbriese, der Duft abgestandener Großstadtluft oder der dumpfe Klang eines in der Ferne tönenden Alphorns. Samantha hat auf einen Postkarten-Gruß geantwortet.

Vor ein paar Wochen erhielt ich eine Postkarte, auf der eine Freundin mich gleich im ersten Satz fragte „Hast du schon mal eine Kolumne über Urlaubskarten geschrieben?“ Hier meine Antwort:

Liebe Charlotte,

danke für deine Karte, bisher habe ich noch nicht über Urlaubskarten geschrieben, dabei habe ich in diesem Sommer so viele bekommen, wie vermutlich noch nie zuvor. Offenbar denken meine wunderbaren Freunde auch im Urlaub gerne an mich,  es wundert mich aber tatsächlich, warum Postkarten in Zeiten der elektronischen Echtzeitkommunikation offenbar wieder ein Revival feiern – geht es doch viel schneller ein paar Bilder und Grüße per WhatsApp, E-Mail, SMS oder im live Chat zu verschicken und günstiger ist es auch noch.

Als ich allerdings deine Karte aus meinem Briefkasten fischte, wurde mir bewusst, wie viel mehr ich mich über eine Postkarte freue, die ich aufhängen oder kunstvoll im Papierstapel unbezahlter Rechnungen auf meinem Tisch inszenieren kann.

Da ist das Bild auf der Vorderseite der Karte, das einen aus dem stressigen Alltag für nur wenige Sekunden in eine fremde Welt entführt und ein nagendes Neidgefühl weckt, das man sofort im Keim zu ersticken versucht. Die kleinen Eselsohren an den Kanten, die von einer langwierigen und beschwerlichen Reise um die Welt zeugen und die Kombination aus schief geklebten Briefmarken und dem lieblos auf das Adressfeld geklatschten Poststempel, der einen in die nostalgischen Zeit der Brieffreundschaften zurückversetzt. Dann der Höhepunkt: Wenn man die Karte umdreht und den Namen des Absenders, gequetscht am Kartenrand, neben dem Fettfinger aus Sonnencreme entdeckt und noch bevor man die Wohnungstüre aufgeschlossen hat, gespannt in den Wetterbericht und die Menüfolge der letzten Tage einsteigt. „Das Wetter ist schön …“, „Das Essen ist lecker …“, „Der Fisch ist frisch …“

Der Text auf einer Postkarte gehört zur größeren Herausforderungen im Leben, oder liebe Charlotte? Statt über das Wetter und das Essen zu schreiben, bevorzuge ich es meistens einfach ein paar Bildchen zu malen – vom Wetter und Essen natürlich 😉 Bestimmt hast du auch schon gesehen, dass einige Postkartenhersteller dieser Problematik inzwischen entgegentreten, indem man nur noch das entsprechende Kästchen in der Rubrik Wetter, Essen, Landschaft und Erholung ankreuzen muss, das macht es natürlich leichter. Denn das eigentliche Problem bei der Sache ist der neugierige Postbote der alles liest – ich glaube ja, auch der würde sich mal über die ein oder andere Abwechslung freuen.

Wusstest du übrigens, dass Postkarten ursprünglich aus Correspondenzkarten hervorgegangen sind, mit denen Vertreter ihren Besuch angekündigt haben?

Ich bin wirklich froh, dass du nicht vor hast, bei mir einzufallen, um mir wie bei Loriot einen Saugbläser Heinzelmann oder ein paar Flaschen Pallhuber & Söhne * plop * Qualitätswein zu verkaufen.

Später nutzte man Ansichtskarten weil sie nicht nur günstiger waren als Briefe, sondern auch viel schneller zu schreiben – letztes wage ich allerdings zu bezweifeln 😉 Doch die Tatsache, dass Freunde mir so viel ihrer kostbaren und wertvollen Urlaubszeit schenken, um eine Postkarte zu kaufen, sie zu schreiben und schließlich nach einer langwierigen und mühsamen Briefmarkenjagd auch noch vor der Ankunft in der Heimat in einen Briefkasten einzuwerfen, kommt in der heutigen Zeit schon einer kleinen Liebeserklärung gleich!

Daher freue ich mich riesig über deine wunderbare Postkarte! Aber wie du siehst, wird der Platz hier langsam etwas knapp. Ich schicke dir ganz liebe Grüße ins Auslandssemester nach Tokio und der Postbote und ich freuen uns schon auf Neuigkeiten von dir.

Deine Sam

Samantha Happ findet wunderliche Dinge bemerkenswert und tut dies in ihrer Kolumne “Mein Senf” kund.

Samantha Happ findet wunderliche Dinge bemerkenswert und schreibt in ihrer Kolumne “Mein Senf” darüber.

 

 

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Foto: Samantha Happ
Autoren:
Veröffentlicht am 13. Oktober 2016

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