Auf ein Interview mit: Jens Lekman

Auf ein Interview mit: Jens Lekman

Seit nunmehr über zehn Jahren veröffentlicht der schwedische Songwriter Jens Lekman absurde Kurzgeschichten aus seinem Alltag, die er als charmanten, orchestralen Indie-Pop tarnt. Nach einem langen Promotag in Berlin und kurz vor seinem Flug zurück nach Schweden bekam uniFM den Künstler ans Telefon. Man rechnete mit wortkarger Erschöpfung und stressbedingter Eile und bekam doch den empathischen, gutgelaunten Menschen, den man beim Hören seiner Songs eh erwartet hatte.

uniFM: Die Songtexte deiner Alben sind in der Regel aus der Ichperspektive verfasst und wirken oft wie elegant konstruierte Kurzgeschichten voller absurder Situationskomik. “A Postcard To Nina” handelt beispielsweise von einer lesbischen Freundin, die dich ins Haus ihres Vater nach Berlin einlädt, um dich als ihren Alibi-Freund vorzustellen. Sind deine Texte tatsächlich akkurate Erlebnisberichte deines Alltags?

Jens Lekman: Zumindest auf meinen früheren Releases war das immer so, ja. Bei meinem letzten Album habe ich zum ersten Mal auch eine fiktionale Ebene hinzugefügt, um die Geschichten nach meinen Vorstellungen zu modellieren. Trotzdem schreibe ich immer über Dinge, die ich persönlich erlebt habe oder die ich von Leuten aus meinem Umfeld erzählt bekomme.

uniFM: Auf deinem neuen Album gibt es den Song “Evening Prayer”, der ebenfalls eine schwer nachvollziehbare Geschichte erzählt. Im Kern geht es um einen Krebstumor und einen 3D-Drucker. Kannst du die Geschichte hinter dem Song kurz skizzieren?

JL: Sie handelt von einem Typen, der sich chirurgisch einen Krebstumor aus seinem Rücken entfernen lässt und der anschließend ein 3D Modell dieses Tumors erstellt und ausdruckt– ein kleines Plastikobjekt, das er fortan in seiner Brusttasche bei sich trägt. Ich dachte sofort: Was für eine großartige Idee, um mit der abstrakten Angst einer Krebserkrankung umzugehen! Diese Geschichte illustriert auch ideal die Idee hinter meinem neuen Album: Sich seinen Ängsten zu stellen, um so zu erkennen, was sie eigentlich sind.

uniFM: Wahrscheinlich stolperst du nicht täglich über solche Geschichten. Ist das auch der Grund, warum es meistens eine längere Pause zwischen deinen Veröffentlichungen gibt?

JL: Nein, ich stolpere tatsächlich regelmäßig über solche Geschichten. Der Grund dafür ist vielmehr, dass es eine lange Periode gab, während der ich weder meine Musik noch mich selbst besonders mochte. Es war wichtig für mich, diese Phase zu durchleben, um so am Ende wieder weitermachen zu können.

Portrait des schwedischen Musikers Jens Lekman

uniFM: Du sagst, dass du oft deine Alltagserlebnisse in Songs kanalisierst. Auf der neuen Platte zitierst du einen Freund mit den Worten: “If you ever write a song about this please don’t make it a sad song.” Das hat mich an den US-Autoren David Sedars erinnert, der sich beschwert, dass Leute aus seinem Umfeld sich grundsätzlich anders verhalten, wenn er im Raum ist, aus Angst ihr Privatleben könnte Teil seiner Arbeit werden. Hast du ebenfalls das Gefühl, dass Menschen sich verstellen, wenn du anwesend bist?

JL: Ja, tatsächlich! Allerding glaube ich, dass es noch nie jemanden gab, der mich gebeten hat, dass er oder sie nicht Teil meiner Songs wird. Sie wissen, dass, wenn sie Teil meines Lebens sind, die Chance groß ist, dass ihre Geschichten in Songtexte verwandelt werden. Allerdings bin ich sehr nett und frage zunächst immer, ob es für die Person in Ordnung ist. Im Song, den du angesprochen hast, geht es um eine Freundin von mir, die eine harte Zeit durchmachen musste. Wir saßen zusammen herum und sie bat mich nach dem Gespräch daraus bitte keinen traurigen Song zu machen. Es war ihre Art zu sagen: Lass uns die Situation nicht als unendlich tragisch ansehen, wenn wir doch die Macht haben, zu entscheiden, dass sich die Dinge auch wieder zum Guten wenden können. Der Satz symbolisiert eine Form der Kontrollrückgewinnung über das eigene Schicksal.

uniFM: Mit Alben wie “Night Falls Over Kortedala” hast du die Art und die Stimmung, wie sie die skandinavische Popmusik-Landschaft der letzten Dekade bestimmt hat, entscheidend mitgeprägt. Wie beurteilst du die Szene in deinem Heimatland Schweden heute, zehn Jahre nachdem du begonnen hast, Musik zu machen.

JL: Die Situation hat sich drastisch verändert, hauptsächlich weil die finanzielle Ausgangslage heute eine andere ist. Da sich kaum noch Menschen Tonträger kaufen, ist die finanzielle Verknüpfung von Musiker und Fan heute kaum mehr vorhanden. Statt Alben kaufen die Leute heute einen Energy-Drink, dessen Firma dann die Bezahlung der Musiker übernimmt. Die Künstler sind folglich vielmehr darauf bedacht, bestimmte Sponsoren zufrieden zu stellen. Ich habe mit vielen Musikern gesprochen, die von ihren Projekten sprechen, als handle es sich bei ihren Bands um Versicherungsunternehmen. Wir haben unser Land als Musikexport-Vorreiter hochstilisiert und dabei alles in ein bloßes Gewerbe verwandelt, in eine große After-Work-Party mit Spotify.

Das gesamte Interview mit Jens Lekman hört ihr am Sonntag (08.01.17) ab 10.00 Uhr in Liegen Bleiben mit uniFM.

Das Album “Life Will See You Now” erscheint am 17.02.2017. Mehr Informationen zu Jens Lekman

Fotos: Carlos Molina & Ellika Henrikson
Veröffentlicht am 6. Januar 2017

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