Biete Zimmer, suche Alltagshilfen

Biete Zimmer, suche Alltagshilfen

Zimmersuche in Freiburg, wer kennt das nicht? Ein bezahlbares Zimmer in einer netten WG zu finden ist schon Glückssache. Wer es nicht darauf anlegt mit anderen Studierenden zusammen zu wohnen, sondern offen für Alternativen ist, sollte sich das Projekt “Wohnen für Hilfe” anschauen.

Seit 2002 bringt das Studierendenwerk Freiburg-Schwarzwald (SWFR) ältere Menschen oder Familien, die ein Zimmer frei haben, zusammen mit Studierenden, die ein Zimmer suchen. Die Idee ist, dass die Studierenden sich in einer Wohnpartnerschaft freiwillig helfend einbringen und dafür eine reduzierte Miete zahlen. Die Hilfe kann verschieden aussehen, das können kleinere Handgriffe im Haushalt sein, mal den Einkauf nach Hause tragen, ab und zu den Kindern bei den Hausaufgaben helfen, den Rasen mähen …

Günther Pötz ist 81 Jahre alt und hat über das Projekt seinen ersten Untermieter Ben gefunden. Zuvor war seine Frau ins Pflegeheim gezogen. Er war auf einmal allein und hatte eine leere Wohnung. Daraufhin hat er sich beim SWFR als Vermieter für Studierende gemeldet. “Um jung zu bleiben“, sagt er.

Auch der Biologiestudent Semjon hat über ‘Wohnen für Hilfe’ ein Zimmer gefunden. Einige Zeit hat er bei einer fünfköpfigen Familie gewohnt, dort ging es häufig laut und sehr lebhaft zu. „Am Anfang war das gewöhnungsbedürftig, man fühlte sich zum Teil als drittes Rad am Wagen“, erinnert er sich.

Beim Studierendenwerk bewerben

Wenn Studierende Interesse haben bei “Wohnen für Hilfe” mitzumachen, können sie sich zunächst unverbindlich beim Studierendenwerk bewerben. Dabei geben sie Präferenzen an, ob sie zum Beispiel lieber in einer Familie oder bei älteren Menschen leben möchten, welche Erfahrungen sie haben und was sie sich gar nicht vorstellen können. Dann bekommen sie Vermieterinnen und Vermieter vorgeschlagen und dürfen Kontakte anfordern. Nach erstmaligem Kontakt findet ein persönliches Kennenlernen statt. „Das ist ganz wichtig“, erklärt Nicole Krauße, Koordinatorin des Projekts. „Beim ersten Treffen werden die Rahmenbedingungen und die Wünsche von beiden Seiten geklärt“. Wenn die Chemie stimmt, regeln die Parteien den Mietvertrag und die Zusatzvereinbarungen über die freiwilligen Hilfeleistungen.

Semjon hat sich mit der Zeit bei seinen neuen Vermietern eingelebt. „Ich war recht stark in ihren Alltag eingebunden. Wir haben oft zusammen gegessen, ich hab hin und wieder das jüngste Kind vom Kindergarten abgeholt und den älteren bei den Hausaufgaben geholfen.“

Günther Pötz‘ Untermieter Ben studierte einen internationalen Studiengang. Mit ihm und seinen Freunden hat Günther Pötz begonnen Englisch zu lernen und über Ben hat er auch die WG nebenan kennengelernt. Mittlerweile lebt er seit über drei Jahren mit Studierenden zusammen. Ob er jemals Bedenken hatte? „Keine!“, sagt er mit Nachdruck.

Und Günther Pötz ist kein Einzelfall. „Mittlerweile gibt es schon einen festen Kundenstamm von Vermietern, die immer wieder kommen und die ganzen Generationen von Studierende aufgenommen haben“, sagt Nicole Krauße.

Gegenseitiges Geben und Nehmen

Voraussetzungen für eine erfolgreiche Vermittlung sei laut Renate Heyberger, stellvertretende Geschäftsführerin des SWFR, eine gewisse Haltung von beiden Seiten: „Die Überzeugung, dass es eine gute Geschichte mit gegenseitigem Geben und Nehmen ist, muss da sein. Ältere Menschen müssen sich bewusst sein, dass sie dann in einer Wohngemeinschaft mit einer zweiten Person im Haushalt leben.“ „Aber auch die Studierenden müssen offen sein“, ergänzt Nicole Krauße, „und eventuell eine gewisse Übung und Erfahrung mit älteren Menschen haben“.

Das Leben in einer Familie ist anders als das Leben in einer Studierenden-WG, aber ob Semjon sich in seinem Leben eingeschränkt gefühlt hat? „Nicht wirklich. Im Grunde konnte ich machen was ich wollte“, sagt er.

Für Günther Pötz ist das Zusammenleben mit jungen Menschen ein unheimlicher Zugewinn. „Sie können sich nicht vorstellen wie oft hier Party ist“, erzählt er, dann kommen ehemalige Untermieter, deren Freunde, die Nachbar-WG. In der Wohnung ist viel Leben und „nachts brauche ich keine Angst zu haben, da ich nicht alleine bin“, sagt Pötz. So funktioniert die gegenseitige Unterstützung.

Kommunikation ist wichtig

Nachdem die beiden Parteien vom Studierendenwerk zueinander gebracht wurden, sind sie auf sich alleine gestellt. Auf Mietvertrag und Zusatzvereinbarungen hat es keinen Einfluss mehr, auch nicht darauf, wie sich das Mietverhältnis weiter gestaltet. Was aber passiert, wenn sich die neuen Wohnpartner uneinig werden, etwa weil zu viel von beiden Seiten gefordert und zu wenig geleistet wird?

Wenn zum Beispiel eine ältere Person viel mehr Hilfe beansprucht als ausgemacht war oder der Untermieter die Wohnung dauerhaft in einen Chaoszustand versetzt, obwohl besprochen war, dass er ab und zu beim Putzen hilft? „Beratung in rechtlichen Auseinandersetzungen können und dürfen wir nicht leisten“, sagt Renate Heyberger. Es sei aber extrem selten, dass es zu solchen Fällen komme. „Normalerweise kommunizieren die Leute gut miteinander, so dass es nicht so weit kommt“, hat Nicole Krauße beobachtet.

Kommunikation sei wichtig, das findet auch Günther Pötz: „Natürlich gibt es manchmal Diskussionen. Bei dem Altersunterschied ist es doch klar, dass man nicht immer einer Meinung ist, aber dann redet man drüber und alles regelt sich.“

Seit der Umstellung auf das Bachelor/Master-System kommen die meisten Anfragen an Nicole Krauße zu Beginn des Wintersemesters, dann wird es schwierig alle zu vermitteln. Deswegen rät sie „besser außerhalb des Wintersemesters kommen, denn Vermieter melden sich das ganze Jahr“.

„Wir sind eine Familie“

Pötz ist glücklich mit seiner Situation, das merkt man ihm an. Letztens erst hat er seinen Geburtstag gefeiert, dazu kamen diverse Glückwünsche von ehemaligen Mitbewohnern und Mitbewohnerinnen. Aus der ganzen Welt riefen die Leute an. „Wir sind eine Familie“, erzählt er, die Leute gehen zwar, aber sie sind danach nicht einfach weg, sondern kommen trotzdem noch vorbei.

Auch Semjon findet das Projekt gelungen, „Insgesamt finde ich, dass ‘Wohnen für Hilfe’ besonders für Studienanfänger von außerhalb Freiburgs geeignet ist. Die Leute zu denen man zieht wohnen meist schon lange in Freiburg und können einem oft nützliche Tipps geben“.

Infos

Mehr Infos zu Wohnen für Hilfe erfahrt ihr auf der Website des SWFR unter www.swfr.de/de/wohnen/wohnen-fuer-hilfe

Foto: Katharina Krumpholz
Veröffentlicht am 17. Januar 2017

Empfohlene Artikel