DIY? I did it my way!

DIY? I did it my way!

Schon seit Jahren bewegt sich der Trend weg von Massenware und Einheitsbrei großer Ketten und hin zur individuellen Gestaltung. Getreu dem Motto „back to the roots“ stricken wir Socken, kochen Gemüse ein oder bauen Couchtische und Balkonmöbel aus Holzpaletten. Doch wie ist das eigentlich mit der Emanzipation in Einklang zu bringen und was nur, wenn zwischenzeitlich die Motivation abhanden kommt?

Ob Dekoartikel, Kleidungsstücke, Schmuck, Lebensmittel und Computer oder Autos – Deutschland häkelt, klebt, strickt, näht, schraubt, bastelt, sägt, hämmert, pflanzt, backt und kocht was das Zeug hält. Es gibt sogar Zeitschriften, Bücher und Internetplattformen, deren einziges Ziel es ist, die Leser durch selbstgemachtes Schi Schi in eine allesüberschattende DIY-Wut zu versetzen.

Einfach, schnell und individuell – das ist häufig das Motto der zahlreichen Kreativitätswütigen, die mich hochmotiviert, mit eigenem Schweiß und Blut und einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen in ihren Blogs und Video Tutorials immer wieder aufs Neue dazu bringen, höchst selbst ein individuelles Produkt fertigen zu wollen.

Emanzipation gescheitert?

Doch woher rührt eigentlich dieser Trend, Dr. Who mäßig, in eine vorindustrielle Zeit zu reisen und sich wochenlang Hornhaut an die Finger zu stricken, um daraufhin EINE simple Wollsocke in den Händen zu halten? Unsere Vorfahren haben zu ihrer Zeit – und da bin ich mir sicher – in ihren selbst gestrickten Wollsocken ein Freudentänzchen auf den DIY Fußboden gelegt, als ihnen die mühsamen Arbeiten zunehmend von der Industrie abgenommen wurden. Und was ist nur mit unseren Großmüttern und Müttern, die als mutige und vehemente Vorreiterinnen von Emanzipation und Gleichberechtigung, in den 60er und 70er Jahren, ihre Fesseln aus Strickgarn, Einmachgummis und Spitzenborte sprengten, indem sie für Bildung und Berufstätigkeit kämpften … Plötzlich machen auch sie ein radikale Kehrtwende geradewegs in den Bastel-, Koch- oder Gärtnereibedarfsladen. Ist das das Ende von Emanzipation und Kampfgeist?

In einer Zeit, in der die 40-Stunden-Woche eine in Nebelschwaden gehüllte Erinnerungen an bessere Zeiten ist, Burnout als Volkskrankheit diagnostiziert wird und das Freizeitangebot stetig wächst, fragt man sich doch ernsthaft: Fällt uns eigentlich nichts Besseres ein, als Abend um Abend, Stunde um Stunde mit Stricknadel und Garn auf dem Sofa zu eskalieren?

Entschleunigung und Individualisierung

Steckt dahinter möglicherweise der Versuch die schnelllebige Welt, mit dem wollbesockten Fuß zu bremsen? DIY-Projekte erscheinen heute als Möglichkeit der Entschleunigung und Entspannung oder aber als Chance in Zeiten zunehmender Individualisierung, gegen den Einheitsbrei der Industrie zu rebellieren und die Welt so zu gestalten, wide wide wie sie uns gefällt. Gleichzeitig wird dadurch traditionsreiches Handwerk am Leben erhalten und das Pflanzen, Pflegen und Ernten von Gemüse oder wochenlang in gebückter Haltung vor einer Nähmaschine, einem Automotor oder Computerlaufwerk zu verbringen, lehren uns, in Zeiten von Preisdumping und Niedriglöhnen, den Arbeitsaufwand und die Wertigkeit eines Produkts wieder zu schätzen zu wissen.

DIY hat nur Vorteile – nicht!

DIY hat also quasi nur Vorteile! Davon bin ich überzeugt, als ich in einem tranceähnlichen Zustand das mindestens dreifache(!) an Geld für Wolle, Stoffe, Garn oder Einmachgläser ausgebe, als ich im Handel für das fertige Produkt bezahlt hätte. Dort wäre das Produkt aber schließlich auch nicht so, wide wide wie es mir gefällt, rechtfertigte ich mich rebellisch vor mir selbst! Meine Motivation ist auf dem Höhepunkt!

Als der Schnellkochtopf voller Suppe jedoch schrille Melodien pfeift, ich mir beim Bau einer Wandgarderobe den dritten Spreißel ins Nagelbett jage und kurz vor der Fertigstellung meiner selbstbestrickten Mütze bemerke, dass ich eine Masche von der Nadel verloren habe, tritt mir der blanke Angstschweiß auf die Stirn und ich bekomme zu spüren, dass „mit eigenem Schweiß und Blut“ keine abgedroschene Floskel war. Ernüchtert errichte ich weitere Häufchen mit unvollendeten Projekten in meiner Wohnung, das war es fürs erste mit der Motivation – doch morgen sieht die Welt bestimmt gleich ganz anders aus.

„Ob es die unvollendeten DIY-Projekte waren, die ohne jeglichen Ähnlichkeitsbezug zum Endprodukt, als „never ending stories“ in Schubladen und Schränken auf ein Happy End wartend, Michael Ende zum Titel seines berühmten Romans inspirierten?“ Das sind meine Gedanken, als ich den Karton mit der Aufschrift: „Hier ruhen verschnittener Tüll, unbearbeiteter Stoff und übriges Nähgarn, die einst zu einem Rock vereint werden sollten“ schließe – I did it my way!

Samantha Happ findet wunderliche Dinge bemerkenswert und tut dies in ihrer Kolumne “Mein Senf” kund.

Samantha Happ findet wunderliche Dinge bemerkenswert und schreibt in ihrer Kolumne “Mein Senf” darüber.

 

 

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Foto: Samantha Happ
Autoren:
Veröffentlicht am 7. Februar 2017

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