Individualität – das A und O der heutigen Zeit. Schließlich sind wir doch alle etwas ganz besonderes – oder? Schuld daran sind natürlich unsere Eltern, was inzwischen in zahlreichen Artikeln zur genüge diskutiert wurde. Täte uns etwas weniger Individualität nicht vielleicht ganz gut?
Wir alle sind Individuen, wie Margret Thatcher bereits 1987 feststellte: “There is no such thing as society, only individual men and women.” So individuell Individualität ist, sind allerdings auch die Ansätze ihrer Definition.
Ob bewusst, kontrollierbar oder unbewusst – unsere Haltungen machen uns zu denjenigen, die wir sind. Ob als Gluten-Verweigerer, Veggi-Missionar, Social-Media-Feind, Grinch oder Valentinstags-Ignorant, wir haben quadzilliarden Möglichkeiten, uns durch Abgrenzung und Zugehörigkeit in der Welt zu verorten.
Denn darum scheint es beim Selbstprojekt Individualität im Jahr 2016 doch zu gehen: Um Selbstoptimierung, Aufmerksamkeit und Anerkennung, durch den Vorgesetzten, die Familie, die Freunde und den Partner oder die Partnerin.
Wer wird sind
So ist zumindest jede unserer bewusst gewählten Haltungen ein Statement, wie wir gerne wahrgenommen werden wollen und viel wichtiger noch, von wem wir uns gerne abgrenzen wollen. Ob man den Konsumgedanken hinter dem Weihnachtsfest anprangert oder auf Menschlichkeit, Nächstenliebe und Gleichberechtigung bei der Auswahl des nächsten Präsidenten verzichtet.
Unter dem Motto „think different“ werden wir nicht erst seit einer Apple Kampagne 1998 dazu aufgerufen, zu Querdenkern, Nonkonformisten oder Alltags-Rebellen zu mutieren. Auch heute fordern Jutebeutel, Frühstücksbrettchen und sonstiger bedruckter Nippes aus dem Hippster-Bedarfsladen zwischen Zitaten berühmter Personen dazu auf, den Joghurt zu schonen – und die Individualität zu zelebrieren.
Wäre ein erster sinnvoller Schritt zur Individualität nicht vielleicht, auf den Trend bevormundenden Jutebeutel und plattitüdenhaft bedruckter Kleidung zu verzichten?
Wer rastet, der rostet!
Doch unsere Individualität unterliegt einem stetigen Wandel, indem wir uns und unsere Werte mit jeder Handlung, Aussage und Geste immer wieder aufs neue definieren. Dabei scheinen Tabubrüche bis hin zum Extremen voll im Trend zu liegen. Statt des Strandurlaubs in Spanien stehen Krisengebiete ganz oben auf der Reiseliste und das ausgewogene Sportprogramm wird durch Marathonläufe ersetzt!
Das Sich-von-der-Masse-abheben hat sich bei vielen heutzutage zum wichtigsten Projekt in ihrem Leben entwickelt. Häufig auch durch vehemente Anti-Haltungen, die bei jedem Thema eingebracht und die Unterhaltung im Keim erstickend dargelegt werden.
Wie sehr lohnt es sich also, sich getreu dem Motto „schneller, höher, weiter“ in Extreme zu stürzen oder immer nur dagegen zu sein, nur um sich vom scheinbaren Mainstream abzuheben; oder laufen wir letztlich nicht gerade dadurch Gefahr, was uns tatsächlich ausmacht, zu verdecken?
Samantha Happ findet wunderliche Dinge bemerkenswert und schreibt in ihrer Kolumne “Mein Senf” darüber.
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Foto: Samantha HappVeröffentlicht am 15. November 2016